Kommst Du nicht zur Pizza, kommt die Pizza zu Dir:

Foto: Georg Desrues

Italienische Auswanderer haben die Pizza in Südfrankreich auf besondere Art kultiviert.

Foto: Georg Desrues

Gebacken werden sie in kleinen Lieferwagen, belegt werden sie speziell französisch, etwa mit Merguez.

Foto: Georg Desrues

Auf besonders charmante Weise in der französischen Provence, wo Georg Desrues sich die "Camions Pizza" süditalienischer Einwanderer angesehen hat

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"Das Holz ist es, das meine Pizza besser macht, als die meiner Konkurrenten", erklärt Gilles Domenici, während er ein paar Scheite in die lodernde Glut schlichtet. Er betreibt in einem Vorort von Nizza ein "Camion Pizza". So heißen jene Lieferwagen mit eingebauten Pizzaöfen, die zwischen Aix-en-Provence und Menton zum fixen Straßenbild gehören und eine genuin provenzalische Variante der süditalienischen Pizzeria darstellen: Erfunden von süditalienischen Emigranten, über die Jahrzehnte durch neue Rezepturen französisiert, in letzter Zeit durch eine EU-Verordnung, die den Einbau von Holzöfen in Autos wegen Brandgefahr verbietet, am Verschwinden.

Gilles Mitbewerber, die oft nur wenige Ecken weiter vergleichbare Wägen auf ihren Standplätzen stehen haben, müssen denn auch mit Gasöfen auskommen - Gilles hat noch eine alte Genehmigung. Wie sein Nachname vermuten lässt, stammt auch Gilles ursprünglich aus Italien. Genau wie in Norditalien waren es auch in Südfrankreich Einwanderer aus Kampanien, Kalabrien und Apulien, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Pizza bekannt machten. Doch die Lastwagen-Pizzeria ist eine rein französische Geschichte.

"Jeannot le Pizzaiolo"

Der erste "Camion Pizza" wurde 1962 in Marseille von einem ehemaligen Schiffssteward eröffnet, Jean Merian, genannt "Jeannot le Pizzaiolo". Der Erfolg war so groß, dass sich innerhalb weniger Jahre zahlreiche Nachahmer zuerst in der Hafenstadt und dann in ganz Südfrankreich drängelten. Mittlerweile gibt es eine nationale Innung, die Anzahl, Standplätze und die Sache mit der Hygiene regelt. 54 Wägen teilen sich die Stadt Marseille, 5000 gibt es in ganz Frankreich. Das Phänomen ist allerdings rein südfranzösisch, denn in 80 Prozent aller Städte Frankreichs ist das Aufstellen der Wägen verboten - um nicht den immobilen Pizzerien zu schaden.

Die Pizzen selbst sind erstaunlich dünnteigig. Oft sogar noch dünner als in ihrem Ursprungsland. "Das hat sich in den letzten Jahren so entwickelt" meint Gilles, "früher waren sie viel dicker." Beim Belag allerdings merkt man, dass man sich auf der anderen Seite der Alpen befindet. Zwar gibt es die bekannten Klassiker, die hier "Marguerite", "Quatre Saisons", oder "Sicilienne" heißen, geboten werden aber auch rein gallische Kreationen. Etwa die "Pizza flamiche", wo an Stelle von Tomatensauce Crème fraîche die Basis bildet, die damit so überhaupt nicht den Regeln der Mittelmeer-Diät entspricht - sondern viel mehr an die elsässischen Flammekueche erinnern.

Auch die Käseauswahl spricht eine deutlich französische Sprache. Meistens werden die Pizzen mit dem französischen Allzweck-Gratinkäse belegt, der unter den Sammelbegriff "Gruyère" fällt. Neben echter, kampanischer Büffelmozzarella - von der übrigens nur in Italien noch mehr gegessen wird als in Frankreich - stehen auch Roquefort aus dem Zentralmassiv, Reblochon aus Savoyen und sogar Ziegenkäse von der Loire auf dem Programm. Gilles reibt seine Käse gerne selbst. "Der Qualität halber", wie er meint. "Für viele Pizzen verwende ich am liebsten Cantal. Der hat mehr Geschmack als Gruyère", fügt er hinzu.

Pizza "Espagnole"

Aber nicht nur der französischen Vielfalt in Sachen Käse werden die Pizzabäcker gerecht. Auch der ethnischen Vielfalt wird Tribut gezollt, und so findet man eine Pizza "Espagnole" welche mit der in Frankreich sehr häufigen spanischen Paprikawurst "Chorizo" beladen ist. Unter "Orientale" darf man sich eine Pizza mit Merguez vorstellen, der aus Nordafrika stammenden, scharfen Lamm- und Rindfleischwurst. Merguez ist wahrscheinlich des Franzosen liebste Wurst, und darf auch bei keinem Barbecue fehlen.

Umso größer war die Aufregung, als vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass manche Hersteller wegen des geringeren Preises oft auch Schweinefleisch in das Brät mischen - für ein gerade von Muslimen häufig verzehrtes Produkt wahrhaftig unerhört. Darum hat Gilles auf seiner Tafel auch "halal" stehen: "Ich kaufe die ausschließlich von einem arabischen Metzger, der tut da sicher keine Schweinereien rein", sagt er.

Interessanterweise gibt es auch eine "Andalouse" genannte Pizza, auf der sowohl schweinerne Chorizo, als auch Merguez Platz finden - vermutlich eine kulinarische Reminiszenz an die Präsenz der Araber auf der iberischen Halbinsel. Als dann zwei junge Tunesier einen ganz Schwung Pizzen bestellen, verlangen sie allerdings lediglich, diese ohne Schweinefleisch zuzubereiten. "Merguez gehören für uns eigentlich nicht auf die Pizza", flüstert einer von ihnen. Sie kaufen auch ein paar Flaschen eisgekühlten Rosé. Der ist im sommerlichen Frankreich offenbar selbst für Nordafrikaner nicht weg zu denken.

Auch das ist ein Unterschied zu Italien. Dort trinkt man üblicherweise Bier zur Pizza. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/05/09/2008)