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Blumenzwiebeln: Nichts ist verloren, solange der Boden noch nicht gefroren ist.

Foto: APA/dpa/PeerGrimm

Mit den Blumenzwiebeln verhält es sich so ähnlich wie mit den Schokonikoläusen, den Krampussen und den Osterhasen. Diese glitzerhüllenüberzogenen Schokoladegestalten tauchen bereits zu dermaßen absurden Zeiten in den Supermarktregalen auf, dass ein innerer, nur durch feine psychologische Interpretationen erklärbarer Widerstand schlichtweg verhindert, diese Utensilien glücklicher Kindheiten schon ab Anfang Oktober oder Jänner zu erwerben. Ist man ein konsumgesellschaftsgepeitschter Irrer, oder was?

Lehrbuchweisheiten

Wenn dann allerdings die entsprechenden Stichdaten ganz nahe gerückt sind und man endlich das geistig-stimmungsmäßige Rüstzeug hätte, saisonal gerecht zuzuschlagen, sind sie meistens ausverkauft. Mit den Blumenzwiebeln, die laut zeigefingererhobener Lehrbuchweisheit selbstverständlich ungefähr im September, allerspätestens aber im Oktober vergraben gehörten, um den nächsten Frühling dann mit betörenden Farbenorgien im ansonsten noch traurig grauen Ambiente einzuläuten, verhält es sich ganz ähnlich: Man kauft sie ungefähr im Hochsommer, weil dann die Körbe in den Grünmärkten schier überquellen vor Tulpen-, Narzissen-, Krokus- und Sonst-was-Allerlei.

Doch in der Folge bringt man dann aber irgendwie nicht die Kraft auf, sie rechtzeitig einzubuddeln.Denn die Beete stehen zu diesem Zeitpunkt noch in voller Blüte, jeder Quadratzentimeter ist aufs Erfreulichste überwuchert, ein aufgrabbares Dazwischen ist einfach nicht vorhanden. Irgendwann, so denkt man sich, wird es ja doch Herbst und kahl und dann, ja dann wird sofort zum Schäufelein gegriffen und der Pflicht Genüge getan werden.

Ja, genau das denkt man - viele, viele Wochen lang.Und dann halten wir hier, wo wir jetzt stehen, nämlich kurz vor Weihnachten. Und die Zwiebeln lagern in ihren Säcken im Kühlen, und eingegraben ist gar nichts, und Selbstzweifel nagt am gärtnerischen Ego wie der Drahtwurm am Gemüsestrunk.

Keine Selbstzweifel bitte

Doch verzaget nicht. Nichts ist verloren, solange der Boden noch nicht gefroren, also wie der Bauer sagt "offen" ist. Wer seine Zwiebeln jetzt erst eingräbt, wird sich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit trotzdem im Frühling an ihren Blüten erfreuen dürfen, denn diese Zwiebeln verzeihen mehr als die meisten anderen Gartenkreaturen.

Sollten Sie allerdings das Pech haben, in den kälteren Regionen des Landes beheimatet zu sein, woselbst bereits Schnee und Eis regieren und der Boden "zu" ist: Versenken Sie die armen, vernachlässigten Teufel halt in geräumigen Wannen und Bottichen und stellen Sie die Angelegenheit unverzüglich ins Freie.

Kitschig schönes Frühlingsambiente wird das Resultat sein, das so ausschaut, als sei es direkt den lieblichsten Frauen- und Gartenmagazinen entsprossen. Weil, wie gesagt, auf Blumenzwiebel ist Verlass. Und wer seine Latifundie damit bestücken will, kann vorgehen wie seinerzeit die Göttin der englischen Gärten, die Sissinghurst-Dame Vita Sackville-West.

Um eine gewissermaßen natürliche Unordnung und Lässigkeit in den Narzissenhain auf der Wiese zu erzielen und um künstlich wirkende Symmetrien tunlichst zu vermeiden, nahm sie die Position des späteren Betrachters ein und warf die Blumenzwiebeln in großen Mengen und mit weit ausholenden Bewegungen ins Gras. Exakt dort, wo sie zu liegen kamen, wurden sie eingegraben. Vielleicht sogar erst im Dezember, wer weiß. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/12/12/2008)