Friedenstaube auf Maos Gesicht: Mit seinem Fulgurator, einer umgebauten Kamera, manipuliert Julius von Bismarck Fotos von der Wirklichkeit, so wie hier auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.

Foto: Julius von Bismarck

Julius von Bismarck mit seinen Fulgurator.

Foto: Richard Wilhelmer

Peking. Nacht. August. Der Tian'anmen-Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens gilt als größter Platz der Welt und der am besten bewachte Ort Chinas. Polizisten sorgen für andächtige Ruhe. Im Scheinwerferlicht leuchtet das Tor des Himmels, rote Fahnen bekränzen es. Über dem Rundbogen, dem Eingang zur Verbotenen Stadt, prangt groß das Porträt von Mao.

Blitzlichter flammen auf, Touristen lichten das legendäre Motiv ab. Wer dann sein Bild im Sucherdisplay betrachtet, staunt nicht schlecht: Über dem Kopf von Mao schwebt eine weiße Taube. Wie das? Der Friedensvogel ist in der Realität nicht zu sehen. Woher kommt der Spuk?

Berlin. Abend. 24. Juli. Barack Obama, demokratischer Präsidentschaftskandidat, hält an der Siegessäule eine Rede an die Welt. 200.000 Zuhörer lauschen, Kameras surren, Blitzlichter gewittern, Bilder gehen um die Welt. Und die internationalen Beobachter wundern sich, als sie auf den Displays ihrer Digitalkameras die Veranstaltung durchzappen. Hell leuchtet ein Kreuz auf Obamas Rednerpult. Ein Kreuz, das real gar nicht dort hing. Wieder schießen die Fotografen, zoomen Obama heran, das rehbraune Rednerpult. Kein Kreuz. Klick, klick. Der Blitz lädt. Nochmal klick. Da, auf dem Display sehen sie es erneut: Eindeutig ein Kreuz. Wie das? Werden hier Kameras gehackt?

Gehackte Wirklichkeit

Nichts von alledem und noch mehr. Hier werden nicht Bilder manipuliert, hier wird die Wirklichkeit gehackt. Gezielt und genial. Unter den hunderttausenden Obamaniacs steht ein schlaksiger junger Mann, Kunststudent, schwarzer Bart, wirres Haar, gerade 24 Jahre alt. Er hat eine klobige Spiegelreflexkamera in der Hand, ein analoges Teil aus der Zeit vor der digitalen Revolution. Die Kamera ist mit einem Teleobjektiv ausgerüstet, an der Rückseite sitzt ein Blitzgerät, oben ein kleines Kästchen. Die seltsame Kamera ist: der Fulgurator. Das Gerät, mit dem der junge Mann die Wirklichkeit hackt. Der Bursch heißt Julius von Bismarck, ist Urgroßneffe von Reichskanzler Otto.

Den Image Fulgurator, einen Apparat zur minimal-invasiven Manipulation von Fotos, hat Bismarck selbst erfunden, er sei, beschreibt er die Jahrhunderterfindung auf www.juliusvonbismarck.com, ein Gerät zur physikalischen Manipulation von Fotografien. Es interveniere, wenn ein Bild gemacht werde, ohne dass der Fotograf es merke. Die Manipulation, so Bismarck, sei nur auf dem Bild sichtbar. Während Künstlerkollegen mit Photoshop an digitalen Bildern feilen, das Abbild verändern, ist von Bismarck einen Schritt weiter: Er verändert die Wirklichkeit.

Aber wie funktioniert der subversive Spukgenerator? Genial einfach. Die große Idee hatte die Doppelbegabung aus Künstler und Techniker im November 2006. Da schrieb er die Pläne in sein Notizbuch nieder. Der Fulgurator ist eine Spiegelreflexkamera, gekoppelt mit einem Blitzsensor, der erkennt, wenn in der Nähe ein anderes Blitzgerät ausgelöst wird.

Fulguratorblitz

Der Sensor ist mit dem Auslöser von Bismarcks Kamera verbunden und löst seinerseits einen Blitz aus. Der Fulguratorblitz leuchtet aber nicht nach draußen, sondern in die Kamera hinein, er ist an der Filmklappe montiert und knallt sein Licht durch das optische System der Kamera. Und zwar den umgekehrten Weg: von der Bildebene durchs optische System, das Teleobjektiv, und von dort zu einem anvisierten Objekt. Nachrichten, Bilder und Symbole sind auf speziellen Schablonen angebracht, die ein wenig aussehen wie Dias und ungefähr dort sitzen, wo bei Analogkameras der Filmstreifen liegt.

Einfach gesagt ist der Fulgurator eine Kamera, die zum Diaprojektor umgebaut wurde, der seine Dias in jenen Millisekunden projiziert, in denen anderswo gerade ein Bild geschossen wird. Und dass dies gerade passiert, erkennt der Fulgurator mit seinem Blitzsensor. Einen Pistolengriff hat der Fulgurator nur aus künstlerischen Gründen und um aus größeren Entfernungen besser zielen zu können.

Von Bismarck spielt mit der anarchistisch-martialischen Anmutung seiner Erfindung und hat dem Wirklichkeitsveränderer augenzwinkernd ein Logo verpasst, das an jenes der RAF erinnert. Weit davon entfernt, ein Scherzgerät zu sein, ist die Idee zum Fulgurator mittlerweile patentiert, Werbeagenturen reißen sich um die Rechte, Spamproduzenten wittern Möglichkeiten, Infomüll zu verbreiten. Sogar Anfragen von der Pornoindustrie gibt es. Nada, Bismarck will den Fulgurator selbst einsetzen, künstlerisch-politisch. Er spricht von sich selbst als eine Art Hacker. Die Ars Electronica 2008 hat ihn soeben mit einer Goldenen Nika ausgezeichnet, in der Kategorie Interactive Art.

Von Bismarcks E-Mail-Account quillt derweil über von Hassmails, die ihn einen Terroristen schimpfen. Aber noch mehr Post bekommt er von begeisterten Hackern, von Geeks, Künstlern und Politniks aus aller Welt. Ihr Tenor: Bismarck, du bist ein verdammtes Genie!Andrea Maria Dusl/Der Standard/rondo/12/09/2008)