Retrospektiv dürfte 2005 als Jahr des Tourbillons in die Annalen der Zeitmessung einfließen.

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Der Slogan provozierte und polarisierte, aber gerade das machte seine ungemeine Werbewirksamkeit aus: "Frauen rauchen unsere Cohiba. Sie fahren unsere Harley, trinken unseren Lagavulin. Lasst uns wenigstens unsere IWC!" Solches musste zum Widerstand reizen. Aus Protest kauften zunehmend Frauen die vorwiegend maskulinen Zeitmesser der Marke.

1999, als IWC die Kampagne lancierte, erfreuten sich markant große Armbanduhren zunehmender Beliebtheit. Mann wollte zeigen, was er besitzt. Aber frau mochte ihren chronometrischen Hedonismus ebenfalls nicht verbergen. Also wandte sie sich zunehmend ab vom Kleinen und Zierlichen.

Die Trend hin zur Größe wurde auch durch die italienische Kultmarke Panerai gefördert. Er überdauerte ganze zehn Jahre - das ist ziemlich erstaunlich für Modeprodukte wie Armbanduhren. Und er wird, wie sich bei den 2009er-Premieren zeigt, auch noch eine geraume Weile anhalten. Nicht nur die Uhren selbst wurden größer, sondern auch die darin tickenden Werke. Zu den altbekannten Handaufzugsklassikern Unitas 6497 und 6498 gesellte sich 2000 die stattliche 38,2 mm große IWC 5000 Automatik. 2004 lancierte die Eta ihre Baureihe A07.xxx, die mit ihren 36,6 mm den Unitas-Kalibern entspricht. Mit 31,8 Millimetern tritt Panerai bei den 2005 lancierten Manufakturkalibern P.200x zwar etwas gemäßigter, aber gleichwohl opulent in Erscheinung.

Apropos Gangautonomie: Auch dieses Thema bewegte die Gemüter während der zurückliegenden zehn Jahre. 1998 starteten Eberhard & Co. sowie Parmigiani mit sogenannten Acht-Tage-Werken. IWC (Kaliber 5000 Automatik) und Chopard (L.U.C Quattro) folgten zwei Jahre später. Bei seinem ebenfalls 2002 vorgestellten Handaufzugsformkaliber 28-80/ 220 brachte es Patek Philippe sogar auf stolze zehn Tage. Deren satte 31 strebt die sächsische Lange 31 des Jahres 2007 an.

Chronografen und Tourbillons

Bis sie an ersten Handgelenken ticken wird, dürfte allerdings noch etwas von der Zeit vergehen. Bei "The Quentin" von Jacob & Co. ist der ganze Monat dank insgesamt sieben Federhäusern und tatkräftiger Vorarbeit des eidgenössischen Mechanikspezialisten BNB seit 2006 bereits Realität. Ihr Kaliber 5 besitzt darüber hinaus auch noch jenes Tourbillon, welches neben dem Chronografen als die uhrmacherische Komplikation des vergangenen Jahrzehnts betrachtet werden kann. Abraham-Louis Breguet, der den Drehgang 1801 für Taschenuhren kreierte, hätte sich wohl nicht einmal im Traume ausgemalt, welch gigantische Entwicklung seine Erfindung am Handgelenk nehmen würde.

Retrospektiv dürfte 2005 als Jahr des Tourbillons in die Annalen der Zeitmessung einfließen. Während der Uhrenmessen in Basel und Genf konnten gewissenhafte Besucher mehr als fünfzig verschiedene Modelle zählen. Bereits 2004 hatte Jaeger-LeCoultre mit seinem Gyrotourbillon I, bei dem das sphärische Drehgestell in zwei Richtungen rotierte, eine kleine Revolution ausgelöst. Franck Muller und Thomas Prescher versahen ihre Kreationen gar mit drei Drehdimensionen. Roger Dubuis propagierte das Doppel-Tourbillon. Am anderen Ende der Skala stehen - ebenfalls seit 2005 - voll funktionsfähige Volks-Tourbillons chinesischer Provenienz zum krisengerechten Preis von weniger als 1000 Euro.

Wird Silizium erfolgreich sein?

Ob der 2001 von Ulysse Nardin beim "Freak" initiierte Trend, den Stahlanker durch leichte, amagnetische Siliziumteile zu ersetzen, ähnlich erfolgreich sein wird wie das Tourbillon, muss die Zukunft zeigen. Die Meinungen zu diesem Werkstoff, der ohne Schmiermittel auskommt, divergieren. Zu den Pionieren gehören auch Patek Philippe und Breguet. Die Genfer Nobelmanufaktur stattete 2005 ihre limitierte Jahreskalenderreferenz 5250 mit einem Siliziumankerrad aus. Ein Jahr später folgte die Referenz 5350 mit Ankerrad und "Spiromax"-Unruhspirale. Schließlich brachte 2008 die Voll-Silizium-Referenz 5450 mit neuer "Pulsomax"-Hemmung. Schockwellen und Aufbruchsstimmung gleichermaßen rief 2002 der Rohwerkegigant Eta hervor.

Er kündigte an, die Lieferung von Rohwerken und Bausätzen kontinuierlich zurückzufahren, was einen großen Teil der Schweizer Uhrenindustrie tangierte. Proteste bei den eidgenössischen Kartellbehörden waren freilich nur eine Reaktion. Auf Alternativen setzte u. a. Selitta. Der Spezialist für Mechanisches präsentierte 2005 das dem Eta 2824-A2 faktisch gleiche Automatikkaliber SW 200. SW 300, ein Eta 2892-Klon, folgte 2006. Und 2009 wird im Zeichen des SW 500 stehen, das dem Chronografenbestseller Valjoux 7750 ähnelt.

Wer es sich leisten konnte, strebte Kaliberautonomie an. In diesem Sinne präsentiert sich heute eine ungeahnte Mechanikvielfalt. Mehr als 35 Marken offerieren eigene oder zumindest exklusive Uhrwerke. Und diese müssen im Vergleich zu Zeitmessern mit Eta-Innenleben gar nicht einmal unbezahlbar sein, wie die "Heartbeat Manufacture" von Frédérique Constant, der 2005 lancierte "Tangomat" von Nomos oder die 2007 vorgestellte Omega "Hour Vision" zeigen. (Gisbert L. Brunner/Der Standard/rondo/13/03/2009)