Die weiße Lotusblume ist eine faszinierende Pflanze. Sie ist nicht nur bildschön, sondern makellos im wörtlichen Sinne, denn aufgrund ihrer speziellen Oberflächenbeschaffenheit perlen Wassertropfen und Schmutzpartikelchen einfach von ihren Blütenblättern ab. Lotuseffekt wird diese Eigenschaft genannt, und diesen natürlichen Selbstreinigungsmechanismus versucht die Forschung seit Jahren nachzuahmen - auch in den Labors der Kosmetikindustrie, etwa aktuell bei Kenzoki, der Kosmetikmarke des japanischen Mode-Designers Kenzo, der diese wundersamen Eigenschaften der Lotusblüte auch der menschlichen Haut angedeihen lassen will. "Belle de Jour" heißt die neue Luxuscreme. Ob Kenzo an Luis Buñuels fast gleichnamigen Film dachte, in dem Catherine Deneuve eine gefühlskalte Ehefrau auf nachmittäglichen Sexabenteuern mimt?
Die Lotusblume ist jedenfalls nur eine von vielen Pflanzen, die in der Kosmetikindustrie heute verwendet wird. In der Internationalen Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (INCI) sind penibel genau weit mehr als 600 Pflanzenwirkstoffe aufgelistet, die Hersteller auf ihren Produkten anführen müssen. Dass aus Stängeln, Blüten und Blättern Schönheitswässerchen gemacht werden, hat seit Jahrtausenden Tradition und lebt heute als neu aufgeflammter Boom in der Naturkosmetik weiter. Das ist Natur pur, und seit Jänner gibt es in Österreich dafür neue strenge Reinheitsgebote.
Im Labor nachgebaut
Doch Pflanzen werden auch von vielen anderen Kosmetikherstellern verwendet. Wer glaubt, dass sie dafür Pflanzen auch tatsächlich züchten, irrt. "Sehr viele Pflanzenwirkstoffe werden heute synthetisiert und dann im Labor nachgebaut", erklärt Herbert Böchzelt vom Institut für nachhaltige Techniken und Systeme und chemisch-technische Pflanzennutzung am Joanneum Research Center in Graz. An der Art der Verarbeitung scheiden sich auch die Geister der Konsumentinnen. Wollte man Pflegeangebot geistesgeschichtlich und konsumentinnenorientiert betrachten, gibt es drei große Strömungen. Erstens: Natur pur. Zweitens: gar nicht Natur, sonder ehe labortechnisch-medizinisch oder biologisch orientiert.
Und drittens: das Beste aus beiden Welten, und da sind dann all jene, die Pflanzenwirkstoffe in mollig-weichen, schnell in die Haut einziehenden Texturen lieben, sich über Fragen der Haltbarkeit eines Kosmetikproduktes nicht den Kopf zerbrechen wollen (wie lange stand es in der Parfümerie schon im Regal?) und zudem sichergehen wollen, dass sich in einem Cremetiegel auch nach mehrmaligem Eintauchen mit den eventuell nicht immer sorgfältig desinfizierten Fingern keine Bakterien oder Pilze bilden. Das alles sind Errungenschaften der Hightech-Kosmetik. Im schon erwähnten INCI-Verzeichnis sind mehr als 7000 Substanzen aufgelistet, die aus Wasser und Öl gut emulgierende, emulsionsstabile, feuchtigkeitsspendende, filmbildende, antiseborrhoische (Talgproduktion hemmende), pH-stabile, antimikrobielle oder fungizide (pilzabtötend) Produkte machen - um nur einige Beispiele zu nennen.
Pflanzen-Scouts
Dafür braucht es Chemie. "Es gibt auch Substanzen, die auf Basis von Naturstoffen entwickelt und in ihrer Wirkung dann verstärkt werden, das sind dann veränderte Naturstoffe", erklärt Forscher Böchzelt weiter. Ob Algen, Orchideen oder Extrakte aus dem Mammutbaum - oft sind es Pflanzen-Scouts, die rund um den Globus nach neuen Wirkstoffen suchen und "in China fündig werden, weil dort traditionell in der Medizin noch viel mehr mit Pflanzen gearbeitet wird als in unseren Breiten", so Böchzelt. Ergo empfiehlt er Menschen, die zu Allergien neigen, ganz grundsätzlich die Lektüre der Inhaltsstoffe.
Doch ganz allgemein geht es darum, dass eine Creme in Duft, Farbe, Konsistenz und Anmutung gefällt. Da spielen Namen und Verpackung allerdings eine ebenso große Rolle. Sich makellos wie eine Lotusblume fühlen und gleichzeitig ein bisschen Catherine Deneuve in sich spüren ist ein exotischer Spagat. Wer das nicht schafft, kann sich immer noch an Bambus, Mammutbäume oder diverse Algen halten - sie machen auch schön. (Karin Pollack/Der Standard/rondo/13/03/2009)