Antibes an der Côte d'Atzur. Nach zweijähriger Umbauzeit wurde das Picasso-Museum in Antibes wiedereröffnet. 1946 hatte Picasso hier im Château Grimaldi erstmals die Staffelei aufgestellt.

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Der Strand von Antibes.

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Da steht sie, mitten auf dem kleinen Hauptplatz von Vallauris: In der Kunstgeschichte hat die Bronzegruppe "Mann mit Lamm" ihren fixen Platz, nicht nur, aber auch, weil ihr Schöpfer Pablo Picasso ist. Der Witterung und Belagerung von Vögeln ist sie ausgesetzt, und selbst Kinder dürfen auf dem etwas mehr als zwei Meter hohen Kunstwerk turnen. Das war der ausdrücklich Wunsch des Künstlers.

Für Sammler dürfte der Wert sechs-, wenn nicht siebenstellig sein. Nach unzähligen Skizzen und monatelanger Überlegung habe Picasso das der Bronze zugrunde liegende Modell an einem Nachmittag ausgeführt, "seine langen, mageren Beine, seine gerade nur angedeuteten, kaum ausgearbeiteten Füße? Ich hätte sie gern so modelliert wie das Übrige. Aber ich hatte keine Zeit", wird der Künstler in "Picasso - Das plastische Werk" zitiert.

1946 hat er zusammen mit einigen Freunden den kleinen Ort unweit der Côte besucht. Dank der reichen Tonvorkommen wird hier seit der Antike Keramik produziert. In der Töpferei Madoura entstehen erste Versuche, die für ihn völlig neue Technik findet Aufnahme in sein OEuvre. Und dann lockt ihn zwischenzeitlich doch das unweit und idyllisch am Meer gelegene Antibes, aber dazu später. Im Sommer 1947 lässt er sich jedenfalls mit seiner Gefährtin Françoise Gilot in Vallauris nieder und widmet sich in den folgenden vier Jahren nahezu ausschließlich der Töpferkunst.

Davon profitiert die 25.700-Einwohner-Gemeinde noch heute, der Schöpfergeist Picassos soll wohl das Geschäft mit Souvenirs ankurbeln: Die entlang der Hauptstraße aufgefädelten Geschäfte sind mit Keramik vollgestopft, bunt sind sie jedenfalls, von künstlerischer Bedeutung nur in wenigen Ausnahmefällen. Kitsch hat hier das Sagen und seit 2007 auch ein eigenes Museum. Alle zwei Jahre bietet eine Biennale zeitgenössischer Keramikkunst ein Forum, die nächste ist für 2010 avisiert und wird natürlich auch von den lokal angesiedelten Künstlern bestückt.

Auf der Spurensuche nach dem Genie werden Interessierte im lokalen "Museé National Picasso" mit einem halben Dutzend seiner Teller nur bedingt fündig. Immerhin, in der Kapelle stößt man - nach "Guernica" (1937) und "Massaker in Korea" (1951) - hier auf seine letzte große, den Pazifismus thematisierende Arbeit: Die einzelnen Holzfaserplatten hatte Picasso im Atelier bemalt, anschließend wurden sie vor Ort zusammengepuzzelt, seit 1952 besinnt man sich also vor dem Wandepos "Krieg und Frieden". Malerei, so proklamierte Picasso kriegerisch, "ist nicht dazu da, die Appartements zu schmücken. Sie ist eine Waffe zu Angriff und Verteidigung gegen den Feind."

Die Region hat mit der Erschließung als Touristenmekka stets von jenem Ruhm genascht, den international große Künstlernamen dank ihrer Aufenthalte hinterließen. Die künstlerischen Dokumente verschiedenster Stilrichtungen mit den meist recht traditionellen Côte-Motiven sind weltweit verstreut. Einem Teil davon hat man in Antibes einen Künstlerpfad gewidmet, für den sich allerdings eine von der lokalen Tourismusorganisation geführte Tour empfiehlt. Aus Sicherheitsgründen, da Menschentrauben am Straßenrand von rasanten Autofahrern vermutlich weniger schnell übersehen werden.

Unbedenklicher sind individuelle Streifzüge durch die ganzjährig geöffneten kleineren und größeren Museen der Provence, einmal beherbergen sie nur eine kleine Auswahl an Kunstwerken, dann wieder Hundertschaften. Marc Chagall (Musée National Marc Chagall, Nizza) gilt es ebenso zu nennen wie Fernand Léger, dessen Witwe 1967 in Biot ein stattliches Museum erbauen ließ, das nach vier Jahren Renovierung im Juni 2008 wiedereröffnet wurde.

Das "Musée national Fernand Léger" beherbergt insgesamt rund 450 Werke des Künstlers, 348 aus dem Nachlass, der Rest sind Leihgaben aus nationalen Beständen, wie jenem des Pariser Centre Pompidou. Prädikat "sehenswert" auch die zu einer Ruhepause einladende und von imposanten Schirmpinien umgebene Gartenanlage.

Das ursprünglich für seine Töpferwaren bekannte Dorf Biot hat sich mittlerweile auf Glaskunst spezialisiert. Auf der Rückfahrt in Richtung der zwei Kilometer entfernten Stadt Antibes lohnt eine Stippvisite in den Werkstätten der Glasbläser allemal. Die sonst in den traditionellen europäischen Glaszentren verpönten Lufteinschlüsse sind hier zum Markenzeichen geworden. Die filigranen Trinkservice werden längst auch in stoßfestem Kunststoff angeboten, eine Outdoor-Version inklusive der kleinen Luftbläschen.

Der krönende Abschluss einer der Kunst gewidmeten (Tages-)Partie muss aber Picasso vorbehalten bleiben. Kein anderes Museum dieser Region bietet eine vergleichbare Atmosphäre, womöglich werden es versierte Kunstflaneure sogar als das weltweit einzige dieser Art beurteilen.

Nach zweijähriger Umbauzeit ist das mitten in der Altstadt von Antibes thronende Picasso-Museum seit Mitte Juli wieder für Besucher geöffnet. Im Sommer 1946 hatte er hier im Château Grimaldi erstmals seine Staffelei aufgestellt. Nach einem kleinen Frühstück verbrachten Pablo und Françoise das erste Tagesdrittel stets am Strand. Erst nachmittags überfiel ihn seine charakteristische Rastlosigkeit, und er flüchtete ins Atelier. Von seiner Arbeitswut zeugen auch die innerhalb weniger Wochen entstandenen und später der Stadt Antibes überlassenen 23 Gemälde und 44 Zeichnungen. Rein mengenmäßig ist dieses Kontingent natürlich ein winziger Teil des bis zu seinem Tod geschaffenen umfangreichen OEuvres, aber es ist in der Qualität definitiv nicht das schlechteste.

"Wenn Sie Picassos Werke über Antibes sehen wollen", so empfahl der Meister selbst, "müssen Sie nach Antibes kommen." Na also. Und, wer jemals auf der Terrasse des Château Grimaldi gestanden ist und sich in diesem stillen und deshalb so beeindruckenden Blick auf die Côte verloren hat, begreift: Wahrlich, Künstler haben schon immer zu leben gewusst. (Olga Kronsteiner/DER STANDARD/Rondo/4.12.2008)