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Seit Sommer 2002 sammelt Ami Ayalon gemeinsam mit dem Präsidenten der palästinensischen Al-Quds-Universität, Sari Nusseibeh, Unterschriften für seinen "Nationalen Appell".

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"Je höher der Zaun, desto besser die Nachbarschaft - das war für Europa richtig und hat dort eine Einigung gebracht", sagt Ex-Geheimdienstchef Ami Ayalon, der sich von einem Trennungszaun, wie hier zwischen der West Bank und Ost-Jerusalem, keine Lösung der Probleme verspricht.

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Standard: Seit Juli 2003 haben Sie mit Sari Nusseibeh, dem Präsidenten der palästinensischen Al-Quds-Universität in Ostjerusalem, 200.000 Unterschriften gesammelt. Die Aktion heißt "Der Nationale Appell", ein ungewöhnlicher Name für eine Friedensinitiative.

Ayalon: Das ist keine Friedensinitiative, sondern ein Mobilisierungsbefehl. Wir Israelis haben die Phase der Träume überwunden, wir sind in der Stufe des Pragmatismus. Weder wirtschaftliche Faktoren noch Fragen der Sicherheit oder der Moral bewegen uns, obwohl unsere Aktion in allen diesen Bereichen die Lage verbessern kann. Wir sind aktiv, um israelischen Interessen zu dienen. Wenn wir nicht in diese Richtung gehen, bedeutet das das Ende des Zionismus.

Standard: Wie entstand die Zusammenarbeit mit Nusseibeh?

Ayalon: Sie entstand aus der schmerzlichen Realität der zweiten Intifada, die uns drei zentrale Fragen stellte: Warum brach der Oslo-Prozess zusammen? Wohin führt der Status quo? Was soll und kann man tun? Als wir mit den Palästinensern in diesen Fragen zu ähnlichen Ergebnissen kamen, wurde unsere Initiative geboren.

Standard: Warum scheiterte der Oslo-Prozess?

Ayalon: Anfang der 90er wollten wir Sicherheit, und die Palästinenser einen Staat. Aber keine der beiden Seiten hatte verstanden, dass die Palästinenserführung, um uns ausreichend Sicherheit zu garantieren, fast einen Bürgerkrieg mit den Fundamentalisten hätte anzetteln müssen. Die palästinensische Behörde hat den Terror unserer Meinung nach niemals bekämpft. Im Sommer 2000 fühlten wir uns betrogen: Wir hatten alles gegeben, und sie haben mit Gewalt geantwortet. Das Paradoxe ist: Sie fühlten sich genauso betrogen. 1993 gab es 100.000 Siedler, im Sommer 2000; als der Prozess zusammenbrach, waren es 220.000. Auch die Palästinenser entfernten sich immer mehr von ihrem Staat, obwohl sie eine Zeit lang den Terror doch bekämpften.

Standard: Was war falsch am Oslo-Prozess?

Ayalon: Es war für uns zu schmerzlich, die Fragen des Rückkehrrechtes, der Flüchtlinge, Jerusalems, der Grenzen, der Siedlungen und des Wassers zu beantworten. Stattdessen spielten wir mit dem Prinzip der "konstruktiven Zweideutigkeit", um so weiterzukommen und gegenseitig Vertrauen zu bilden. Das geschah aber nicht. Der Mitchell- und der Tennant-Plan sind nur eine Wiederholung dieser gescheiterten Stufenmethode. Auch die Roadmap wird zusammenbrechen.

Standard: Welche Alternativen bieten Sie?

Ayalon: Die Palästinenser werden den Terror nur im Rahmen einer dauerhaften Lösung des Konfliktes bekämpfen. Sie werden nicht einen Bürgerkrieg anzetteln, um nachher festzustellen, dass wir auf keine der Siedlungen verzichten. Und wir unsererseits werden nicht eine Räumung der Siedlungen riskieren, nur um festzustellen, dass sie auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nicht verzichten. Wir müssen zuerst die Zukunft klar umreißen.

Standard: Welche Bedeutung hat die Prinzipienerklärung, die Sie und Nusseibeh als zwei Privatpersonen vereinbart haben?

Ayalon: Wir wollen die Roadmap korrigieren und den fehlenden Baustein hinzufügen - nämlich das Ziel dieser Roadmap. Das würde ausreichen, weil sich unser Dokument auf allen relevanten UN-Resolutionen, einer Erweiterung des saudi-arabischen Friedensplans, der Entscheidung der Arabischen Liga, der Quartettpläne und der Rede des US-Präsidenten Bush im Juni 2002 beruht.

Standard: Kritiker wie Uri Avneri meinen, dass das Programm auf einem starken israelischen und einem schwachen palästinensischen Bein steht und daher "sicherlich zum Hinken verdammt ist", dass die Palästinenser auf das Rückkehrrecht nicht verzichten werden.

Ayalon: Es war Nusseibeh, der zum ersten Mal diese Frage zur Diskussion stellte, vor der Arafat immer flüchtete. Eine palästinensische Umfrage unter 4600 Flüchtlingen zeigt, dass nur zehn Prozent nach Israel zurückkehren würden, wenn man es ihnen ermöglichte. Wir wollen, dass im Rahmen eines Endabkommens keine Palästinenser nach Israel zurückkehren. Eine Vereinbarung zwischen Völkern setzt auch deren Grenzen für Kompromisse.

Standard: Hätten Sie in dieser Frage Kompromisse gemacht, würden Sie weniger Unterschriften bekommen.

Ayalon: Wahrscheinlich, aber ich habe das nicht aus taktischen Erwägungen gemacht, sondern weil ich daran glaube. In der Genfer Initiative spricht man von 20.000 Rückkehrern, die genaue Zahl weiß man auch dort nicht. In den Flüchtlingslagern spricht man schon von Hunderttausenden. Wieder sehen wir das Oslo-Problem der "konstruktiven Zweideutigkeit", um die morgige Krise zu überwinden. Ich will aber die Krise überwinden, die in 80 Jahren kommt.

Standard: Warum ist für Sie der jetzt errichtete Trennungszaun keine Lösung?

Ayalon: Damit Israel demokratisch und jüdisch wird, müssen wir uns von den Palästinensern trennen. Der Satz "Je höher der Zaun, desto besser die Nachbarschaft" war für Europa richtig und hat dort eine Einigung ermöglicht. Wir befinden uns noch in der Phase der Nationalstaaten. Wir und die Palästinenser sind wie siamesische Zwillinge, die durch mehrere lebensnotwendige Organe verbunden sind: den Arbeitsmarkt, das Wasser, die in Israel lebenden Palästinenser.

Siamesische Zwillinge zu trennen ist ein komplexer Prozess, den nur Experten vollziehen können. Wir brauchen zum Beispiel gemeinsame Industrieparks entlang der Grenze und einen internationalen Marshallplan für die Region. Wir können das Problem nicht mit einem Zaun lösen, nicht einmal Alligatoren oder Landminen würden helfen.

Standard: Das Abkommen wird als Trennungsprogramm vermarktet, um die zu gewinnen, die von den Palästinensern die Nase voll haben.

Ayalon: Das Wichtigste sind die Unterschriften. Ohne sie sind all meine Reden Quatsch. Nehmen Sie unseren Werbeslogan: "Wollt ihr, dass (die Fußballmannschaft) Maccabi Haifa ihre Heimspiele im Europapokal in Israel spielt? Dann unterschreibt dieses Abkommen!" Unser Erfolg wird daran gemessen, ob Menschen unterschreiben, damit im nächsten Jahr die Länderspiele in Israel stattfinden.

Standard: Warum gehen Sie nicht in die Politik?

Ayalon: Weil ich Einfluss haben will. Ein Politiker muss sich fragen: Kann ich heute die Interessen meines Staates fördern und meine Wiederwahl damit sichern? Die Politiker hängen von uns ab, nicht umgekehrt. Den wirklichen Einfluss haben NGOs.

Standard: Die Linken werden Ihnen ohnehin ihre Unterschrift geben und interessieren Sie daher nicht?

Ayalon: Nein, die Linken müssen Teil dieses Prozesses sein, können ihn aber nicht führen. Israelische Politiker bezeichneten die Siedler als Stolperstein des Friedens und Krebsgeschwür der Nation. Wir müssen den Siedlern klarmachen, dass sie Pioniere des Zionismus waren. Es ist unsere Pflicht, sie nach Hause zu holen, ihnen neue Häuser zu bauen, Arbeitsplätze zu schaffen und sie zu umarmen. Diese Erkenntnis kann nicht von links kommen. Daher müssen wir die Regierung beeinflussen und nicht sie ersetzen.

Standard: Wem wird Ostjerusalem gehören?

Ayalon: Alle Stadtteile Jerusalems, die Siedlungen genannt werden, werden Teil Israels sein, im Gegenzug erhalten die Palästinenser ein Gebiet der gleichen Größe.

Standard: Sie attackieren die "konstruktive Zweideutigkeit", handeln aber genau so.

Ayalon: Mir ist klar, dass ich, um eine Siedlung zu behalten, auf ein anderes Gebiet verzichten muss und dass die Grundlage die Grenze von 1967 ist. Wenn meine Politiker nicht klug sein werden, werden wir Siedlungen aufgeben müssen, was ich für eine Katastrophe halte.

Standard: Was wäre, wenn diese Politiker Ihr Werk mit groben Händen in eine erneute Gewaltspirale verwandeln?

Ayalon: Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu scheitern. Ich habe jahrelang für die Organisation, die ich geleitet habe, Horrorszenarien ausgemalt. Ich habe damit mein Brot verdient.

Standard: Sie haben einmal gesagt: "In der Armee habe ich nichts über den Konflikt mit den Palästinensern gewusst, weil ich nur die Militärsicht kannte." Wann haben Sie den israelisch-palästinensischen Konflikt begriffen?

Ayalon: Als ich Geheimdienstchef war. Bis 1996 versuchten wir den Terror alleine zu verhindern, dann haben wir begriffen, dass es nur gemeinsam mit den Palästinensern geht. Um mit ihnen zu arbeiten, musste ich ihre Motivation und Probleme kennen. Dafür ist es wichtig, palästinensische Dichtung und Zeitungen zu lesen oder einfach mit Palästinensern zu reden. Der damalige Infrastrukturminister Sharon nannte uns Geheimdienstler "Kollabora- teure". Meine Frau hat dagegen schriftlich protestiert, aber niemals eine Antwort von ihm erhalten.


Zur Person:
Die Eltern von Ami Ayalon kommen 1936 aus Ungarn. Er wird 1945 im Kibutz Maagan am See Genezareth geboren. 1963 startet er seine Militärkarriere, wird 1978 Marinekommandant; er studiert Politikwissenschaft an der religiösen Bar-Ilan-Universität und Betriebswirtschaft in Harvard. 1992 wird er zum Admiral ernannt. Eine Woche, nachdem er 1996 seine Uniform wieder ablegt, macht ihn die Peres-Regierung zum Geheimdienstchef. Im Herbst 2000 wird er wieder Zivilist. Mit Sari Nusseibeh sammelt Ami Ayalon seit Sommer 2002 Unterschriften für seinen "Nationalen Appell". (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.2.2004)