Gastrosophie ist die Lehre von der Weisheit des Essens. Der Begriff geht auf den preußischen Offizier Eugen von Vaerst (1792-1855) zurück, der den Genuss als erster Schreiber deutscher Zunge zur Kunstform erhob.

Foto: Christian Fischer, Montage: Silvia Druml

Ab kommendem Herbst kann also auch in Salzburg gutes Essen studiert werden. Vergangene Woche hat Landeshauptfrau Gabi Burgstaller das erste deutschsprachige Zentrum für Gastrosophie an der Uni Salzburg eröffnet und dabei der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass damit das Image Salzburgs als Zentrum der Gaumenfreude im deutschsprachigen Raum doch möglichst gefestigt werden möge. Als Hauptsponsoren fungieren mit Stiegl Bier und Wiberg Gewürze zwei regionale Betriebe aus der Lebensmittelbranche.

Tatsächlich scheint das gute Essen plötzlich quer durch Europa als Studienobjekt (und damit Karriere-Option?) entdeckt zu werden - auch wenn sich die zuständigen Professoren und Dozenten einstweilen noch mit dem Spott von Kollegen in den etablierten Fächern abfinden müssen: Ob nämlich die Hauswirtschaftsschulen und anderen Knödelakademien ihre Arbeit im Allgemeinen nicht eh sehr gut machten und man sich nicht vielleicht dort um eine Stelle bemühen wolle. So ähnliche Geschichten erzählt zumindest der Ernährungsphilosoph Harald Lemke von der Leuphana Universität Lüneburg, der beim Salzburger Eröffnungs-Symposion mit anderen hochkarätigen (bis auf eine Ausnahme aber ausnahmslos bundesdeutschen) Referenten geladen war.

Erster kultureller Akt

Tatsächlich ist gut Essen im allgemeinen Verständnis eher etwas, das man tut, ohne dafür studieren zu müssen. Anderseits spielt gerade beim Essen eine solche Fülle kultureller und gesellschaftlicher Parameter mit hinein, dass es durchaus wert scheint, sich diesen einmal richtig akademisch zu nähern. Nicht zufällig sind die Soziologen sich im Wesentlichen einig, dass der erste kulturelle Akt des Menschen das Kochen (und gemeinsame Essen) war und eine Kulturgeschichte des Essens demnach folgerichtig auch eine der menschlichen Kultur als Ganzes wäre.

Dazu kommen die erheblichen ethischen Problemstellungen, die im Zuge von industrialisierter Landwirtschaft, Überproduktion und Gentechnik erwachsen sind und ziemlich dringend einer philosophischen Bewertung bedürfen. Dann noch die gesundheitlichen Folgeerscheinungen von schlechtem und, natürlich, zu viel Essen, die immer neuen und nicht immer verdaulichen Entwicklungen der Nahrungsmittelindustrie, die Frage nach der Moral und dem Essen an sich - und man hat als Wissenschafter ein weites Feld zu bestellen. Die Früchte, die man darauf ernten darf, könnten sein: Kulturelle Identität. Interkulturelle Verständigung. Mehr Genuss. Und eine gestärkte Region.

Materie wird zu Kultur

Doch es ist ein kühnes Unterfangen. Nicht nur, weil sich die Branche derzeit mehr in eine Brache verwandelt. Sondern auch, weil die streng voneinander getrennten Natur- und Kulturwissenschaften ein Reden über das Essen ins Nirgendwo zwischen Banalität und Luxus fallen lassen. Gerade das Essen aber als chemisch-biologisch-kulturelles Mischphänomen scheint ein geeignetes Vehikel, den alten Dualismus zu durchbrechen. Letztlich hat gerade das Essen die Fähigkeit der Verwandlung von Materie in kulturelle Kraft, und diese gilt es zu nutzen.

Das haben in den vergangenen Jahren nicht nur die Salzburger mit ihrem Historiker und designierten Chef des Gastro-Instituts, Lothar Kolmer, bemerkt: In Frankreich gibt es an den Unis Tours und Reims bereits zwei Institute, die sich der Kunst des Tafelns verschrieben haben, in Schweden versucht die Uni Örebro seit vergangenem Jahr, ein Doktoratsstudium in "Culinary Arts & Hospitality Science" zu etablieren, in Deutschland gibt es bereits seit 2002 eine "Akademie für Kulinaristik", die anfangs vor allem feine Seminare veranstaltete, seit vergangenem Jahr im fränkischen Bad Mergentheim aber auch einen Bachelor-Lehrgang "Food Management und Kulinaristik" anbietet.

Gelehrte Esser

Die maßgebliche Initiative aber hat schon vor Jahren Slow Food mit der Schaffung der Universität der gastronomischen Wissenschaften im piemontesischen Pollenzo gesetzt, wo in sechs Semestern zum Bachelor und in weiteren vier zum Master studiert werden kann - in einem grandios renovierten ehemaligen Gutshof, mit Vortragenden, die international zu den Gesuchtesten ihres Faches gehören, mit abenteuerlichen Exkursionen an den Polarkreis ebenso wie zu mexikanischen Maisbauern oder südsteirischen Schweinezüchtern. Das Klima ist international, Studierende wie Lehrende kommen aus allen Winkeln der Erde, für Interessierte aus der Dritten Welt gibt es großzügige Stipendien.

Bleibt die nicht ganz unwichtige Frage, was die gelehrten Esser nach dem Studium mit ihrem Wissen anfangen sollen. In Salzburg will man vor allem solche Studenten ansprechen, die bereits in der Lebensmittelindustrie - als Product-Manager, Produktentwickler oder Marketingmenschen - tätig sind, sich fundiertes Wissen anzueignen und den Gedankenhorizont einmal ordentlich zu erweitern.

In Italien wird diese Zielgruppe eher von der Postgraduate-Einrichtung von Slow Food bei Parma angesprochen - im Piemont werden Essen-Auskenner ausgebildet, die danach entweder in der Food-Branche, bei NGOs mit agrikulturellem Ansatz, in den Medien, bei Slow Food selbst oder im elterlichen, Lebensmittel verarbeitenden Betrieb unterkommen. Im Preis gibt es durchaus Unterschiede - allerdings sind bei Slow Food nicht nur ein Apple-Laptop inbegriffen, sondern auch zwei mehrwöchige Exkursionen an ziemlich bemerkenswerte Schauplätze. Salzburg kostet pro Jahr 8900 Euro, Pollenzo etwa 12000. (Severin Corti/Der Standard/rondo/30/01/2009)