
Entwurf von Weiwei Xu
"Kleidung hat immer dem Menschen gedient. Was wäre, wenn der Mensch einmal der Kleidung diente?" Die 25-jährige Weiwei Xu lächelt versonnen, wenn sie das Konzept ihrer Modekollektion umschreibt. Als spräche sie nicht über Kleidung, sondern über einen seit langem gehegten Wunschtraum: Mode als getragene Skulptur. Das wäre was. Mit ihrer Abschlusskollektion an der Modeklasse der Wiener Angewandten ist sie ihrem ganz persönlichem Stück Utopia ein Stück nähergekommen - und hat nebenbei den mit 3000 Euro und einem Porträt in dieser Zeitung dotierten RONDO-Vöslauer Modepreis eingeheimst. Zu blöd allerdings, dass sich ihre Kreationen beim RONDO-Modeshooting sehr verführerisch an das Model anschmiegen.
"Das kann man ja tragen", sagt Weiwei Xu, und das Erstaunen ist ihr ins Gesicht geschrieben. Als sie sich daranmachte, ihre Kollektion zu entwerfen, war das Ergebnis vollkommen offen. Ein Experiment. Sie zeichnete keine Entwürfe, sondern studierte Bilder von Menschen mit anatomischen Verformungen. Historische aus dem 16. Jahrhundert und moderne Röntgenbilder. Dann machte sie sich daran, Schnitte zu zeichnen - und verformte sie genau so, wie sie es auf den medizinischen Bildern gesehen hatte. "Ich wollte Kleidung kreieren, die man sich ansieht, und ins Grübeln gerät." Das ist ihr gelungen. Ihre Mode ist ein Fremdkörper. Sie erinnert an die Formenexperimente, mit denen viele japanische Modemacher in den vergangenen Jahrzehnten Aufsehen erregten.
Ganz eigenständiger Weg
Allerdings ist ihr Weg ein vollkommen eigenständiger. Xu hat sich einem Konzept verschrieben. Dass die Mode dennoch tragbar ist, hat wohl damit zu tun, dass Weiwei Xu nicht wie geplant Kunst studierte, sondern vor fünf Jahren in der Modeklasse der Angewandten gelandet ist. Das war nicht vorgesehen. Die in der Nähe von Schanghai "in einer kleinen Stadt mit 10 Millionen Einwohnern" aufgewachsene Xu sah ihr Talent weniger im Nähen als im Zeichnen. Mit zehn kam sie nach Österreich, erst nach Baden bei Wien, dann nach Oberwart im Burgenland, wo ihre Eltern ein China-Restaurant betrieben. Dort hätte auch sie arbeiten sollen, doch sie entschied sich, die Höhere Bundeslehranstalt für Mode zu besuchen. "Mein Deutsch reichte nicht aus, um aufs Gymnasium zu gehen. Ein Lehrer riet mir, es mit Mode zu versuchen."
Das war die richtige Entscheidung. Die Offenheit, die die Mode bietet, hat es Xu bis heute angetan: "Für mich ist sie alles andere als ein Oberflächenphänomen. Mode ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit Menschen, ihren Traditionen und Überzeugungen." Das ist für Xu vor dem Hintergrund der eigenen kulturellen Herkunft ein interessantes Unterfangen. "Ich selbst bezeichne mich als Chinesin, die eingebettet ist in die europäischen Kultur", sagt sie mit leichtem burgenländischen Akzent. "Traditionen reichen in China höchstens bis zur Kulturrevolution zurück. In Europa beinhalten sie dagegen tausende Jahre von Geschichte." Diese sind die Grundlage für ihre Arbeit als Modemacherin.
Modernes Sklaventum
In ihren vergangenen Kollektionen beschäftigte sich Xu mit Phänomenen wie modernem Sklaventum oder Obdachlosen. Auf soziale Themen möchte sich Xu nicht abonniert sehen. "Ich schaue mir die Welt rings um mich an und stelle Fragen. Das ist der Anfang aller meiner Projekte." Sie umfassen sowohl Mode- als auch kleinere Kunstprojekte.
Auf die Frage nach ihrer Zukunft hat Xu dagegen noch keine eindeutige Antwort. Ein Label möchte sie gründen, platzt es aus ihr heraus, auch wenn sie nicht weiß, wie sie das anstellen soll. Wie man eine Kollektion entwirft, wird an der Hochschule zwar gelehrt, wie man sie unter die Leute bringt, allerdings nicht. "Vielleicht sehe ich mich zuerst einmal nach einem Praktikum um", gibt sich Weiwei Xu zuversichtlich. Gute Voraussetzungen hat sie. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/12/06/2009)