Quallen bewegen sich mit einer geisterhaften Eleganz. Sie ziehen ihren Schirm zusammen und gleiten mit rhythmischen Rückstößen wie talentierte Rückenschwimmer durch das Wasser. Das macht die gallertartigen Organismen, die beim Menschen juckende, schmerzende Ausschläge verursachen können, natürlich noch lange nicht sympathisch. Es macht sie allenfalls interessant, vor allem für Techniker und Designer, die den Bauplan der Natur als Maß aller Dinge für neue Entwicklungen nehmen.
Vorbild Qualle
Die Qualle wurde so zum Vorbild für ein neuartiges Flugobjekt, für den Air Jelly von Festo, der nun auf der Fachmesse Vienna Tec (7. bis 10. Oktober, Messe Wien, Halle C, Stand 0401) vorgestellt wird - und soll als biologisches Ideal für die Industrieproduktion eine ähnliche Karriere machen wie das wärmeisolierende Eisbärenfell oder die energiesparende Haifischhaut.
Das auf Steuerungs- und Automationstechnik spezialisierte deutsche Unternehmen arbeitet schon seit Jahren an derartigen Produkten. Im "Bionic Learning Network" versucht man in Zusammenarbeit mit Studenten, Hochschulen, Instituten und Entwicklungsfirmen Ideen zu fördern, die vielleicht übermorgen interessante Anwendungsgebiete sein könnten.
Dabei werden zum Beispiel Roboterarme gebaut, die bereits in der Industriefertigung eingesetzt werden, aber eben auch Unikate wie die per Funk ferngesteuerte Luftqualle angefertigt. Weil das Forschungsprojekt Air Jelly optisch einiges hergibt, ist es auch Bestandteil des Corporate Design. Als solcher vermittelt das Ding natürlich eine Botschaft: neugierig in die Zukunft blicken. Und der Natur verbunden sein.
"Haut" des Meerwasser-Organismus
Beim Bau des Flugobjekts hat man einiges übernommen, um dem biologischen Ideal möglichst nahe zu sein: Die Qualle besteht beinahe zu 100 Prozent aus Wasser, die "Haut" des Meerwasser-Organismus wiegt fast nichts. Nach ähnlichen Prinzipien ist auch das Luftschiff aufgebaut: Sein zentraler Ballon, der einen Durchmesser von 1,35 Metern hat, ist mit Helium gefüllt.
Einzige Energiequelle sind zwei Akkus, die in einer halben Stunde aufgeladen werden können. Ein daran angeschlossener zentraler elektrischer Antrieb überträgt die Kraft auf ein Kegelrad und anschließend nacheinander auf acht Stirnräder. Diese Stirnräder bewegen acht Wellen, die jeweils eine Kurbel in Gang setzt, welche die acht Tentakel der elektrischen Qualle bewegen.
In der Natur sind diese Fangarme mit Nesselzellen ausgestattet, die meist giftig sind und zur Verteidigung und zum Fang von Beutetieren dienen. Beim Flugobjekt sorgen die Tentakel durch ihre peristaltische Bewegung, durch das rhythmische Zusammenziehen, für den Antrieb. Bei Luftschiffen ist das neuartig, was die Entwickler von Festo eigentlich wundert: Seit der ersten bemannten Gasballonfahrt mit einer einem Schiffsrumpf nachempfundenen Gondel durch Jacques Alexandre César Charles vor 225 Jahren habe sich kein Ingenieur gefunden, der die seit 500 Millionen Jahren in den Meeren lebenden Quallen genauer unter die Lupe genommen hat.
Steuern mit Gewichtsverlagerung
Gesteuert wird der Air Jelly schließlich durch Gewichtsverlagerung. Dafür wird ein 0,55 Meter langes Pendel über zwei im oberen Bereich der Luftqualle - die Festo-Techniker sagen "Nordpol" dazu - sitzende Motoren in mehrere Richtungen ausgelenkt. Bewegt sich das Pendel zum Beispiel nach Nordosten, so verlagert sich der Schwerpunkt des Air Jelly auch dorthin - das Luftschiff "schwimmt" nun nach Nordosten.
Die fliegende Qualle ist freilich nicht das erste Festo-Entwicklungsprojekt, das nach einem Vorbild aus den Tiefen der Meere entworfen und umgesetzt wurde. Zuletzt reiste man mit dem Air Ray zu Messen und Ausstellungen. Vorbild für dieses Corporate-Design-Produkt war der Mantarochen. Der Air Ray ist eine ferngesteuerte Hybridkonstruktion, bestehend aus einem mit Helium gefüllten Ballonett und einem komplexen Schlagflügelantrieb. Aufgrund seiner leichten Konstruktion kann er mit dem Auftrieb des Heliums annähernd so im Luftmeer "schwimmen" wie der Mantarochen im Wasser: sehr langsam, bedächtig und im vollkommenen Rhythmus der Bewegungen. (Peter Illetschko/Der Standard/rondo/26/09/2008)