Grafik: DER STANDARD

Für den Himmel über Toruñ interessierte sich Kopernikus nicht. Er begann sein Astronomiestudium erst in Krakau.

Foto: wikipedia.org/Pko

Barbara Watzenrodes Hebamme tauchte das Kind in ein warmes Bad und wickelte es in kreuzgebundene Windeltücher, wie es üblich war zu jener Zeit in den Häusern der Bürgerfrauen. Wie damals bei jeder Geburt, so stand auch an jenem kalten Februartag des Jahres 1473 der Tod Pate. Doch der Bub überlebte, und man taufte ihn auf den Namen des Vaters, Niklas Koppernigk. Als Domherr und Administrator Nicolaus Copernicus, wie er sich selbst später schrieb, wurde er bekannt - auch wenn seine "Hirngespinste" der Kirche damals nicht gefielen. Die Erde soll sich um die Sonne drehen?

In Thorn dreht sich heute alles um den Mann, der unser Weltbild verändern sollte. Thorn heißt heute Toruñ und Copernikus Kopernik. Aber Kopernik nennt sich auch die Fabrik, die das berühmteste kulinarische Erbe der Stadt hochhält: den Thorner Lebkuchen. Seine Geschichte reicht weit zurück bis in die Zeit vor Kopernikus.

Wo bedeutende Handelswege sich kreuzten wie in der Hansestadt Thorn, waren professionelle Lebkuchenbäcker am Werk. Seit dem 14. Jahrhundert backen sie den Thorner Lebkuchen, aus kleinen Werkstätten wuchs über die Jahrhunderte eine ganze Industrie. Erst im 19. Jahrhundert begann Massenproduktion das traditionelle Handwerk zu verdrängen.

Ganze 40 Bäcker gab es dagegen am Ende des 16. Jahrhunderts. Wenngleich sie keine eigene Zunft bildeten, richteten sie sich nach den strengen Statuten der Bäckerinnung. Es war bereits die Zeit des Kopernikus, die Blütezeit Thorns, als wohlhabende Patrizier in Architektur und Kunst investierten, als reiche Kaufleute das Stadtbild gestalteten und Handwerker sich mit prächtigen Zunfthäusern ein Denkmal setzten.

Nicht ohne Grund hat die Unesco die Thorner Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt. Heute lassen sich Touristen durch die Gassen treiben, um über die Backsteingotik die Welt der mittelalterlichen Hanse-Macht zu erspüren. Bauwerke aus dem 14. und 15. Jahrhundert wie Stadtmauer, Kornspeicher und Bürgerhäuser, wie Dom und Kirchen, wie Wehrtürme und sogar ein schiefer Turm machen dem Besucher die Zeitreise leicht. Ruinen einer Ritterburg des Deutschen Ordens erinnern an ein verzwicktes deutsch-polnisches Geschichtskapitel. Verstrickt war darin auch Nikolaus Kopernikus. Zwar deutscher Herkunft, stand er fest auf der Seite der polnischen Krone. Wieder und wieder stößt der Reisende auf Kopernikus. Das Kopernikus-Haus an der Kopernikus Straße. Das berühmte Thorner Porträt des Astronomen. Sein Denkmal vor dem Altstädtischen Rathaus. Die größte Universität Nordpolens: nach ihm benannt.

Vielleicht wird der Besucher aber auch Kopernik bekommen, wenn er Kopernikus sucht. Wenn er neugierig die Treppen in den gotischen Keller des Kopernikushauses hinabgestiegen ist und dort das Museum des Lebkuchenherstellers Kopernik findet. Auf dem Arbeitstisch liegen kunstvoll geschnitzte Backformen aus Birken- und Apfelbaumholz. Die Teigbilder erzählen Geschichten, zeigen fesche Kavaliere, Mädchen in Trachten, Jagdszenen und Bauwerke.

Die Zierlebkuchen waren nicht zum Essen bestimmt: Vor allem das Patriziat erfreute sich an den detaillierten Motiven. Luxus für die feine Gesellschaft in den Zentren Polens und Deutschlands und Zeichen der Ehre für besondere Gäste. Als Karol Wojtyla 1998 zum Papst gewählt wurde und ein Jahr später Polen bereiste, fertigten Toruñer Schnitzer eigens einen Model des Papstwappens und der sonnenzentrierten Laufbahnen der Planeten.

Im Toruñer Alltag macht die Süßwarenfabrik Kopernik das alte Handwerk zum Volksfest. Kinderspiele und Schaubacken mit Holzförmchen, Lebkuchen in langen Reihen, Gewürze zum Kosten, Teigkneten und -pressen für jedermann. Und mittendrin: Kopernikus als orientalischer Gewürzhändler, in der Hand ein Modell der Planetenbahnen. Vermengte Symbolik, halbrohe Geschichten. Viel Klischees und noch mehr Spaß. Hauptsache, das Fest gefällt! (Laelia Kaderas/DER STANDARD/Printausgabe/13./14.12.2008)