Ein Gespräch über außergewöhnliche Düfte, und warum David Beckham gut riecht.
DER STANDARD: Ich rufe Sie in Boston an. Wie riecht die Stadt heute Morgen?
Luca Turin: Sie riecht nach frischer Farbe. Wir streichen gerade unsere Wohnung.
DER STANDARD: Gibt es ein bestimmtes Parfüm, das Sie an diesen Geruch erinnert?
Turin: Es gibt einen ziemlich ekelhaften Sonnenschutz, den man sich, wenn man Ski fahren geht, auf die Lippen schmiert. Er riecht genauso.
DER STANDARD: Über Kouros von Yves Saint Laurent schreiben Sie, es rieche wie die sonnengegerbte Haut eines Mannes mit Gel in den Haaren, der aus der Dusche steigt. Es scheint, Sie haben eine eigene Sprache für Düfte erfunden.
Turin: Man muss sich gute Metaphern und Vergleiche überlegen, wenn man über Parfüms schreibt. Ein Parfüm ist eine Botschaft in einer Flasche. Es geht darum zu beschreiben, was das Anliegen eines Parfümeurs ist.
DER STANDARD: Man könnte sagen, Parfümeure möchten Menschen mit ihren Düften verführen.
Turin: Genau das glaube ich nicht. Parfüms sind Kunstwerke. Sie sind nicht nur dazu da, jemanden rumzukriegen. Der Parfümeur hatte genaue Vorstellungen, als er das Parfüm kreierte.
DER STANDARD: Aber riecht man die auch?
Turin: Nicht unbedingt. Gute Parfüms bestehen nicht unbedingt aus hochwertigen Zutaten. Deswegen sagt der Preis auch nichts über die Qualität eines Duftes aus. Von richtig billigen Parfüms sollte man auf jeden Fall die Finger lassen. Aber bereits im mittleren Sektor gibt es tolle Düfte. Nehmen Sie zum Beispiel Estée Lauder. Die Düfte dieses Hauses sind nicht wirklich teuer, aber einige von ihnen sind richtig gut.
DER STANDARD: Der Preis ist gar keine Orientierungshilfe?
Turin: Nein. Großen Firmen kostet die Herstellung eines Parfüms zwischen drei und fünf Prozent des Verkaufspreises, bei Nischenprodukten sind es bis zu 15 Prozent. Der Rest fließt in Flakon, Verpackung, ins Marketing und die PR-Kosten.
DER STANDARD: In Ihrem Parfümführer gehen Sie mit vielen Düften hart ins Gericht. Behandelt Sie die Parfümindustrie als Feind?
Turin: Die Großen schweigen uns tot. Kleine Hersteller lieben uns aber meistens. Sie brauchen die Werbung.
DER STANDARD: Das meistverkaufte Parfüm in der größten Parfümeriekette in den deutschsprachigen Ländern ist derzeit Armani Diamonds.
Turin: Wirklich? Das kann doch nicht sein.
DER STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es Sie an "fruchtiges Antibiotikum" erinnert, das man Ihnen gewaltsam verabreichen musste, als Sie krank waren.
Turin: Ja, furchtbar. Offenbar funktioniert die Werbung so gut, dass es sich die Menschen trotzdem kaufen.
DER STANDARD: Haben die Menschen den Geruchssinn verloren?
Turin: Lassen Sie es mich so beantworten: Wirklich große Dufterfolge sind oft nur in einem bestimmten Aspekt außerordentlich. Nehmen wir Calvin Kleins CK1: Das ist kein ganz großer Duft, aber die Parfümeure haben ihn gut hingekriegt: Er ist nicht laut, aber man riecht ihn trotzdem im Raum. Ein bisschen so wie gute Hintergrundmusik in einer Bar. Bleibt Armani Diamonds so erfolgreich, wird man fragen müssen, was genau die Menschen an ihm mögen. Ich weiß derzeit nur, was ich nicht an ihm mag.
DER STANDARD: Sie bringen die Hierarchien, was ein gutes Parfüm ist, durcheinander. Sie mögen sogar "Lovely" von Sarah Jessica Parker.
Turin: Das ist einfach ein gutes Parfüm. Es ist ein leichter, frischer, charmanter Blütenduft.
DER STANDARD: Celebrity-Düfte sind doch reine Marketinggeschichten.
Turin: Statistisch gesehen sind Düfte wie jene von Parker oder David Beckham nicht schlechter als andere.Viele Celebrity-Düfte richten sich an 14-Jährige und sind deswegen äußerst billig. Von diesen Düften sollte man die Finger lassen. Am Rest ist wenig auszusetzen. Sie vergessen, dass Celebrity-Düfte eine lange Geschichte haben. Auch Elizabeth Taylor oder Alain Delon hatten ihre eigenen Duftlinien. Man könnte behaupten, dass alle Designerdüfte Celebrity-Düfte sind. Angefangen bei Chanel gibt es sie nur, weil die Marken so bekannt sind. Unternehmen, die nur Düfte herstellen, wie Guerlain oder Patou, gibt es nur sehr wenige.
DER STANDARD: Celebrity-Düfte sind einer der großen Trends derzeit. Was sind andere?
Turin: Es gibt zunehmend Düfte, die charakteristische weibliche und männliche Duftnoten mischen. Das sind sehr komplexe Düfte. Und dann gibt es Parfüms, die immer genauso riechen wie in den ersten fünf Minuten. Man kann den Duftmarkt derzeit aber auf keinen kleinen gemeinsamen Nenner bringen.
DER STANDARD: Welches Parfüm tragen Sie selbst?
Turin: Ich trage einen günstigen Lavendel-Duft aus England. Er wird auf Caldey Island hergestellt. Und dann gibt es bei Aveda eine Linie, die zu 100 Prozent organisch ist und die überraschend gut riecht. Die mag ich auch sehr. Und Sie?
DER STANDARD: Ich trage Terre D'Hermès. Sie haben ihn nur mit drei von fünf Sternen bewertet.
Turin: Das ist ein harmloser, aber gefälliger Duft.
DER STANDARD: Welches Parfüm raten Sie mir, das ähnlich ist und auch vor Ihrer Nase besteht?
Turin: Probieren Sie doch Anvers 2 von Ulrich Lang, das ist ein sehr ledriger Geruch mit einer Note Honig verfeinert. Oder Timbuktu von L'Artisan Parfumeur, ein Meisterwerk der neuen Parfümerie. Beide sind etwas dunkler als Terre D'Hermès, haben mehr Charakter.
DER STANDARD: Was sagt ein Parfüm über seinen Träger aus?
Turin: Nicht viel. Wenn jemand behauptet, Britney Spears wäre die größte Sängerin seit der Callas, können Sie sich ein Bild von dem Menschen machen. Mit Parfüms ist es anders: Die meisten Menschen wählen sich ihren Duft nicht sehr bewusst. Sie bekommen einen geschenkt und tragen ihn, bis sie einen neuen Duft geschenkt bekommen.
DER STANDARD: Welcher Duft ist für Sie unerreichbar?
Turin: Es gibt einige Düfte aus dem Goldenen Zeitalter der Parfümerie. Das war die Zeit rund um den Ersten Weltkrieg. An die erste Stelle würde ich Mitsouko von Guerlain reihen. Dieser Duft ist das, was die Mona Lisa für die Kunstwelt ist.
DER STANDARD: Was macht die Parfüms aus jener Zeit so besonders?
Turin: Seit 1880 benutzten Parfümeure sowohl organische als auch synthetische Inhaltsstoffe. Ein Parfüm, das zu 100 Prozent aus organischen Bestandteilen besteht, funktioniert sehr selten. Dasselbe gilt für rein synthetische Inhaltsstoffe. Es kommt auf die Mixtur an. Und diese war zu jener Zeit besonders raffiniert. Und dann gab es damals François Coty, den Begründer von Coty-Kosmetik. Er war ein Genie, eine unglaubliche Nase, er erfand eigentlich die moderne Welt der Parfüms. Bis heute variieren Parfümeure jene fünf, sechs Techniken, die Coty erfand.
DER STANDARD: Ein anderer hochgelobter Duft ist Cool Water von Davidoff. Er wurde massenhaft kopiert, aber kaum mit Erfolg. Warum ist es so schwierig, Düfte zu kopieren?
Turin: Das Gegenteil ist der Fall. Es ist kinderleicht, einen Duft zu kopieren. Wirklich schwierig ist es aber, einen ähnlichen, verbesserten Duft herzustellen. Als Cool Water 1988 auf den Markt kam, roch es wie sonst nichts. Es gibt hunderte Imitationen, aber keine, die das Original ausstach.
DER STANDARD: Heute riecht Cool Water an einem Mann aber arg altmodisch, oder?
Turin: Kategorien wie altmodisch interessieren mich nicht. Die großen Parfüms der Achtziger mögen heute nicht mehr modern erscheinen, aber ein gutes Parfüm ist ein gutes Parfüm. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/17/04/2009)