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Schnarchen wie eine Tigerin.
Yvonne hatte einen Typen kennengelernt. Henrik war über dem Durchschnitt. Doch dann erinnerte sie sich an Hugo. Hugo hatte nach einem halben Jahr mit ihr schwere Schlafstörungen entwickelt. Anfänglich hatte er sie sanft gestupst, dann mitten in der REM-Phase die Nase zugehalten. Am Ende hatte er ihr ins Ohr gebrüllt: "Yvonne, du schnarchst wie ein großer Bengalischer Tiger." Und Yvonne hatte nur geantwortet: "Tigerin! Ich bin eine Tigerin!" Dann war Hugo weg.
Hannes machte digitale Aufzeichnungen von Yvonnes Schlafrhythmus, denn sie schnarchte nicht etwa gleichmäßig, sondern oft eine Minute gar nicht, um dann in ein zügiges Knattern zu verfallen, das so tief aus ihrem Innersten drang, dass er vermutete, Yvonne wolle ihm irgendetwas mitteilen. "Was willst du mir sagen mit deinem Schnarchen?", fragte er sie. Und sie antwortete: "Dass du ein esoterischer Wirrkopf bist, der einen Sinn sucht, wo es keinen gibt." Das war das Letzte, was Yvonne Hannes erklärte.
Und jetzt also Henrik, erstes Date. "Warum starrst du eigentlich so auf meine Nase?", fragte sie ihn nach fünf Minuten. "Tu ich das?" Henrik hatte Yvonnes Nase noch nicht einmal bemerkt. "Was ist mit deiner Nase?", fragte er. "Tu nicht so blöd!", blaffte Yvonne. "Ich kann nichts dafür, es ist eine Erbsache." Henrik versuchte irgendetwas Absonderliches an Yvonnes Nase zu entdecken. "Ich finde, du hast eine völlig belanglose, unauffällige, ziemlich langweilige Nase", sagte er zu ihr. Yvonne wurde sehr wütend: "Du verkennst mich jetzt schon! Das ist die lauteste Nase von Wien." Yvonne sah Henrik nie mehr. (Adelheid Wölfl/Der Standard/rondo/29/05/2009)