Auf der Wiese ducken sich die Zelte dicht aneinander. Das Schwimmbecken war die größte Investition der Tentstation.

Foto: Tentstation Berlin

"So lovely" und "wirklich total speziell" hat Annie aus Detroit noch nie einen Campingplatz gefunden. Entspannt liegt sie vor ihrem kleinen roten Zelt und blättert in einem Berliner Reiseführer. Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, all das will die 27-Jährige besichtigen. Und das Beste: Während die Camperin in anderen deutschen Städten die Campingplätze nur am Stadtrand fand, ist sie den Berliner Sehenswürdigkeiten schon ganz nahe. Ihr Zelt steht nur fünf Minuten Fußweg vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Annie campiert nicht etwa wild in der deutschen Hauptstadt, sondern hat ihre mobile Bleibe auf einem Campingplatz aufgeschlagen, der in Deutschland einzigartig ist: Das Zelt steht auf dem Gelände eines ehemaligen Freibades, mitten in der City.

Von den verwaisten Sprungtürmen blättert die Farbe, auch das große, leere Becken hat schon bessere Tage gesehen. "Mit diesem maroden Charme spielen wir ganz bewusst", sagt Sarah Oßwald, die den Platz mit Kollegen betreibt. Sie hofft, dass ihre "Tentstation" im September bei schönem Wetter noch einmal gut besucht ist. Denn, wer weiß: Vielleicht ist bald schon alles vorbei.

"Zwischennutzung" heißt das Zauberwort, das diesen ungewöhnlichen Zeltplatz ermöglicht. Das städtische Bad wurde schon vor Jahren geschlossen. Zu teuer, die Stadt wollte sich Renovierung und Betrieb nicht mehr leisten. Doch auf einen Investor, der das städtische Bad möglicherweise in eine Wellnessoase verwandeln könnte, wartet man noch heute.

Das ist Oßwalds Chance. Sie konnte das Gelände gemeinsam mit drei Freunden günstig pachten, musste sich allerdings verpflichten, selbiges binnen 14 Tagen zu räumen, wenn ein Geldgeber auftaucht. "Das sind die Spielregeln", kommentiert die 29-Jährige das drohende Damoklesschwert trocken.

Klar, dass sie nichts Neues anschaffte, um das Alte aufzumöbeln. Im Buffet des Campingplatzes, wo es auch immer wieder kleine Konzerte und Veranstaltungen für die Berliner gibt, steht ein wilder Stilmix aus Stühlen und Tischen. Die verspiegelte Wand, die im 70er-Jahre-Charme die ehemalige Tribüne des Bades ziert, stammt von der Ulmer Stadtsparkasse, die Bar aus einem alten Pralinenladen. "Ebay macht's möglich", sagt Oßwald grinsend. Dort, wo früher Funktionäre saßen und ihren Schützlingen beim Wettkampf im Becken zusahen, hat man auch heute noch einen guten Blick auf die Anlage. Vor der Wiese, auf der sich die Zelte dicht aneinanderducken, liegen die beiden blauen Herzkammern des Zeltplatzes: die ehemaligen Schwimmbecken. Eines, das tiefere und größere, wird jetzt von den Camping-Gästen zum Basketballspielen genutzt. Direkt unter dem Sprungturm hat Oßwald einen Korb installiert. Im zweiten Becken spielt man Volleyball, wobei die vielen internationalen Gäste nicht auf Sand verzichten müssen. 180 Tonnen davon wurden angekarrt und füllen nun das Becken.

Manuel aus Barcelona will heute auch noch eine Runde mitspielen. Später, jetzt muss er erst einmal Pizza essen. Auch er ist vom Zeltplatz sehr angetan. "Ich bin zum ersten Mal in Berlin, und genau so habe ich es mir vorgestellt: immer noch nicht fertig", sagt er. Vorher war er mit seinen Freunden auf einem Campingplatz in Bremen, und daran erinnert er sich mit leichtem Schauern: "Dort gab es Gartenzwerge, der Rasen war ganz exakt gestutzt, und die Leute hatten Kühlschränke dabei."

Derlei Luxus gibt es in der Tentstation nicht. Privilegiert darf sich hier höchstens fühlen, wer den Schlüssel zum ehemaligen Bademeisterhäuschen ergattert. Das wird auch vermietet und bietet zwei bis vier Personen Platz. "Beliebt ist es bei Lehrern. Die schlafen dann dort, ihre Schüler in den Zelten", sagt Oßwald. Einen alten Wohnwagen aus DDR-Zeiten ("Queck Junior") gibt es auch noch, der wird ebenfalls vermietet. Sie selbst ist ebenfalls überzeugte Camperin: "Es ist einfach eine Art zu wohnen, die viel Spontaneität bietet. Außerdem lernt man schneller neue Leute kennen als im Hotel."

Und günstig ist es natürlich auch. "Wir profitieren ganz klar von der allgemeinen Teuerungswelle", sagt Sonja Glasmeyer vom Bundesverband der Campingwirtschaft in Deutschland. Im Zelt zu übernachten erfreut sich in Deutschland steigender Beliebtheit, zumal die deutschen Campingplätze zu den günstigsten in Europa zählen. Bei ausländischen Gästen hat Glasmeyer einen neuen Trend ausgemacht: "Die kommen gleich ohne eigenes Zelt und kaufen sich hier in Deutschland ein günstiges." Für Oßwalds Tentstation wäre das gar nicht nötig. Dort werden auch kleine Zelte vermietet - praktischerweise solche, die sich, wenn man den richtigen Griff anwendet, von selbst aufstellen. (Birgit Baumann/DER STANDARD/Rondo/5.9.2008)