Niemand kann so kräftig geistern wie er, der Dichter des Unruhestands: Thomas Bernhard, verehrt zwischen Amras und New York, gefürchtet in allen Amtsstuben zwischen Wien und Wladiwostok: Sein fünfzehnter Todestag sollte zu einer neuen, kritischen Lektüre anregen.

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Vor 15 Jahren starb in seiner Gmundner Neubauwohnung der "Bauer zu Nathal" und Nicht-Nobelpreisträger Thomas Bernhard. Seither boomt die Bernhard-Factory. Das Werk selbst verschwand dabei zwischenzeitlich. Die Ursache? – Eine Andeutung.

Wien/Gmunden – In seiner Gmundner Neubauwohnung – und nicht in einem seiner in der Strenge josefinischer Aufklärung renovierten Bauernhöfe, mit denen ihn seine Fans identifizieren – starb am 12. Februar 1989 Thomas Bernhard, 58-jährig.

Wunschgemäß, keineswegs aber naturgemäß erfolgte die offizielle Bestätigung des Todesfalls durch die Stadtgemeinde Gmunden gegenüber der Presse erst am 16. 2., als das Begräbnis am Grinzinger Friedhof schon im Gang war: Ableben glänzend gelungen.

Nachleben detto. Mit kleinen Zwischenhängern zwar, doch immerhin. Zuvor aber noch die Todesursache: Nicht – das muss angesichts der katastrophal verengten Perspektive auf Bernhards Werk betont werden – Österreich. Sondern: Folgen der nach dem Krieg in der Salzburger Lehrzeit aufgetretenen Lungenerkrankung Sarkoidose ("Morbus Boeck"), Spätfolge: Cor pulmonale. Die Beschreibung der Krankheit in einem Lehrbuch der Radiologie klingt dabei wie eine Landschaftsstimmung Bernhards:

Flächige oder herdförmige Verschattungen, Einschmelzungshöhlen (Kavernen), in der Lungenfibrose (im dritten Stadium) streifige, narbige Verdichtungen: Werden nicht die Gespräche des Famulanten mit dem Kunstmaler Strauch in Frost (1963) in solchen Schattenlandschaften geführt? Also nicht bloß – wie simple Rezeption will – österreichische, sondern anthropologische Landschaften.

Über die Lungenkrankheit und die Soziologie von Krankenhäusern direkt schrieb Bernhard u. a. in Die Kälte. Eine Isolation (1981) – das salzburgische Grafenhof wirkt hier wie Solschenizyns Krebsstation – und in Wittgenseins Neffe (1982); von Morbus Boeck ist der Musikwissenschafter in Beton (1982) befallen – naturgemäß kann er seine Studie über Mendelssohn-Bartholdy nie beenden. Es fehlt am großen Atem.

An heißer Luft hingegen fehlt es seit dem Tod Thomas Bernhards nicht. Und zwar nicht nur, weil es dem Meister aus Ohlsdorf mit seinem letzten literarischen Werk, dem Testament (keine Theateraufführung in Österreich mehr!), glänzend gelang, auch nach dem Tod noch im Gespräch zu bleiben; sondern primär, weil sich schon in seinen letzten Lebensjahren eine Reduzierung seiner komplizierten Literatur auf simple Schlagzeilen vollzogen hat.

Die Versimpelung

Der Österreichbeschimpfer: Das war eine Formel, auf die sich eine breite Öffentlichkeit einigen konnte: Sie braucht solche Formeln, diese machen smalltalk- und aufregungsfähig; das ist gut für die Auflage: Als 1984 Thomas Bernhards lebensechte Schilderung der Korrumpiertheit wienerischen Kulturlebens, Holzfällen, zum Skandal wurde, stieg der Verleger Siegfried Unseld in Frankfurt sofort ins Flugzeug, um an einer Club-2-Diskussion teilzunehmen.

Das war alles gut für den Verkauf, verhinderte aber eine tiefere – weniger gekränkte – Auseinandersetzung mit Bernhards Kritik. Spätfolge davon: Bis heute hat sich an der Freunderlwirtschaft in der Kunstszene nichts geändert, der Holzfäller ist gegangen, der Wald ist geblieben.

Will denn wirklich jemand Thomas Bernhard lesen? Einige Jahre lang stagnierte der Buchverkauf, obwohl der Rumor blieb. Und die schwedische Akademie sogar postum erklärte, dass Bernhard den Nobelpreis verdient hätte. – Lesen: Das ist ja nicht bloß eine Meinung äußern oder tausendmal Zitiertes ("Alles ist lächerlich, wenn man an den Tod denkt") noch einmal zitieren, sondern: sich den komplizierten Sätzen ausliefern. Die Anstrengung, die der Autor selbst vollbrachte, um sich von der Tradition zu befreien – diese Anstrengung für sich nachzuvollziehen: Das ist Lesen.

Die Bernhard-Factory hingegen, die nach seinem Tod neue Höhen erklomm, sprach von allem anderen als von Literatur: Essen mit Bernhard, Fahrten zu Bernhard, Minister und Bernhard. Als Nachhut davon feierte die Süddeutsche am letzten Wochenende den Todestag mit einer Beilage, die nur Unterhaltung auf diesem Niveau anzubieten vermochte. Darin immerhin eine interessante, wenn auch falsche Behauptung von Claus Peymann in einem Interview: Bernhard werde primär von Frauen verehrt.

Das lässt sich weder mit dem Blick auf die fast nur von Männern verfasste Sekundärliteratur noch in Feldforschung bestätigen: Bernhard, ist das nicht so etwas Ähnliches wie Hemingway, ein Fall für Männer?

Viele Fragen sind da noch offen. Und auch ein Wunsch: dass sich der Realitätenvermittler und über Jahre engste Bernhard-Freund Karl-Ignaz Hennetmaier – der ORF zeigte ein Porträt von Andreas Gruber – und Bernhards Bruder Dr. Peter Fabjan doch versöhnen mögen.
(DER STANDARD, Printausgabe,12.2.2004)