Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung von Klaus Mühlbauers Beitrag in Fabian Bursteins (Hg.): "Wir feiern Untergang! Kulturpessimistische Schriften". Residenz Verlag, 2009. 240 Seiten, EUR 19,90

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Der Zyklus Entwicklung - Veröffentlichung - Verkauf war in der Mode lange Zeit auf die Jahreszeiten bezogen. Zweimal im Jahr plante man Kollektionen für Frühling/Sommer und Herbst/Winter. Dieser Zyklus ist immer kürzer geworden. Ein Bekleidungsstück, das länger als vier Wochen im Laden hängt, kommt in den Abverkauf - MINUS 70 PROZENT - oder wird im Internet zum Diskonttarif endgelagert. Deshalb haben die Modeproduzenten "folgerichtig" noch mehr Kollektionen dazwischengeschossen, sodass manche von ihnen mittlerweile im Monats- bis sogar Zwei-Wochen-Rhythmus Neues auf den Markt werfen. Vom Entwurf bis zur Vernichtung vergehen da gerade einmal zwei bis drei Monate. Das Rennen, Hecheln, Keuchen, um Schritt zu halten, wird immer heftiger.

Man könnte also zu dem paradoxen Schluss gelangen, dass die "Mode", sobald sie in die Auslage kommt, schon alt ist. Kaum ist sie da, ist sie auch schon wieder von gestern. Bestes Beispiel dafür sind die bekannten Modediskonter von H & M bis Zara. In diesem engen Zyklus von Entstehung und Vernichtung ist kein Platz für schöpferisches Arbeiten oder ernst zu nehmende Produktentwicklung. Es kann nur noch kopiert und abgewandelt werden und unter dem massiven Einsatz von Testimonials und entsprechender Marketing- und Werbe-Tools vielleicht ein Trend erzeugt werden, der schöne Umsätze generiert.

Produkt ohne Profil und Identität

Die ausschließliche Orientierung an Kundenwünschen, Verkaufszahlen und Marktdaten verstümmelt die Mode. Es entsteht ein stilistisch beliebiges, marktkonformes Produkt ohne Profil und Identität.

Im Zusammenhang mit der beschriebenen Arbeitsweise von Großunternehmen ist immer wieder von "Demokratisierung der Mode" die Rede. Was so viel heißen soll wie: Dank Billiganbietern gibt es endlich "gute" Mode zu einem supergünstigen Preis - und damit Mode für alle. Das ist demokratisch?

Man suggeriert, man hätte den Menschen etwas Gutes getan und "demokratisch" - für das Volk - gehandelt. Dank geschicktem Marketing, dank einer weit entfernten Billiglohn-Massen-Produktion in Fernost mit minimalen Stückkosten kann man "Designerware" zu niedrigsten Preisen anbieten. Mode ist mittlerweile so billig, dass sich jede Schülerin pro Woche etwas Neues kaufen kann, ohne ihre Geldbörse zu überfordern. Das ist bestenfalls verführerisch, aber nicht demokratisch.

Und der Kreis schließt sich: Eine Woche später ist das Teil nichts mehr wert und wird durch ein neues ersetzt. Comme des Garçons war gestern, heute wird Madonna als begabte Designerin gehandelt. Mode wird zum Wegwerfartikel. Kurz bevor sie ins Regal kommt, wird sie noch schnell mit etwas Mehrwert aufgeladen, à la "Kate Moss trägt es auch". Aber spätestens im Moment des Kaufes hat sie ihren Wert eingebüßt, weil bereits zehn neue Kleidungsstücke nachgeschoben werden.

Auf den Preis fixiert

Diesen Prozess Demokratisierung zu nennen ist nicht nur euphemistisch, es ist anmaßend. Vernichtet werden dadurch nicht nur ein Stück Mode, sondern ganze Betriebe in den Bereichen Handwerk, Produktion und Modeeinzelhandel, aber auch weniger greifbare Werte wie Qualität und Identität. Es hilft nichts. Der Konsument ist und bleibt auf den Preis fixiert. Wozu rackern sich Modemacher den ganzen Tag ab, wenn unreflektierte Konsumenten ihre Kleider beim Billiganbieter kaufen? Dort zahlen sie dafür, dass dieser die Entwürfe der Designer kopiert und oft noch vor diesen in den Laden gebracht hat. Wie Lemminge laufen die Käufer dem Bestpreis nach und tragen damit zur Vernichtung von allem bei, was Spezialität ist. Auch wohlhabende Menschen freuen sich bei einem Gläschen Prosecco tierisch über eine gerade erlegte Okkasion. Man könnte ja auch ein schlechtes Gewissen haben, weil man den Händler um seinen Ertrag gebracht, den Job der Verkäuferin und des Änderungsschneiders bedroht hat.

Ganz ehrlich: Sind die Menschen besser angezogen, seit es H & M und Topshop gibt? Einheitsbrei ist angesagt. Es scheint, als wären Konsumenten von der Größe und Macht der Modekonzerne beeindruckt, als strebten sie nach Uniformität mehr als nach Vielfalt und Spezialität. Das Marketing großer Modeunternehmen suggeriert uns Individualität und meint Konformität: "Ich bin besonders, weil ich AUCH die Tasche von Louis Vuitton habe."

Wir bekämen Schöneres, Neueres, Besseres, Haltbareres, wenn wir - vielleicht ausgewählter - in der Boutique, beim Spezialisten, beim Designer kaufen würden. Dann müsste man nicht ständig mit dem großen Wort Nachhaltigkeit jonglieren, sondern könnte sie zur Abwechslung einmal praktizieren. Man könnte auf die "soziale Vertretbarkeit" der Produkte achten: Unter welchen Arbeitsbedingungen, wo und wie ist das Produkt entstanden? Wie sieht es mit der Vielfalt und dem Variantenreichtum des Angebots aus? Ein Blick in die Ortskerne und Einkaufsstraßen europäischer Städte zeigt eine traurige Gleichförmigkeit: Zara, H & M, Louis Vuitton, Prada gibt es von Kopenhagen bis Palermo. Kleine Läden mit lokalem Charakter und spezieller Auswahl werden zunehmend von der Oberfläche verdrängt.

Aktionitis und vorzeitiger Schlussverkauf

Um das Aussterben dieser Läden zu verhindern und den typischen Charakter der Stadtkerne zu erhalten, wäre auch die Politik gefordert. Doch sie scheitert nachhaltig.

Die Modeproduzenten sind hierzulande bereits mehr oder weniger von der Bildoberfläche verschwunden. Die Modehändler ruinieren sich selbst mit Aktionitis und vorzeitigem Schlussverkauf und erziehen ihre Kunden in die falsche Richtung.

Am Schluss aber hängt alles am Konsumenten. Also, unterstützen wir sie doch weiter, die Glück spendenden Diskonter! Und dann könnte Wien bald anders aussehen: Das Haas-Haus wurde von Kik übernommen, die halbe Rotenturmstraße von Vögele gemietet, bei Braun am Graben zeigt Galliano seine Kollektion. Peek & Cloppenburg hat das ehemalige Finanzministerium auf der Kärntner Straße gekauft und wird an dessen Stelle ein Kaufhaus der Superlative errichten. Aber deren Manager sind alles andere als entspannt, hat doch soeben C & A das Kaufhaus Steffl zu seinem neuen Flagship gemacht. Zara möchte in die Oper einziehen. Planspiele für große Jungs - die letzten übrigens, die noch Anzug tragen. Der Rest hat sich's im Jogger bequem gemacht. (Klaus Mühlbauer/Der Standard/rondo/20/11/209)