Auch in den Marthadörfern ist die Fasnacht übrigens noch eine absolute Männerdomäne, sodass selbst in den begleitenden Musikkapellen, in denen überall längst auch Mädchen spielen, diese beim Mullerlauf ausgeschlossen sind.

Foto: TVB Region Hall Wattens

Die Artenvielfalt ist beachtlich, und die einzelnen Spezies scheinen einer alpin-exotischen Vogelkunde zu entstammen. Sie heißen Zottler, Tschaggeler, Fleckler, Flitscheler und Klötzler. Die Paradiesvögel unter ihnen aber sind die Tuxer, fantastisch herausgeputzte, würdevoll stolzierende Gestalten mit prächtigem, meterhohem Kopfschmuck.

Es gehört zur Eigenart dieser Gattung mit dem Sammelbegriff Matschgerer, Muller oder Huttler, dass sie jährlich nur ein Mal für wenige Wochen sichtbar wird, und zwar zwischen Weihnachten und Aschermittwoch, dass dieses Auftreten an einem einzigen Tag in einem kreischenden Treiben kulminiert, und das alles in einem streng begrenzten Verbreitungsgebiet. Dieses Biotop liegt etwas über der Talsohle des Tiroler Inntals und hat den für jeden Nichteinheimischen unverständlichen Namen Marthadörfer. Der Name ist die Aneinanderreihung der Anfangsbuchstaben der an der alten Landstraße zwischen den Städten Innsbruck und Hall liegenden Dörfer Mühlau (inzwischen längst ein Stadtteil von Innsbruck), Arzl, Rum, Thaur und Absam. In einem dieser vier Marthadörfer wird das Biotop der Muller oder Matschgerer auch über das Jahr hin dokumentiert: im Fasnachtsmuseum in Absam, das Masken aus zwei Jahrhunderten, Kostüme und Fotos aufbewahrt.

Das Wort Matschgerer selbst ist eine Verballhornung von Maschkerer und benennt ganz einfach einen Maskierten. Damit gehört das Fasnachtstreiben in den Marthadörfern zu den im ganzen Südwesten Deutschlands, in der Schweiz und in den österreichischen Alpen verbreiteten winterlichen Maskenbräuchen, die in jeder Gegend unverwechselbare Eigenheiten aufweisen. So gibt es in Tirol etwa noch das Imster Schemenlaufen, das Nassereither Schellerlaufen, das Schleicherlaufen in Telfs oder das Blochziehen in Fiss, bei dem ein von Maskierten begleiteter Baumstamm durchs Dorf gezogen wird. Der wahrscheinlich skurrilste alpenländische Faschingsbrauch ist aber das Wampelerreiten in Axams südwestlich von Innsbruck, bei dem sich mit Heu ausgestopfte Maskierte dagegen wehren, von ihren Gegnern, den Reitern, angesprungen und zu Boden geworfen zu werden.

Lange wurden die alpenländischen Fasnachtsbräuche als genuine heidnische Fruchtbarkeitsrituale gehandelt: der Kampf des Winters, den die Hexen, Wampeler, Zottler oder Scheller verkörpern, gegen die frühlingshaften Gestalten der Tuxer, Roller oder Bajatzln. Neuere Forschungen von Volkskundlern legen freilich nahe, dass das Fasnachtstreiben ein im späten Mittelalter ganz kalkuliert von der Kirche initiiertes Instrument war, um dem Volk vor der vierzigtägigen Fastenzeit ein Ritual der Triebabfuhr zu gewähren. Dabei nahm die Kirche, wie auch in anderen jahreszeitlichen Festen, auf vergessene vorchristliche Rituale Bezug, etwa auf den griechischen Dionysoskult oder die römischen Saturnalien.

In den Tiroler Marthadörfern wird das Matschgern oder Mullern in vierjährlichem Rhythmus jedes Jahr in einer anderen Gemeinde zelebriert. Heuer ist - am 7. Februar - Rum an der Reihe, wobei sich wie immer auch die Matschgerer der Nachbargemeinden beteiligen. Zu den besonderen Kostümen zählen die Klötzler, die mit schindelartigen, lärmenden Holzbrettchen behängt sind, die Zaggeler, in zottelige Wollfäden gehüllt, und die Flitscheler, in getrocknete Maisblätter und -kolben gewandet. Die unheimlichste Figur des bunten Treibens ist der Krameter in seinem aus dornigen Wacholderzweigen gewirkten Kostüm, das den ganzen Körper bis auf die hölzerne Gesichtsmaske verhüllt.

Die prestigeträchtigste Maske ist aber der Spiegeltuxer mit seinem aus weißen und schwarzen Federn, Blumen, Ähren und einem zentralen Spiegel gefertigten Kopfschmuck. Die bis zu 120 Zentimeter hohe und zwölf Kilo schwere Kopfmaske verlangt viel Kraft, besonders in den Nackenmuskeln, großen Gleichgewichtssinn und beträchtliches tänzerisches Gefühl. Kein Wunder, dass jeder Absamer oder Thaurer Bub davon träumt, einmal ein Spiegeltuxer zu sein.

Auch in den Marthadörfern ist die Fasnacht übrigens noch eine absolute Männerdomäne, sodass selbst in den begleitenden Musikkapellen, in denen überall längst auch Mädchen mitspielen, diese beim Mullerlauf ausgeschlossen sind.

Der soziologische Wandel in den Mar- thadörfern, die längst keine reinen Bauerngemeinden mehr, sondern stark von städtischen Zuzüglern geprägt sind, hat es mit sich gebracht, dass eine neue Schicht von Matschgerern am Werk ist. Diese legen denn auch, um sich als Einheimische zu beweisen, oft mehr Engagement an den Tag als viele Alteingesessene. Ob freilich der jüngste Promi-Zuzügler von Thaur, der Doppelweltmeister, Olympiasieger und Gewinner der heurigen Vierschanzentournee der Skispringer, Andreas Kofler, ein richtiger Muller wird, darf bezweifelt werden. Er hat zwar die Spannkraft für einen echten Spiegeltuxer, aber die Zeit, sich dafür zu qualifizieren, wird ihm wohl fehlen. (Horst Christoph/DER STANDARD/Rondo/29.1.2010)