Den Soundtrack für ein Defilee zu machen, sagt Soundstylist Michel Gaubert, ist wie eine Dissertation schreiben: Du bekommst ein Thema und das musst du bespielen.

Foto: Jina Khayyer

Soundstylist - diese Bezeichnung hat sich Karl Lagerfeld für mich ausgedacht. Er sagte irgendwann einmal zu mir, "Wenn es Hairstylisten gibt, sollte es auch Soundstylisten geben. Und Du Michel bist ein Soundstylist."

Ich kenne Karl schon seit den frühen Achtzigerjahren. Damals arbeitete ich tagsüber in einem Plattenladen und legte nachts in der Diskothek "Le Palace" auf. Ich hatte gerade erst meinen Militärdienst quittiert; ich sollte zur Navy und nach Bordeaux versetzt werden. Ich ging zu meinem Offizier und sagte, ich will austreten, denn ich bin schwul. Er sagte, "verstehe, ich bin auch schwul". So waren die 80er in Paris. Hedonistisch. Es ging um Spaß, Drogen und Sex. Das "Le Palace" war Zentrum des Geschehens.

Zum ersten Mal gab es in Paris einen Club, in dem sich alles mischte: Homosexuelle, Heterosexuelle, die Bourgeoisie, die Mode- und Kunstszene. Thierry Mugler, Montana, Prince, Yves (Saint Laurent, Anm.), Françoise Sagan, alle waren da und alle haben viel und exzessiv gefeiert. Bis ich eines Nachmittages in einem Park aufgewacht bin; dann sagte ich Bonsoir Tristesse und wendete mich an Betty Ford. Seit 1988 habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken, auch keine Drogen mehr genommen. Manchmal nehme ich Xanax, Schlaftabletten, ich rauche und trinke Cola Light. Ich würde gerne in folgender Reihenfolge aufhören: Zigaretten, Xanax, Schlaftabletten, Cola Light.

Plattenkauf in London

Meine erste Musikerinnerung: Das mag kitschig klingen, aber schon als kleiner Junge liebte ich Musik und wollte Sänger werden. Meine Eltern hörten Serge Gainsbourg und France Galle. Miles Davis, Jazz. Ich mochte nichts von alle dem, außer Serge Gainsbourg. Ich drehte die Rolling Stones auf, Songs wie "Jumpin' Jack Flash", und hampelte durch mein Zimmer, als wäre ich ein Rockstar. Ich lernte ehrgeizig Englisch, damit ich die Texte besser verstand und fuhr schon als Teenager nach London, um mir Platten zu kaufen.

Mit achtzehn fing ich an, Platten aufzulegen. Meinen ersten Job als DJ bekam ich im " Le Palace". So habe ich Karl Lagerfeld kennengelernt. Er führte mich in die Modewelt ein und nahm mich auf meine erste Modenschau mit, zu Chloé. Das war 1981 oder 1982 -, das weiß ich nicht mehr so genau. Kurze Zeit später fragte mich Karl, ob ich die Musik zu seiner Show machen möchte.

Ein paar Zahlen: Ich habe 24 iPods. Wenn ich meine iTunes-Liste nonstop abspielen würde, könnte ich 30 Monate lang Musik hören. Ich gebe circa 4000 Euro im Monat für Musik aus. Ich habe mehr Platten als Karl Lagerfeld; Karl hat sicherlich mehr iPods und auch mehr Schmuck von Chrome Hearts, aber in meiner Plattensammlung kann er mich nicht schlagen.

Keine Angst vor Trash

Es gibt kein Rezept dafür, wie ich einen Sound kreiere. Ich habe keine Angst vor Trash. Ich kann auch geschmacklose Musik spielen - Boney M., das wäre eine Herausforderung.

Im Unterschied zu anderen DJs habe ich wahrscheinlich ein recht kleines Ego. Ich mache die Musik für andere, nicht für mich. Den Soundtrack für ein Defilee zu machen ist wie eine Dissertation schreiben: Du bekommst ein Thema und das musst du bespielen. Das kann auch mal schiefgehen - Monsieur Ungaro hatte sich einmal gewünscht, dass ich, in dem Moment, in dem er den Laufsteg betritt, "Rebel Yell" von Billy Idol spiele. Die Modekritikerin Suzy Menkes schrieb, "Ungaro ist kein Rebell". Manchmal unterschätze ich, was für eine Aussagekraft Musik bei einer Show hat. Seitdem orientiere ich mich stärker an der Persönlichkeit, die hinter der Marke steht. Chanel klingt natürlich ganz anders als Balenciaga, Jil Sander oder Raf Simons.

Gute Laune bei Chanel

Am Beispiel Chanel: Wir machen im Jahr sechs Shows. Ich sehe die Kollektion vorher und bespreche mit Karl zusammen den Sound. Die Prêt-à-porter-Kollektion ist für mich vergleichbar mit einer Portion vollen Lebens - der Sound muss gute Laune machen. Letzten Oktober, als Karl die Fassade des Chanel Hauptquartiers im Grand Palais hat nachbauen lassen, habe ich einen Mix aus "Our House", von Madness, und "Paris is Burning" von Ladyhawk gespielt.

Die Haute Couture Show ist mondäner, dafür darf der Sound merkwürdig und experimentell sein. Für die Cruise Kollektion und die Städtekollektion sind die Shows kleiner, die Location sehr speziell. Für diese Shows buchen wir oft Bands, die live spielen. Wie diesen Juni, für die Kollektion "Paris-Venice", die am Lido in Venedig gezeigt wurde, wo "Something A La Mode" live spielte. In diesem Fall muss der Sound Karls Persönlichkeit widerspiegeln. "Something A La Mode" klingt nach Karl.

Der Track, der meine Persönlichkeit widerspiegelt, ist Lou Reeds "A Walk On The Wild Side". (Jina Khayyer/Der Standard/rondo/11/09/2009)