"Herr, setze dem Überfluss Grenzen und lasse die Grenzen überflüssig werden; lasse die Leute kein falsches Geld machen, aber auch das Geld keine falschen Leute; nimm den Ehefrauen ihr letztes Wort und erinnere die Ehemänner an ihr erstes; schenke unseren Freunden Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde; bessere solche Beamten und Geschäftsleute, die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind; gibt den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung; Herr, sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen, aber bitte nicht sofort."

Hermann Kappen, Pfarrer in der St. Lamberti Kirche zu Münster, hat es in seiner Neujahrsansprache 1883 auf den Punkt gebracht. Er kannte weder die Globalisierungsdebatte noch Aktienschwindel und Abfindungsprozesse - aber er kannte die Menschen, und deren Wünsche und Schwächen.

Es sind die alten Grundmotive und -fragen, die immer wieder in neuem Gewand auftreten: der Konflikt zwischen Ich und Wir, Gier und Geben, Reden und Handeln, Verändern und Bewahren - wie man an den drei ökonomischen Grundfragen der Zukunft sieht:


1Wieviel (Welt-)Handel und Wandel verträgt der Mensch?

Noch bevor Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, hatte China bereits eine Armada von Schiffen, viermal so viele wie die Kolumbus-Flotte, an die afrikanische Ostküste gebracht. Doch der Kaiser sah durch die neuen Möglichkeiten den inneren Frieden bedroht: Er befahl, die Schiffe samt Logbüchern zu verbrennen. Und niemand durfte mehr über die Sichtlinie der chinesischen Küste hinausfahren.

So verzichtete China auf Eroberungen, und wurde aber seinerseits von viel kleineren europäischen Länder entdeckt und in eine Art Kolonie verwandelt. Die Globalisierung kann man ablehnen, entgehen wird man ihr dadurch nicht.

Wie Lester Thurow in seinem Buch "Die Zukunft der Weltwirtschaft" belegt, ist es der Mut und die Tat, die Gefahren in Gutes verwandeln: "Wer siegen will, muss aktiv sein".


2Welche wahren Werte wollen wir schaffen?

"Das Problem unserer Zeit ist die Verteilung des Geldes", schrieb der Eisenbahnkönig Andrew Carnegie 1889 in "The Gospel of Wealth".

Darin verurteilt er die dekadenten Europäer für ihre Neigung, ihr Vermögen dem verwöhnten Nachwuchs zu vermachen anstatt der Gemeinschaft Gutes zu tun - wie er: Carnegie verkaufte 1900 sein Imperium für 480 Mio. Dollar an den Bankier J.P. Morgan und stiftete davon 350 Mio. Dollar für wohltätige Zwecke, darunter eine Pensionskasse für Lehrer, eine Stiftung für Friedensforschung und die berühmte Konzerthalle in New York. Seine Haltung hat in den USA bis heute Tradition.

Nirgendwo ist die private Philanthropie so stark ausgeprägt wie in der stärksten Wirtschaftsmacht der Welt. Unternehmerische Freiheit und soziale Verantwortung gehören zusammen - weil nur dann aus wirtschaftlichen Werten auch menschliche Werte werden.


3Wieviel Macht darf ein Mensch haben?

Keine Idee ohne ihre Idole, keine große Leistung ohne außergewöhnliche Menschen. Schon 1911 beschrieb Schumpeter das Ideal des leidenschaftlich für Sache tätigen Unternehmers, der ständig Neues "in der Kombination von Dingen und Kräften ersinnt" und sich dabei nicht fragt, "ob jede Anstrengung auch einen ausreichenden Genussüberschuss verspricht" - im Gegensatz zu jenen, die den Wandel nicht erzeugen, sondern nur nutzen. Macht schafft Veränderungen - und verändert die Mächtigen. Für Manager wie "Superstars" gilt, dass sich ihr "Einfluss und Wirken dort ins Negative verkehren, wo sie nicht mehr die große Leistung als würdiges Ziel, sondern nur noch ihren Machterhalt im Sinn haben. Der Untergang großer Imperien zeigt, dass das Ende mit der Arroganz und Ignoranz ihrer Eliten seinen Anfang nahm. Neu sind nicht die Fragen, sondern unsere Antworten darauf. Wie gut sie ausfallen, hängt davon ab, ob wir aus der Erfahrung lernen können und wollen. Dafür ist ein frischer Blick, eine analytische Vertiefung und die gemeinsame Suche nach Lösungen erforderlich. Neue Antworten entwickelt man nicht im stillen Kämmerlein: Auf die Geisteshaltung kommt es an und die Kraft und die Bereitschaft nach jedem Ende neu anzufangen.