Die Birke weiß, was zu tun ist. Auch dem Ahorn sagt niemand, wohin er wachsen soll. Der Baum braucht Licht, Nahrung und CO2. Basta. Genau dieser Gedanke brachte die Designer Katharina Mischer und Thomas Traxler auf "The idea of a tree". Und diese Idee ließ sie eine Maschine bauen. Recorder One heißt sie. Ihre Erfinder nennen sie allerdings nur Maschine. Maschine ist ein mannshohes Stahlgerüst, darin kleine technische Gerätschaften, Fäden, Leim, Spindeln und Farbe, daneben Solarzellen. Eher sieht sie aus wie eine seismografische Station als etwas, das mit Design zu tun hat. Wäre da nicht dieser Zylinder, um den ein farbiger Faden saust, als stamme er von einer Geisterspinne. Je stärker die Sonne scheint, desto dichter werden die Fäden gewickelt, umso blasser wird die Farbe aufgetragen, umso langgestreckter wird die Form. Am Ende eines jeden Tages spuckt die Maschine genau ein Objekt aus, zum Beispiel ein Sitzmöbel namens bench. Es könnte aber, je nach Wetterlage, auch der Lampenschirm lamp tioat zum Vorschein kommen, jedenfalls allesamt Unikate. Die Oberfläche der Objekte erinnert an die Jahresringe von Bäumen. "Es hätte genauso gut eine tropfenförmige Struktur rauskommen können", sagt Thomas Traxler.
Zauberkiste
Bei Sonnenuntergang macht die Maschine Feierabend. Stünde die Maschine ein Jahr in der Sahara, würde sie im Prinzip 365 idente Objekte produzieren. Stationiert man sie in Kanada, Österreich oder Neuseeland, verändern sich mit den Wolken und den Jahreszeiten die Kollektionen. Die vermeintliche Zauberkiste wird so zu einer Art meteorologischer Infoträger. Kulturelle Einflüsse der Umgebung sind der Maschine, wie auch einem Baum, egal. So wie dieser das Produkt seiner Umgebung ist, ist es auch der Output der Maschine. Preise gab's dafür heuer sowohl auf dem Berliner Designfestival als auch auf der Ars Electronica. Belohnt wurde mischer'traxlers wundersames Gerät ferner mit vielfacher Begeisterung, mit einem Ausflug im Rahmen von Spot on Wien nach Tokio und jüngst auch noch im Rahmen des Staatspreises für Design mit dem Förderungspreis für Experimentelles Design.
"Vier Monate lang haben wir allein nach der richtigen Farbe gesucht. Das war ein Horror, schließlich hat der Faden nur eine Zehntelsekunde Zeit, Leim und Farbe aufzunehmen. Und das muss i i dann passen", erzählt Thomas Traxler beim Packen seiner Reisetasche. Nach dem Gespräch wird er nach Riga aufbrechen, er ist zu einem Art und Communication Festival eingeladen. Katharina Mischer wird nicht mitfahren, sie muss sich unter anderem um eine Transportkiste für die Maschine kümmern. Die steht still und stumm in einer Ecke in der mischer'traxlerschen Musenstube. Nein, kein schickes Designerloft in Wien-Leopoldstadt, sondern eine kleine Wohnung im tiefsten Floridsdorf. "Esszimmer, Büro, Werkstatt, Schlafzimmer, Gästezimmer, alles in einem", erzählt Mischer und meint weiter: "Das ist ein 24-Stunden-Studio. Man geht halt nie heim." "Aber das würden wir sonst wohl auch nicht tun", sagt Thomas Traxler, 1981 in Linz geboren.
'Limited-Edition-Hype'
Aus einer gedanklich ganz anderen, aber nicht unverwandten Ecke stammen mischer'traxlers Objekte der Serie Real limited. "Irgendwie ging uns dieser 'Limited-Edition-Hype' im Design auf die Nerven. Ich mein, wer legt warum und wie fest, dass es von einem Objekt drei, fünfzig oder hundert Stück geben soll?", fragt Mischer nicht ganz unempört. Bei Real limited legt die Natur die produzierte Anzahl an Objekten fest, genauer gesagt eine vom Aussterben bedrohte Mottenart, die sie zur Leuchte Limited Moths inspirierte. Eine Wandleuchte, deren Schirm aus circa 200 Kupfermotten besteht, die in der Momentaufnahme aussehen, als würden sie tatsächlich das Licht umschwirren. Noch gibt's in der Steiermark 800 Stück von dieser Mottenart, das macht nach mischer'traxler vier Lampen à 200 Motten. Logo. Jede Motte ist nummeriert, so wird der Bezug zum Individuum und im weiteren Sinn zum Naturschutz hergestellt. Ein festgelegter Schlüssel legt fest, wie viel Geld pro Motte einer Naturschutzorganisation beim Verkauf der Leuchte zugute käme. Im Moment sind mischer'traxler auf der Suche nach einer Galerie, die einsteigen würde. "Man könnte die Idee natürlich weiterspinnen: Gibt es in Österreich zwei Bären, machen wir zwei Bärensofas. Vermehren sich die Bären im Jahr darauf, gibt es dementsprechend mehr Sofas. Dies würde allerdings den Sammler ärgern, denn sein Objekt verliert an Wert. Irgendwie pervers, dieser Sammlergedanke. Wir wollten dem Begriff Edition einfach eine tiefere Bedeutung geben", schließt Mischer ab.
Die Natur steht den beiden nicht aus ökologischen Gründen als Muse zur Seite. "Natürlich ist uns das Thema wichtig, aber sie kommt eher zufällig ins Spiel. Unsere Maschine wird von der Sonne angetrieben, in gewisser Weise ist sie auch Formgeberin, aber das Objekt, das herauskommt, ist keinesfalls ökologisch. Das wäre bis jetzt allein von den Rohstoffen her nicht möglich. Die Natur bietet viel Inspiration. Alles, was sie tut, ist sehr ausgereift, aber wie gesagt, sie steht nicht im Vordergrund unserer Arbeit. Das Objekt darf nicht unter ihr leiden", sind sich Mischer und Traxler einig.
In welche Schublade soll man sie nun stecken, die freigeistigen Frischlinge der heimischen Designszene, die erst im diesjährigen Jänner nach dem Studium in Eindhoven in Wien ihre Koffer auspackten? "Heute sind wir Künstler, morgen Designer und umgekehrt. Ich finde es traurig, dass die Leute das immer einteilen müssen", sagt Katharina Mischer, 1982 in St. Pölten geboren. "Eine Bekannte nannte uns eine industrielle Version von Jean Tinguely", setzt Traxler nicht ohne Stolz grinsend nach, ist er doch der technisch-erfinderische Tüftelpart.
Alzheimerpatienten und Kleinkinder
Fest steht, dass trotz aller Reflexionen, trotz des experimentellen Charakters, trotz der vernetzten Gedanken, die mischer'traxlers Projekte prägen, ein Objekt zum Gebrauch herauskommt. Oder lassen wir es Traxler so sagen: "Alzheimerpatienten und Kleinkinder haben beim Essen ähnliche Probleme, auch das kann ein Ausgangspunkt für eine Designlösung sein." Klingt so gar nicht nach bloßer Formgebung.
mischer'traxler sind ein weiterer Beweis dafür, dass sich der Designbegriff wandelt, ausweitet. Mischer dazu: "Nicht die Formgebung steht im Vordergrund, sondern das assoziative Denken."
Apropos: Grübeln lassen könnte mischer'traxlers Arbeit the scientific nature of jewellery nicht nur Antwerpener Diamantenhändler. Das beim noblen Gold- und Silberschmied Rozet & Fischmeister am Wiener Kohlmarkt im Rahmen der Vienna Design Week 09 präsentierte Projekt macht nämlich Edelsteine in Halsketten überflüssig. Zum Schmuckstück wird nicht Diamant oder Saphir, sondern ein simples Erbsenpflänzchen in einer Kette. Für Opernballbesucherinnen stünde also neben dem Friseurtermin auch der fristgerechte Besuch im Gartenzentrum auf der To-do-Liste. Gut zwei Wochen vor dem großen Abend muss der Erbsensamen nämlich gesetzt sein, um dann für eine Ballnacht als stolzes Pflänzlein das Dekolletee seiner Trägerin, einer Prinzessin an der Erbse, zu behübschen. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/06/11/2009)