Ein Knicks zum Abschluss seiner jüngsten Kollektion: Michael Michalsky ist der Conférencier der Berliner Mode.

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DER STANDARD: Welchen Stil hat Berlin?

Michael Michalsky: Jenen des 21. Jahrhunderts. In Berlin gilt das Motto: Anything goes. Es geht in dieser Stadt um Individualität, und Individualität ist das, was wirklich zählt.

DER STANDARD: Was bedeutet das modisch?

Michalsky: Eine Jogginghose kann mit einem teuren Blazer und abgeranzten Sneakers kombiniert werden, oder ein tolles Kostüm mit Second-Hand-Army-Klamotten. Das geht sonst nirgends.

DER STANDARD: Und das ist schick?

Michalsky: Klar. Städte wie Mailand und Paris verkörpern das Konzept von Mode des 20. Jahrhunderts: Alles ist aus einem Guss. Aber wer zieht sich so noch an? Wir in Berlin kombinieren Design und Sportswear.

DER STANDARD: In den maßgebenden Modemagazinen ist kaum Sportswear zu sehen.

Michalsky: Weil diese Magazine noch im 20. Jahrhundert verankert sind. Aber lange wird es die sowieso nicht mehr geben. In Zukunft kann jeder sein eigenes Magazin machen, indem er einen Blog schreibt. Die Menschen nehmen heute selbst das Heft in die Hand und verbreiten, was sie gut finden. In der Musik fingen die Menschen vor zehn Jahren an, selbst Technotracks zu machen. Heute schreiben sie eben selbst über Mode.

DER STANDARD: Wer gibt die Orientierung vor?

Michalsky: Braucht man die? In der Mode gibt es kein objektives Maß. Der eine findet das schön, der andere jenes. Es ist so wie im Fußball. Wenn Leute Fußball schauen, dann können sie es immer besser als jene, die auf dem Spielfeld sind. Jeder ist heute ein Experte.

DER STANDARD: Und Sie sind der Berliner Modeexperte?

Michalsky: Nö, ich designe Einzelteile und gebe Anregungen, wie man sie kombinieren kann. Aber das ist nur ein Angebot. Ich finde es toll, wenn ich meine Sachen auf der Straße sehe und überrascht bin, wie sie die Leute kombinieren.

DER STANDARD: Sie sind ein Marketingmensch.

Michalsky: Nur ein toller Designer zu sein ist zu wenig. Mode ist ein Lifestyle, Mode ist Entertainment, sie erzeugt Stimmung.

DER STANDARD: Inszenieren Sie deswegen Ihre Modeschauen als riesige Shows?

Michalsky: Ich übertrage sie sogar live ins Internet. Sie finden im Friedrichsstadtpalast statt, der größten Theaterbühne der Welt. Da ist ein toller Sound, da ist ein tolles Licht. Es ist ja so: Mode ist unglaublich in. Auf Sendungen wie Exklusiv oder Blitz laufen während der Modewoche richtige Themenschwerpunkte. Jeder interessiert sich dafür.

DER STANDARD: Trotzdem ist die Kleidung erst ein halbes Jahr später in den Geschäften zu kriegen.

Michalsky: Man kann sich ja schon einmal mit dem neuen Look anfreunden.

DER STANDARD: Manche sagen, die Designer verheizen sich selbst.

Michalsky: Sehen Sie: Heute sieht die Modelandschaft auf der Straße vollkommen anders aus als vor 20 Jahren. Mode hat sich demokratisiert. Wenn heute in Tokio ein Megatrend aufpoppt, dann erfahre ich das, egal, ob ich in einem Dorf in der Steiermark wohne oder in New York. Das gab's ja früher nicht.

DER STANDARD: Wo steht Berlin in fünf Jahren?

Michalsky: Die Stadt wird in fünf Jahren zu den vier Grand Slams der Modewochen gehören. Zu Paris, Mailand, New York und Berlin. Während Paris weiter in Richtung Couture und Handwerk gehen wird, Mailand die italienische Nummer fahren wird und New York die globale Kommerzialisierung antreiben wird, wird Berlin weltweit für die Kombination aus Jeans, Streetwear und Design stehen.

DER STANDARD: Das sind große Worte.

Michalsky: Ich glaube fest daran. Sehen Sie sich einfach einmal schicke Boutiquen an: Ich bekomme heute schon überall Jeans und Designersneakers.

DER STANDARD: Und London?

Michalsky: Die Stadt wird abfallen. London wird zwar immer für Kreativität und Crazyness stehen, aber wirtschaftliche Relevanz hat die Stadt in der Mode nicht. Die wirklich Kreativen wandern sofort ab. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/29/01/2010)