Die Royal Irish Distillery an der Grosvenor Road.

New Grosvenor ist eine weitläufige Anlage auf der auch Windhund-Rennen stattfinden, der Stimmung im 8000 Zuschauer fassenden Stadion ist dies nicht gerade förderlich. Dafür zeigt sich der "Whites"-Anhang als gutmütige Sorte Mensch, in deren Mitte auch der gegnerische Fan ruhig Platz nehmen kann.

Im Westen der nordirischen Hauptstadt Belfast, in einer heute wie damals prekären Lage an der Schnittstelle der katholischen Falls und der protestanischen Shankill, errichtete die Firma John Dunville & Co. 1869 eine nagelneue Whiskey-Brennerei. Die Familie Dunville war schon seit Jahrzehnten im Geschäft, erst mit der Gründung der Royal Irish Distillery aber, begann man die Produktion im großen Stil. In seinem 1887 erschienenen Buch „Whisky Distilleries of the United Kingdom" zeigte sich Alfred Barnard von Ausmaßen und Einrichtung beeindruckt. Am Ende seiner Ausführungen notierte dieser Reisende in Sachen Flaschengeist knapp: „The Whisky made by Messrs. Dunville and Co. is well known and is shipped to all parts of the world." Bis zur Jahrhundertwende war das Unternehmen aus Boomtown-Belfast gar zur Nummer eins im Vereinigten Königreich aufgestiegen.

Wie so viele andere Industriebarone ihrer Zeit, entwickelten auch die Dunvilles eine philantrophische Ader und unterstützten Arbeiter 1879 bei der Formation eines Cricket Klubs. Schon wenige Monate später wurde auch Fußball gespielt, und zwar auf einer unter dem lieblichen Namen Gänseblümchen-Hügel (Daisy Hill) bekannten Wiese in unmittelbarer Umgebung des Firmengeländes. Der Distillery FC wurde ein Erfolg. In den ersten 25 Jahren ihrer Existenz zählten die "Weißen" zu den Besten im von Belfaster Vereinen dominierten irischen Fußball. Einige Superlative aus jener Epoche: bis 1886 drei Mal hintereinander Gewinner des Irish Cup, 1887 überzeugendster Sieg aller Zeiten gegen die armen Jungs von United Steamship (18:0), 1890/91 Teilnahme an der Jungfernsaison der irischen Fußballliga (3. Platz), 1896 erstmals Meister. 1905 konnte der neun Jahre zuvor von Direktor Robert Grimshaw Dunville höchstselbst dem irischen Fußballverband gestiftete Dunville Cup endlich heimgeholt werden. (Eine Auflistung aller DFC-Erfolge gibt's hier!)

Ein gewisser Olphie Stanfield war Distillerys bester Spieler der Frühzeit, als 30-facher Nationalspieler beendete er 1897 seine internationale Karriere – ein Rekord der bis Mitte der 1930er Jahre hielt. 1890 finanzierte ein Gönner im Grosvenor Park, nicht weit von Daisy Hill, einen neuen Pavillon sowie Umkleidekabinen, und der Klub übersiedelte an den Ort, der für die nächsten 80 Jahre sein Zuhause sein sollte.

Auf Reisen

1884, im Jahr des ersten Cupsieges, wagte man sich in die Fremde und unternahm eine Tour nach Schottland, die mit einem 0:4 gegen Harp of Dundee zu einer wohl etwas ernüchternden Erfahrung wurde. Doch fünf Jahre später, 1889, erspielte sich Distillery einen Eintrag in die Geschichtsbücher: als erste irische Mannschaft gewannen die Belfaster ein Match außerhalb der grünen Insel. Und zwar vermutlich auf einem Platz neben einer Lehmabbau-Grube an der North Road, gelegen in einer eher unschönen Gegend der damals generell wenig attraktiven Stadt Manchester, genannt Newton Heath, wo man die Eisenbahnertruppe desselben Namens 2:1 bezwang.

Ganze 13 Jahre später wird jener Verein, dessen Umkleideräumlichkeiten sich zu Zeiten des Besuchs der Belfaster noch im Pub "The Three Crowns" fanden, Manchester United heißen. 1902 standen die "Heathens" kurz vor der Pleite, als ein neuer Investor die Existenz bedrohende Schuld von 1000 Pfund auslegte, und den Grundstein für eine Entwicklung legte, an deren vorläufigem Ende eine Milliarden schwere Unternehmung namens ManU steht. (Ein bemerkenswertes Fotodokument, nämlich die '93er-Mannschaft von United ausstaffiert à la Newton-Heath anno 1902, findet sich hier!)

Der Ballon sinkt

Aber zurück nach Belfast. Die 30er Jahre brachten schlechte Zeiten für die Familie Dunville, wie für den FC. 1929 verstarb Direktor John Dunville, ein hoch dekorierter Soldat und Abenteurer, über dessen eigene sportsmannschaftlichen Wagnisse es in einem Nachruf hieß:

"He devoted his attention to aeronautics as a recreation, and became prominent as a daring and successful balloonist. He competed in a number of international competitions, and had many thrilling adventures and experiences. Colonel Dunville had twice crossed the English Channel, and in view of the fate of some who attempted the hazardous journey from England to the French coast was heartily congratulated upon the good fortune which attended his efforts. In La Mascotte he won the Northcliffe Challenge Cup in September, 1907, the trophy being awarded to the British aeronaut who made the longest voyage during the year starting from any place in England. Almost two hundred miles was the record, travelling from London to Wales; and in November of the following year the English Channel was crossed – happily without accident – in the ‘Banshee’. An interesting fact in connection with this expedition is that he was accompanied by his wife."

Sein Sohn und Nachfolger Robert überlebte den Colonel nur um wenige Jahre und sollte der letzte der Dunvilles sein, der Royal Irish vorstand. Das Unternehmen geriet in den Sog einer, die gesamte irische Whisky-Industrie erfassende Krise und wurde 1936 liquidiert.

Der Fußballverein blieb bestehen, sportlich jedoch gaben andere den Ton an. Gegen die nun dominanten Kräfte Linfield und Belfast Celtic stand er auf verlorenem Posten. Über lange Zeit im tabellarischen Nirvana entschwunden mochte man es kaum glauben, dass die Distillery 1963 plötzlich wieder Meister war – zum sechsten und bisher letzten Mal. Dies wiederum hatte zur Folge, dass es an einem Abend des folgenden Jahres im Grosvenor Park gleich zwei Sensationen auf einmal zu bewundern gab.

Die Sache mit Finney

Erst einmal wäre da das Gastspiel von Benfica Lissabon samt Eusebio in der Vorrunde des europäischen Meistercups. Damit nicht genug, lief an diesem denkwürdigen Tag doch tatsächlich die Legende Tom Finney im Dress des Heimteams aufs Feld. Finney war in den 1940er und 1950er Jahren eine herausragende Erscheinung im englischen Fußball und gilt für manche immer noch als komplettester britischer Kicker aller Zeiten. Eigentlich hatte er seine Karriere schon beendet, doch Distillery-Manager Eastham gelang es, den 40-Jährigen für dieses eine Match zu einem Comeback zu überreden. Somit ergab sich die hübsche Kuriosität, dass jener Mann, der seinem geliebten Preston North End immer treu geblieben, dort jedoch nie einen großen Titel gewinnen konnte, nun bei einem Belfaster Provinzverein sein Meistercup-Debüt gab. Distillery schaffte gegen die Portugiesen ein 3:3, musste nach einem 0:5 in Lissabon aber ausscheiden.

Ein weiterer großer Spieler, dessen Wege sich mit jenem der Distillery für eine kurze Zeit kreuzten war Martin O’Neill – jener Mann, der als Kapitän zu einer Stütze des nordirischen Wunderteams der späten 1970er und frühen 1980er Jahre (letzter britischer Meister, WM-Teilnahme '82 und '86) wurde und derzeit höchst erfolgreich als Trainer bei Celtic Glasgow agiert. O'Neill spielte in der Saison 1970/71 lieber im Grosvenor Fußball, statt sich auf sein Jus-Studium an der Queens University zu konzentieren. Mit ihm schaffte die Mannschaft den Cupsieg – der bis dato letzte größere Erfolg – und qualifizierte sich für ein Duell mit dem FC Barcelona im Cupsieger-Cup (1:3; 0:4).

Auszug

Von den Spannungen in der (nord)irischen Gesellschaft blieb Distillery nicht verschont. Der bereits erwähnte Robert Dunville wurde 1916 auf einer Reise nach Dublin im County Louth von Aufständischen angschossen und schwer verletzt, sein Freund kam bei dem Angriff ums Leben. Dunville hatte eine Uniform der britischen Grenadiere getragen.

Noch schlimmer wirkte sich eine Feuerbomben-Attacke aus, die Grosvenor-Park 1971 vollständig zerstörte. Das Klubarchiv war verloren, Mittel für einen Wiederaufbau der Anlage standen nicht zur Verfügung. Dem Verein blieb nichts anderes übrig, als seinen angestammten Spielort aufzugeben und beinahe ein Jahrzent lang als Untermieter im Seaview der Crusaders und der Skegoniel Avenue des unterklassigen Brantwood mehr schlecht als recht zu überstehen.

1981 erfolgte dann die Übersiedlung auf ein Gelände an der Ballyskeagh Road in Lisburn, einer Kleinstadt an der südwestlichen Peripherie Belfasts. Es wurde bald darauf in New Grosvenor umbenannt. Das Überleben des Vereins symbolisierte ein neues Klubwappen, das einen sich aus Flammen erhebenden Phönix zeigt. Und wie um den Abschied zu besiegeln, verschwanden wenig später durch Abriss auch die letzten stehen gebliebenen Gemäuer der alten Brennerei der Dunvilles aus dem Belfaster Stadtbild.

Nach 105 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit zur ersten Liga, musste Distillery 1996 absteigen. Im Jahr 2000 wurde der Verein in Lisburn Distillery umbenannt, 2002 schaffte man den Wiederaufstieg. Die laufende Saison sieht eine Distillery, die sich stark präsentiert, wie schon lange nicht. Das Team weigert sich beharrlich, den pessimistischen Prognosen der Experten zu willfahren und hält sich in der Spitzengruppe der Premier Division. (Michael Robausch)