Bronner und sein Herausgeberethos: "Ich bin nicht immer einer Meinung mit allem, was bei uns erscheint."

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Den STANDARD gab es damals schon, als der vielbewunderte, früh verstorbene Herbert Riehl-Heyse (1940-2003) 1990 begann, "ein wenig genauer zu untersuchen, unter welchen Bedingungen welche Art von Journalismus jeweils zustande kommt". Nach fünf Jahren entstand aus dieser Recherche ein Buch: Götterdämmerung - Die Herren der öffentlichen Meinung (Berlin 1995) über die Bedingungen, unter denen "großer Journalismus" überhaupt entstehen kann. Seine - manche doch überraschende - Antwort: "Die erste Erkenntnis war eine Binsenweisheit, die merkwürdigerweise nur noch gelegentlich in nostalgischen Geburtstagsartikeln und da auch eher am Rande formuliert wird. Es ist die Erkenntnis, dass die erwähnten Bedingungen in der Geschichte unserer Republik meist sehr konkrete Namen hatten: Dass es ohne Augstein keinen Spiegel, ohne Bucerius keine Zeit, ohne Nannen keinen Stern gegeben hätte, liegt genauso offen zutage wie die Tatsache, dass es solche Persönlichkeiten heute immer weniger gibt."

Oscar Bronner fand nicht Eingang in Riehl-Heyses Galerie, denn keine der 15 dort porträtierten Personen war jünger als 66 Jahre, mancher aber 90 und darüber. Inzwischen sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Und diese Rezension als "Geburtstagsartikel" kann ohne alle Nostalgie formulieren, dass es hier genau um eine solche "Persönlichkeit" geht: Ohne Bronner gäbe es keinen trend, kein profil, keinen STANDARD und kein derStandard.at - und das, obwohl dieser Verleger sich eine Auszeit von zwölf Jahren nahm, um in New York als Bildhauer und Maler zu leben. Anders formuliert: Ohne diesen Mann gäbe es auf Österreichs Medienmarkt das Segment "Qualitätsjournalismus" nicht. Damit beleidigt man keineswegs Blätter wie Die Presse oder die Salzburger Nachrichten, denn deren Zuschnitt 1988 war mit ihrem heutigen nicht vergleichbar.

Wettbewerb um Qualität


Das ist neben seinem eigenen, auch ökonomischen Erfolg, der ihm nach 20 - darunter vielen prekären - Jahren nun sogar den Zurückkauf der Anteile des Süddeutschen Verlages ermöglichte, sein geradezu epochales Verdienst: In einer Landschaft boulevardversessener Zeitungs- und Magazinmonopolisten, angesichts einer beispiellosen Medienkonzentration tritt hier ein findiger Unternehmer auf und zwingt andere Medien zu einem Wettbewerb um Qualität. Oscar Bronner hat sich um den Journalismus und die politische Öffentlichkeit in Österreich verdient gemacht. Zumal mit der Neugründung einer Tageszeitung gab er der in den 80er-Jahren sich beschleunigenden Modernisierung des Landes die längst erforderliche journalistische Arena für eine offene Gesellschaft, ein wirklich unabhängiges Blatt nach internationalem Muster und mit überregionalem Anspruch.

Das neue Blatt passte gar nicht in die Planungen der Politik, einiger Wirtschaftskreise und - verständlicherweise - seiner Konkurrenten. Welche erschreckenden, infamen und oft kleinkarierten Geschichten sich hinter den Kulissen zutrugen, das protokolliert erst diese Oscar-Bronner-Story der beiden Journalisten Klaus Stimeder und Eva Weissenberger, der sie darum diesen Titel geben mussten: Trotzdem. Wenn man diese oft in fesselndem Staccato erzählten 200 Seiten gelesen hat, ist man geneigt, sich heute noch zu wundern, dass man "trotzdem" dieses lachsrosa Produkt immer so zuverlässig täglich lesen konnte.

Dabei wundern einen weniger die detailliert protokollierten finanziellen Schwierigkeiten und Hürden, die ein Privatmann, der leidenschaftlich etwas unternehmen will, bewältigen muss, als vielmehr der Mief, der Oscar Bronner aus Teilen des Wiener Establishments entgegenschlägt. Es war die Jetzt-erst-recht-Waldheim-Zeit. Das las sich noch vor Erscheinen der ersten Nummer so: "In New York lebend, gelang es ihm, Bronner, in Zeiten wie diesen, unschwer kapitalstarke Persönlichkeiten aus Finanzkreisen der Ostküste für das zunächst abenteuerlich scheinende Projekt zu interessieren. Der Wirbel um Waldheim, das einhellig negative Auslandsecho, die Attacken des jüdischen Weltkongresses waren Anlass genug. Person und Herkunft von Bronners Blattmacher (gemeint war Peter Sichrovsky!) lassen freilich darauf schließen, dass die Intentionen der Proponenten nicht nur kaufmännische sind."

Dass da ein - auch heute noch als Spezialist für Zeitgeschichte tätiger - Kollege so unverhohlen die antisemitische Klaviatur bediente, um künftige Konkurrenz abzuwehren und sein ehrenwerter Chefredakteur dieses Pamphlet passieren ließ, bleibt schandbar, fand damals aber keineswegs eine empörte Öffentlichkeit. Noch konnte man sich in diesen Journalistenkreisen damals eine Zeitung offenbar nur als Tendenzblatt, Predigtkanzel und Kampfblatt vorstellen, und nicht als eine weltoffene, liberale Zeitung.

Wir schreiben ausgewogen ...

Dabei ist gerade dieses Thema Judentum - und das inkludiert notwendigerweise auch Israel - schlagend, wenn man Oscar Bronners Zeitungsphilosophie begreifen will. In der neuen Nummer von nu (Nr. 33/9/2008) findet sich ein bewegendes Gespräch, das Danielle Spera und Peter Menasse mit Oscar Bronner geführt haben.

Die beiden konfrontieren ihn mit Klagen, dass DER STANDARD - angesichts der vielen israelkritischen Medien in Österreich - selbst auch "überkritisch gegenüber Israel sei". Seine Antwort: "DER STANDARD ist kein Organ einer politischen Gruppierung oder einer Interessengruppe. Daran ändert auch das Faktum nichts, dass ich Jude bin und in Israel geboren wurde. Wir schreiben ausgewogen ... Wir sind eine österreichische Tageszeitung." Die beiden haken nach und mahnen an, dem "latenten Antisemitismus und der antiisraelischen Stimmung in Österreich mehr entgegenzusetzen". Darauf Bronner wieder (s)ein spezifisches Herausgeberethos formulierend: "Ich bin nicht immer einer Meinung mit allem, was bei uns erscheint, aber das betrifft nicht nur Israel. DER STANDARD ist eine unabhängige Zeitung, und diese Unabhängigkeit, auch von meinen persönlichen Vorlieben, wird täglich gelebt." Bei der Gründung des STANDARD überwogen die Zweifel, dass in einem vom Partei-, Gesinnungs- und Kampagnenjournalismus verseuchten Land eine solche - westliche, demokratische, moderne, aufklärerische - Idee von Journalismus wirtschaftlich funktionieren könne. Die Reaktionen auf seine - für den ganzen deutschsprachigen Raum - Pioniertat einer Online-Zeitung waren ähnlich.

Reichweite

Bronner ließ sich nicht ausreden, dass es auch in Österreich nicht nur Zeitungsanalphabeten gibt. Den Beweis dafür in 20 Jahren täglich geliefert zu haben war kein Zuckerlecken; und vielen von uns, (Kommunikations-)Wissenschaftlern, Intellektuellen, den wohlgesonnenen Kollegen schien die Zahl dieser passionierten Leserinnen und Leser manchmal enttäuschend niedrig. Aber da macht der Blick in andere Länder - nicht gerade in die Schweiz als untypisches Zeitungsland -, aber etwa nach Deutschland, schnell realistisch; auch dort hält sich die Reichweite von Qualitätszeitungen in Grenzen. Und in den USA haben manche derzeit sogar zu kämpfen. Österreich ist ein kleines Land, in dem auch die Auflagenzahlen notwendig kleiner sind; wenig sind 76.775 Exemplare nun auch nicht, und eine Reichweite von 5 Prozent lässt sich im internationalen Vergleich durchaus sehen.

Geradezu eine unternehmerische Heldengeschichte

Vor solchem Hintergrund schildert dieses intensiv recherchierte Buch geradezu eine unternehmerische Heldengeschichte. Dass diese sich in einer Branche abspielte, in der Herbert Riehl-Heyse schon am Ende des vergangenen Jahrhunderts für verlegerische Persönlichkeiten die Götterdämmerung kommen sah und den Dienstantritt rechenhafter Betriebswirte, mag wie ein anachronistisches Wunder erscheinen. Aber es ist Realität, geradezu symbolhaft gekrönt durch den Zurückkauf aller Anteile, die immer wieder bei anderen lagen. Oscar Bronner will nun wieder malen - offenbar, weil er sicher ist, dass nach einer langen, von ihm initiierten journalistischen Lerngeschichte nun jüngere, andere auch die Zeitung machen können, die er gerne lesen möchte. Gut zu wissen, dass trotzdem als Titel weiter stehen wird: DER STANDARD, herausgegeben von Oscar Bronner. (Wolfgang Langenbucher, DER STANDARD; Printausgabe, 18./19.10.2008)