Gurkensaft und Rote Beete. Öl, das über die keramische Glätte kriecht. Aber weil es ja noch früh am Morgen ist, kleckert auch das Gelbe vom Ei. Tag für Tag geht es so, Woche für Woche. Das wissen auch die Teller, die uns Simon Heijdens serviert, und die er im Falle der Keramikserie "White Ceramics" mit einer Art Memory-Funktion ausgestattet hat. Sie beginnen sich im Laufe der Zeit zu verändern, bilden zunächst unsichtbar applizierte Muster ab, die langsam wie Blumen auf der Keramik blühen. Mit sorgloser Abwäsche hat das freilich nichts zu tun. Aber mit traditioneller Krakelee-Keramikglasur, der hier ein neuer Aspekt abgewonnen wird.
Die wandelbaren Teller erzählen eine Geschichte, und stets fällt sie ein wenig anders aus. Beim Lieblingsteller sind die floralen Schnörkel etwas schneller sichtbar geworden. Unbeabsichtigt zuerst, dann einer gewissen Logik folgend: Hat das häufiger benutzte Exemplar doch entsprechend früher jene Individualität gewonnen, die den Charme von Handarbeit und Flohmarkttrödel ausmacht.
Acht Jahre und keine Kratzer
Teller, die nach mehreren Wochen noch immer fleckenlos weiß in den hinteren Ecken des Geschirrschranks leuchten, erinnern hingegen an die üblichen Musterschüler der Maturaklasse: Acht Jahre und keine Kratzer, kein bisschen Sprung in der Schüssel, kein Zeichen von Gebrauch? Dafür ist "White Ceramics" nicht gedacht. Scheintote Schalen kommen hier nicht vor. Die Spuren des Alterns, der Abnutzung - normalerweise sind das keine Kriterien, die die Design-DNA einer Produktentwicklung prägen. Im günstigen Fall sieht der Blick auf den Lebenszyklus industrieller Produkte ja vielleicht noch Werkstoffe vor, die das Potenzial gelungenen Alterns in sich tragen: Leder, das immer schöner wird. Holz und Stein, die sich routiniert der Fiktion der Zeitlosigkeit entziehen - und gerade dadurch jene Authentizität erzielen, die man an manchen modernen Materialien vermisst.
Doch für den niederländischen Designer, der heute zu den spannendsten Vertretern einer experimentell ausgerichteten Entwurfsauffassung zählt, ist das anders. Stillstand ist gleichzusetzen mit Tod. Auch bei der scheinbar unbelebten Produktwelt. So einfach ist das. Doch plötzlich verbindet sich damit ein bewusster Akt - mit dem Ansinnen, die Beziehung zur gestalteten Umwelt auf ein neues Niveau zu heben. Um schlichtes Neuinterpretieren jener trickreichen Gelenkigkeit, die Ausziehbetten und Verwandlungssofas während ihrer Metamorphosen auszeichnet, handelt es sich jedenfalls nicht. Vielmehr rückt die Veränderung selbst in den Fokus, tritt als immanenter Teil der Entwurfslogik in den Vordergrund. So hängt ein leiser Hauch von Heraklit über der Abwasch: Alles fließt. Sogar das Dekor. Denn keine zweimal wirst du den gleichen "White Ceramics"-Teller unter den Spülwasserfluss halten. Das Krakelee schreitet fort.
"Pflanze im Wind"
Das ist neu. Zumindest in der Radikalität, mit der Heijdens Produkte die Interaktivität des heutigen Kunst- und Ausstellungsbetriebes mit tief eincodierten Erfahrungswerten verbinden, und seine Produkte mit der Außenwelt. Veränderung ist dabei alles. Egal, ob es sich um den Entwurf eines Kristalllusters handelt, dessen Schaukeln die Launen der Witterung mitmacht, so wie eine Sturmleuchte vorm Zelt. Oder um Wandbilder, die sich plötzlich in bewegte Leinwände verwandeln, dessen beschaulichen plot man am leichtesten mit "Pflanze im Wind" benennen könnte.
Die Kräfte der Natur gestalten bei Heijdens mit, beeinflussen und prägen das Objekt. Aber nicht als Dekor oder in jenen herkömmlichen biomorphen Posen, die in Form von weichen Sofa-Kieselsteinen auf erweiterte Kombinationsmöglichkeit tun. Im Falle des Niederländers handelt es sich um jene Art von Dialog, der gleichberechtigter Partner voraussetzt. Ob und wie das Muster nun auftaucht, welche Bewegung digitale Pflanzen an die Wand werfen, das bestimmt kein Steuermodul, und noch nicht einmal der User - sondern das Eigenleben des Produkts selbst.
Stecker statt Rasenmäher
Stets lassen Heijdens Entwürfe dabei die engen Grenzen des physischen Erscheinungsbildes hinter sich, docken auf vielfältige Weise an umgebende Faktoren an. Der Wind vor der Tür darf dann ein wenig mitwehen, die Menschen im Raum sowieso. Ermöglicht wird das durch den Einsatz von Smart Technology, von feinen Verdrahtungen und digitalen Übertragungstechniken, die in den erwähnten Entwürfen die Kommunikation zwischen Ding und Umraum sicherstellen.
Wird im Falle des, dank Swarovski-Klunker zunächst sehr herkömmlich wirkenden Kristalllusters "3, Rising slowly", die Messung der herrschenden Windstärke und -richtung in leises, klirrendes Luster-Gezittere übertragen, so spielen bei den blass leuchtenden Raumbildern der "Lightweeds", Heijdens bislang bekanntestem Entwurf, gleich mehrere komplexe Faktoren zusammen: Die Lichtkräuter, die heute auch im MoMA sprießen dürfen, ähneln so einem lebendigen, digitalen Organismus, der bewegte Abziehbilder natürlichen Bewuchses in den Wohnraum trägt. Klar: Statt Rasenmähen reicht der Griff zur Steckdose, schon herrscht digitaler Kahlschlag. Doch im Wesentlichen funktioniert "Lightweeds" wie natürliche Bepflanzung. Die Niederschlagsmenge oder die tagelange Trockenheit, Hagel und unerwartet auftretender Sturm, aber auch das Herumtrampeln der im Raum selbst befindlichen Gäste - all das wird real gemessen und in das Verhalten des Indoor-Gartens eingespeist, der im Übrigen ja auch darauf programmiert ist, im Laufe der Zeit prächtig zu wachsen.
Hinter dieser Haltung lässt sich ein wenig von Demut erahnen, die vielen Dinosauriern der Formgebung ein Fremdwort ist. Das Comeback der, durch Dauerbeleuchtung und Urbanität ausgegrenzten Natur in Form digitaler Gewächse, ist nur ein Teil davon. Denn der Wille zum Entwurf, die absolute Macht über den Raum selbst scheint da einen Paradigmenwechsel zu erfahren, hinter dem sich erhöhte Sensibilität hinsichtlich der eigenen Zivilisationsgeschichte orten lässt.
Keineswegs Spielerei
Der Wind bläst hart, wenn er nur will. Das hat sich vor allem im 21. Jahrhundert kein bisschen geändert. Auch darauf scheint Simon Heijdens, der ursprünglich Film studierte, dann Design an der berühmten Akademie Eindhoven, und der heute im Londoner Osten ein kleines Büro nahe der Brick Lane unterhält, verweisen zu wollen. Es reicht ein Blick auf die wohl nur schwer bis gar nicht beherrschbaren Szenarien anstehender Klimakatastrophen, um solche Ansätze keineswegs als Spielerei abzutun.
Wobei das Thema erweiterte Autonomie dank Design nicht bloß das Upgrading freien Indoor-Pflanzenlebens und windgebeutelter Leuchten betrifft. Denn mitunter eröffnet Heijdens auch dem User selbst neue Räume - etwa indem er den Klassiker Tapete neu erfindet. Einst angetreten, allfällige Lebensenge in Form von tröstlichen Blümchen und Streifchen aufzulösen, übernehmen Tapeten in der Regel selbst die beengende Rolle der Wand - man muss nur lange genug gegen sie starren. Einen Ausweg deuten freilich Heijdens "Moving Wallpapers" an: Frei wählbare digitale Bilder hält diese bereit, per Druckknopf lässt sich die gewünschte Deko ein- und ausblenden.
Wer mag, kann sogar eigene Zeichnungen einspeisen, die dann dank in die Tapete integrierter Farbpigmente in Polaroid-Qualität an der Wand auftauchen. Rosablümchen für Sie, Autobilder für Ihn, glühendes Sunset-Rouge für die gemeinsame Wand - eine kleine Exit-Strategie zum Thema Raum, auch das. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/13/11/2009)