Meinrad Neunkirchner ist wieder da und kocht in einem Vorstadtwirtshaus die ganz große Wiener Küche.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

In einer engen Gasse gegenüber der Vorortelinie-Station Gersthof hat vergangene Woche ein "Gourmet-Gasthaus" eröffnet. Keine besonders elegante Bezeichnung, dafür kann sich aber jeder etwas darunter vorstellen - bloß halt jeder etwas anderes. Dieses hier wirkt auf angenehme Weise bescheiden, der Schankwein kommt auf gerade einmal 1,50 Euro. Die Wirtshausbänke und die meisten Tische sind alt, Schank, Lamperie und der Boden nicht. Im Garten steht ein alter Maulbeerbaum, im Sommer kann man da sitzen und durch ein Fenster in die Küche schauen. Das allein ist gut. Wenn in dieser Küche aber Meinrad Neunkirchner werkt, dann wird es zum Ereignis - ganz speziell wenn er so in Form ist wie derzeit. Der Mann, dessen Erscheinung wie ein Sinnbild für die Lust am guten Kochen und Essen wirkt, hat wieder eine Bühne. Man kann nur hoffen, dass es diesmal für beide passt.

Speisekarte aus dem Wirtshaushimmel

Denn Neunkirchner, dem im Vincent einst drei Hauben aufgesetzt wurden, ist einer der wenigen wirklich begnadeten Köche des Landes. Und: So unvermittelt wie in diesem kleinen Vorstadtwirtshaus hat er seine Kunst schon ewig nicht mehr ausgelebt. Neunkirchner kocht eine scheinbar einfach gestrickte Gasthausküche, in der knusprige Blunzenscheiben genau so ihren Platz haben wie kaltes Rindfleisch mit Kernöl oder ein Kalbswiener mit gemischtem Salat. Dementsprechend liest sich die Karte, als wäre sie direkt aus dem Wirtshaushimmel diktiert worden. Von Seesaibling mit gebratener Topinambur und Safranspinat (und was für ein Spinat!) bis zu Schweinshaxelragout von ultimativer Molligkeit, vom weltbesten, unbeschreiblich knusprigen, saftigen, hinterrücks mit Kräutern aufgemotzten, gebackenen Karpfen auf einer Dillgurkensalat gewordenen Eingebung bis zum rosa gedämpften Rehkitz mit Rotkrautsalat: So beglückend, so groß hat die Wiener Küche schon verdammt lang nicht mehr geschmeckt. Dabei war von Neunkirchners Bruckfleisch oder seinem Nußpudding auf Hollerkoch noch nicht einmal die Rede.

Die Preise dürfen als vernachlässigbar gelten: Das teuerste Gericht steht mit 18 Euro in der Karte. Im Menü um gerade einmal 28 Euro setzt der Meister zu einem Rundflug über zwölf Miniaturen seiner Gerichte an, den man nicht so bald vergisst. Bloß gibt es bei Neunkirchner eben stets die eine Frage: Wie lange noch? Derweil schaut es gut aus, dass er hier, im Gegensatz zu vielen seiner vorigen Stationen (zuletzt Spillerner Gastwirtschaft) länger glücklich werden kann: Geöffnet ist, außer sonntags, nur am Abend, sodass Zeit für seine anderen Betätigungsfelder bleibt. Betreiberin Eva Homolka darf als gastronomische Kapazität gelten - die Schwiegertochter des legendären Emmerich Oswald ist in zwei Weihestätten des Wirtseins groß geworden: im Oswald & Kalb und dem Kaffee Alt-Wien, zu einer Zeit, als die beiden Lokalitäten in der Bäckerstraße noch als Epizentren der (ja, das gab's mal) Wiener Szene gelten durften. Allerdings: Mit nur einem Mann im Service scheint die Personaldecke angesichts des zu erwartenden Ansturms denkbar dünn - das riecht nach Chaos.(Severin Corti/Der Standard/rondo/14/11/2008)