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Trug eine Frau einen Anzug (und sah sie darin auch noch so umwerfend aus wie die Dietrich), dann war eines klar: Mode ist Verkleidung, bei Männern genauso wie bei Frauen.

Foto: AP/Miguel Villagran

Stephan Hilpold über die küssende Marlene, Politikerinnen im Anzug und darüber, weshalb Männer Röcke nicht mögen.

Der Aufstieg des wichtigsten Männermodemachers des vergangenen Jahrzehnts ist untrennbar mit Frauen verbunden. Sie waren es, die sich in die eng geschnittenen Sakkos oder die schmalen Jeans von Hedi Slimane zwängten, dem (bis vor einigen Saisonen) Chefdesigner von Dior Homme. Wie hätte es auch anders sein sollen? Ein normal gebauter Mann schaute angesichts von Slimanes Schrumpfmaßen aus wie eine Knackwurst – falls er es denn überhaupt irgendwie in die Kreationen schaffte.

Die Männermode ist auf die Frauen gekommen – oder war es vielleicht doch umgekehrt? Die Liebesaffäre der Damenwelt mit der Herrengarderobe dauert nämlich schon etwas länger an. Erst war es ein verschämter Griff in die Kästen des Mannes oder des Bruders, dann ein wütendes Unter-den-Nagel-Reißen, mittlerweile ist das Ganze ein Spiel mit Codes und Zuschreibungen. Der klassischen Herrengarderobe – und um die geht i i es hier – ist der Gestus der zeitlosen Eleganz, des unauffällig Seriösen, des ganz und gar nicht frivolen Modischen zu eigen. Man verkleidet sich nicht, so das Stereotyp, sondern zieht sich passend zu sich selbst an. "Authentisch" wird das Verhältnis des Mannes zur klassischen Mode genannt.

Jahrhundertelang hat die Mode daran gearbeitet, diesen Effekt als durch und durch "natürlich" darzustellen – genauso natürlich wie Frauen in Röcken oder Damen in Kleidern. Aber dass ein Mann im Anzug näher bei sich sein sollte als – sagen wir – ein Herr im Fummel, das ist natürlich lächerlich. Letzteres war dennoch über Jahrhunderte weitaus eher gesellschaftlich akzeptiert als Frauen im Anzug.

Ein Kuss in Männerklamotten

Als Marlene Dietrich Anfang der Dreißiger in einem eleganten Männeranzug und mit burschikoser Geste ihre Filmpartnerin mitten auf den Mund küsste (im Film "Marocco", 1930), war das ein Eklat. Oder anders ausgedrückt: Es war ein Angriff auf eine Bastion, die die Männerwelt mit allen Mitteln verteidigen wollte, nämlich ein Angriff auf ihre zweite Haut. Trug eine Frau einen Anzug (und sah sie darin auch noch so umwerfend aus wie die Dietrich), dann war eines klar: Mode ist Verkleidung, bei Männern genauso wie bei Frauen. Das Wissen darum bringt eine jahrhundertelang gewachsene Kleiderordnung durcheinander.

Es dauerte folgerichtig auch etwas länger, bis sich die weiblichen Spielarten der klassischen Männergarderobe auf breiter Front durchzusetzen begannen, bis Yves Saint Laurent Ende der Sechziger seinen Smoking für die Damen vorstellen konnte und Giorgio Armani in den Achtzigern dem weichen Hosenanzug für die Frau einen regelrechten Siegeszug verschaffte.

Jean-Paul Gaultier propagierte zur selben Zeit den Rock für den Mann: Dieser blieb ein gern belächeltes Gedankenkonstrukt, das es nie auf die Straße (außer bei irgendwelchen Gay-Prides) geschafft hat. Die Karriere des Hosenanzugs verlief anders: Er ist bis heute mit der Sphäre der Macht verbunden, ja aus dem Dresscode von Politikerinnen und Vorstandsvorsitzenden (soweit es solche überhaupt gibt) ist er nicht wegzudenken.

Madonne hat die Antwort

Die Erklärung dafür ist traurig, aber banal: Für einen Burschen, sang Madonna in "What it feels like for a girl", sei es erniedrigend, wie ein Mädchen auszuschauen – "cause you think that being a girl is degrading." Jean-Paul Gaultier kann ein Lied davon singen. Kleidet sich eine Frau wie ein Mann, so ist das im Umkehrschluss noch immer eine Art Upgrading. Karriereratgeber empfehlen Frauen bis heute, auf zu starke weibliche Reize zu verzichten. Im Klartext bedeutet dies, dass erst die Neutralisierung der eigenen Geschlechtlichkeit den Aufstieg auf der Karriereleiter ermöglicht. Traurig, aber in der Praxis wird der Beweis nach wie vor viel zu oft erbracht.

Als die deutsche Kanzlerin bei der Eröffnung der Osloer Oper im April die- i i ses Jahres (dem Anlass entsprechend) eine äußerst attraktive Robe mit einem ausladenden Dekolleté trug, überschlugen sich die Zeitungen ob dieses Tabubruchs. Merkel und Busen, das scheint nicht zusammenzupassen.

Selbst Carla Bruni, die als Model in den aufreizendsten Kleidern posierte, ist seit ihrer Ehe fast nur mehr in den schlichtesten Dior-Kostümen zu sehen – oder im Hosenanzug. Sexy schaut sie auch darin aus. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/05/12/2008)