Das "Castillo de Guadalerzas" liegt in Yébenes, en la provincia de Toledo

Foto: Juan de Dias de Fernández, www.foroware.com

Foto: Juan de Dios Fernández

Das "Castillo de Mascaraque" liegt in Mascaraque, ebenfalls in der Provinz Toledo. Es ist in Privatbesitz und wird auch bewohnt.

Foto: Juan de Dias de Fernández, www.foroware.com

Foto: Juan de Dios Fernández

Sie haben damals ein bisschen Pech gehabt, als Córdoba, Granada und Sevilla groß herauskamen. Oder viel Glück. Wie man will. Jedenfalls wurde Daroca aus Versehen nicht Weltstadt - obwohl alle Voraussetzungen dafür gegeben waren, die vier Kilometer lange und durchschnittlich zwölf Meter hohe Befestigungsmauer mit ihren 114 Wachtürmen fertig war, die strategische Lage stimmte.

Ritter aus ganz Nordspanien versammelten sich in Daroca, bereiteten hier Feldzüge vor. Sie campierten innerhalb des gewaltigen Rings aus Mauern maurischen Ursprungs, der sich noch heute über Hügel, durch Wiesen, an stillen Bächen vorbei um den Ort spannt. Die Zeiten haben immer wieder Lücken in den Wall gerissen. Doch vielfach stehen die rotbraunen Lehmwände noch, sind von der Sonne längst zu Stein gebrannt, von den Regenfällen der Jahrhunderte poliert.

Diesen Nachmittag sind es ein paar Kinder, die mit Plastikschwertern und bemalten Schutzschilden im Schatten jener Befestigungsanlagen Ritter spielen. Einer der Buben hat eine selbstgebaute Holzlanze und gibt die Kommandos, ein Mädchen im Prinzessinnen-Look mit langem Kleid ist fürs Bewundern da.

Landgewinne der katholischen Könige und ihrer Heere gegen die zurückweichenden Mauren haben den zur Bastion ausgebauten Ort von der Landkarte gewischt: weil er über Nacht keinerlei strategische Bedeutung mehr hatte, Truppen abzogen, niemand nachrückte. Die Kulisse aber hat bis heute überdauert - wie vielerorts in Aragón: Mehr als 700 Burgen und zahlreiche befestigte Dörfer gibt es in dieser spanischen Provinz, die sich im Binnenland von Huesca im Norden fast am Rande der Pyrenäen über Zaragoza bis ins Hinterland von Valencia erstreckt.

Aragón ist Spaniens Burgenland - ein dünn besiedelter Landstrich, 13-mal so groß wie Mallorca, mehr als halb so groß wie Österreich. Eine Gegend, wo jeder mit ein bisschen Fantasie Ritter auf Zeit sein kann. Knapp mehr als 2200 Einwohner hat Daroca heute - viel weniger als im Mittelalter. Die klobigen Stadttore aus gelbem Sandstein und Ziegeln sind noch da. Die Bürger von Daroca sind stolz darauf, haben Fahnen auf die Türme gestellt, lassen sie im Wind flattern und tuckern unten mit dem Traktor durchs Portal.

Bögen jetzt Ritter hoch zu Ross und in vollem Ornat um die Straßenecke, es würde kaum auffallen. Es rundete das Bild nur ab, passt hierher. Der Traktor würde kurz zur Seite fahren, ehe er das mittelalterliche Stadttor passiert: um die Herren mit den Lanzen vorzulassen - oder zumindest die Kinderschar dieses Nachmittags mit ihren Plastikschwertern.

In der Weite Aragóns gibt es noch viele solche Orte, ähnliche Stadttore, vergleichbare Burgen. Und in manchen kann man wohnen, kann selbst für ein paar Nächte Ritter sein, vor meterhohen Kaminen im großen Rittersaal zu Abend essen wie in der Festung von Alcañiz, die gewaltige Freitreppe bis zum Restaurant hinaufstolzieren wie im Castillo de Papa Luna in Illueca und noch ein Stockwerk höher übernachten. Die neue "Ruta de los Castillos de Aragón" verbindet die schönsten dieser Festungen miteinander.

In Alcañiz ist Juan José Esteban so etwas wie der Burgherr. Vorher hat er in einer Bank gearbeitet und nun seit sechs Jahren die Hoheit über jeden der vielen Schlüssel am kiloschweren Bund: Der Mann führt die Burg, deren Ursprünge auf das 12. Jahrhundert zurückgehen als "Parador", als staatliches Burg-Hotel hoch über der Stadt. 37 Zimmer hat es - und den Rittersaal, dessen Flügeltür er abends um halb acht aufschließt: fürs Abendessen unter Kerzenleuchtern. Draußen sind es um diese Zeit nur noch die gelb verglasten Lampen neben dem Portal, die für mattes Licht sorgen. Die Schatten sind lang, und wieder ist es wahrscheinlicher, dass Hufschläge in der hohen, kopfsteingepflasterten Vorhalle dröhnen, als dass ein letztes Auto vorführe. Still ist es in dieser Burg, die hoch über der Stadt thront. Selten nur hallen noch ein paar Schritte durch das herrschaftliche Stiegenhaus, und irgendwo fliegt eine Tür ins Schloss, deren Hall dann ausnahmsweise wie ein Echo durchs ganze Gebäude jagt. Ob Esteban an Spuk glaubt? Er lacht. "Nein, überhaupt nicht. Nicht hier. Nicht bei uns. Nicht in Aragón. Das passt nicht zu unserem Gemüt." Aber stolz ist er: auf "seine" Burg, dieses Ritter-Flair. Und auf den weiten Ausblick vom Burghügel über den Río Guadalope mit den Sümpfen hinweg in die Weite seiner Heimat.

Merche Navarro lebt und arbeitet zweieinhalb Fahrtstunden weiter nordwestlich. "Ich bin die Königin des Kastells", erklärt sie - "drei Stunden am Vormittag, drei am Nachmittag, fünf Tage die Woche": Sie ist so etwas wie das Burgfräulein von Sadaba, weil niemand die Maurenfestung mit den sieben Türmen und den zwei Meter dicken Mauern so gut kennt wie sie. "Vor ein paar Jahren hatte der Staat plötzlich Geld übrig", erzählt sie - "und sanierte kurzerhand die Burgruine." Sogar für ein enges Kassenhäuschen mit Holzfußboden und Schreibtisch im Erdgeschoß des Turmes neben dem Portal reichte das Geld. Seitdem kassiert Merche zwei Euro Eintritt - und schließt zwischendurch kurzerhand, um eine Gruppe Interessierter in Ruhe durch die Festung führen zu können: kein Problem in einer Gegend, wo fast keine Reisebusse unterwegs sind.

Neulich kamen stattdessen Leute aus Hollywood. Sie brachten viel Geld mit, blieben ein paar Wochen eine halbe Autostunde weiter nordöstlich, ließen hämmern, zimmern und renovieren: weil sie die Burg von Loarre auf 1070 Meter Höhe am Südhang der Pyrenäen als Kulisse für ihren Kreuzritter-Film "Königreich der Himmel" auserkoren hatten. (Helge Sobik/DER STANDARD/Rondo/12.09.2008)