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Strand auf der Insel Praslin.

Foto: derStandard.at/Krisch

Fotos aus der Ansichtssache Seychellen

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Der Balinese, der an diesem Morgen überraschend bayrisch spricht, tut das ein wenig wie ein Wilderer. Nämlich aus der doch eher düsteren Deckung heraus, die ihm die Bambus-Bar des "Castello Beach" bietet. "Hello", sagt der Mann zu den neuen, von der langen Reise noch etwas müden Gästen, die ja auch aufgelegte Opfer sind. "Had a long journey?" Und dann, wenn der Welcome Drink rüberwächst: "Daunn mochts eichas hoit narrisch bequem."

Der Bar-Balinese, der bayrisch spricht, war nicht die erste sonderbare Begegnung an diesem Tag auf Praslin, der zweitgrößten Insel der Seychellen. Denn da war ja auch noch die Einladung zum Burger-Picknick am weißen Betonkreuz der Presbyterianersekte, das aus irgendeinem Grund soeben in rosa Seidenschleifen gewickelt ist. Wobei keiner sagen kann, warum. Die paar Touristen nicht, die das trübe Wetter zum Spaziergang an der verschlafenen Baie St. Anne verlockt hat. Und am allerwenigsten die beiden Seycheller, die es gerade aus Bristol hierher verschlagen hat und die die fettigen Burger-Finger soeben recht ungeniert in die rosa Schleifen wischen. Vermutlich gibt es für die Heimkehrer heute noch viele Hände zu schütteln.

Die jüngste Öffnung der EU, die Seychellern einen dreimonatigen visafreien Aufenthalt ermöglicht, hat neue Dynamik in das kleine kreolische Land gebracht, das, gleich weit von Afrika und Asien entfernt, schon immer eigene Wege ging. Passend für die Seychellen sind solche morgendliche Eindrücke allemal. Weil man nach ein paar Tagen Thai Style Spa und Tandoori Chicken, freilich astrein von indischen Köchen serviert, so eine weitere Lektion in Sachen globalisierter Tourismusbetrieb lernt. Und weil sich vieles, was die Seychellen im Moment umtreibt, wie durch ein Brennglas auf den Punkt gebracht ausnimmt. Die Wirtschaftskrise trifft das Land, in dem mehr als ein Viertel des BIPs aus dem Tourismus stammt, mit voller Wucht - ungeachtet des doppelten Glassturzes, den die Natur und Geografie über das isolierte Inselreich gestülpt haben. Und unter dessen Schutz später, als die Einheitspartei, die Seychelles People's Progressive Front, den Inseln eine Art Bacardi-Sozialismus verpasste, der sonnigste Sozialstaat der Welt ausgerufen wurde: freie Krankenversicherung, jeder zweite Seycheller in einem der dreißig halbstaatlichen Unternehmen beschäftigt. Krankenstandskontrolle, giftige Schlangen, unbezahlte Überstunden, Malaria, Dürre, Wirbelstürme: allesamt unbekannt.

Doch eine Verlockung waren die Seychellen von jeher. Wie ein Werbekanal, der beim Zappen unerwartet am Bildschirm auftaucht - oder, früher, vom Ausguck der Mastspitze aus. Was im Prinzip stets auf dasselbe hinauslief: Palmen, Granitfelsen, weißer Sand, türkisgrünes Meer - über das perfekte Bacardi-Sujet muss an dieser Stelle nicht weiter berichtet werden. Doch jetzt hat der vormalige Nebenschauplatz "Weltökonomie" die Seychellen eingeholt. So wie Mahes Bäcker und Fischer den neuen Präsidenten einholen, wenn sie ihn mal auf dem Gehsteig sehen, vielleicht sogar mit Einkaufszettel für Victorias Basar. Charmeoffensive und direkte Demokratie ist angesagt, seit Monaten tourt Staatschef James Alix Michel durch das Land, schüttelt Hände, allerdings weniger jene der noch immer ziemlich unterbutterten Opposition. Immerhin stehen ernste Fragen an. Seit Mitte 2008 gilt der Staat als zahlungsunfähig. Dass die Währung, die noch nicht mal im benachbarten Mauritius akzeptiert wird, geschweige denn in einem anderen Land der Welt, in etwa zur selben Zeit quasi-konvertierbar wurde, war da kein großer Riss. Vergabe von Fischereilizenzen an die EU, Japan und Korea, eine große, ausgerechnet mit Lehman Brothers realisierte Fischfabrik und Luxushotellerie - ein Tauziehen, bei dem ausländische Investoren über staatliche Auflagen jammern. Und lokale Anrainer zugleich über ein Land, das ihnen plötzlich nicht mehr zu gehören scheint - während andere angesichts eines aktuellen Immobilienbooms auf einen letzten, großen Schnitt hoffen.

Denn Platz ist Mangelware auf den Seychellen. Über die Hälfte der Landesfläche ist Naturschutzgebiet - der höchste Prozentsatz weltweit. Eine ebenso löbliche wie kluge Investition. Doch zugleich wird es eng an den Stränden, die heute in Form von ganzen Traumbuchten verscherbelt werden. Gerade wird Mahes angesagter Süden auf wenige Private-Pool-Perspektiven aufgeteilt. Kreolische Postmoderne in zarten Lila-Tönen (Four Seasons), Kolonialherren-Luxus hinter weißer Holzoptik-aber-Aluminium-Fassade (Banyan Tree), levantinische Mezzes und Morcheln, vom Private Butler an den Outdoor-Jacuzzi serviert (Maia Luxury Resort) - sie würden auch ohne eigene Bucht kompromisslosen Luxus für wenige bieten. Und dann gibt es ja noch das Prinzip "Ökoinsel Resort", das sich auf den Seychellen in weltweit unerreichter Konzentration findet. Dazu muss man wissen: Die Seychellen sind eine Ökonische, im Laufe der Erdgeschichte bei der Trennung der Urkontinente im Indischen Ozean hängen geblieben, von der Eiszeit konsequent verschont. Klar, dass sich eine rekordverdächtige endemische Tier- und Pflanzenwelt erhalten hat - die eigentlichen Stars jener superexklusiven Hotel-Inseln, die nun den neuen Fünf-Sterne-Garten Eden ansteuern. Traumstrände sind als selbstverständlich vorauszusetzen - Überraschungen wie das naturnahe Frühstück in der Baumkrone eines Riesen-Banyans, das etwa Fregate Island bietet, inklusive. So lauten die neuen Herausforderungen: Bio-Wurzelgemüse, Wasserentsalzung, Ökoenergie dank Meerwasser-Wärmetauscher - wobei manche der angedachten Techniken durchaus Modellcharakter für die ganzen Seychellen haben könnten. Noch immer tauchen dabei als ausgestorben geltende Pflanzen auf - etwa als eigens aus Südafrika eingeflogen Zulus tagelang über das gebirgige Silhouette Island krochen, um das benachbarte Luxusinselresort North Island mit Pflanzen aufzurüsten. Auf der Urwald-Shoppingliste der Zulus: endemisches Grünzeug.

Doch an dieser Stelle muss man ein wenig weiter ausholen. Etwa bis zu dem Moment, wo man sich im Helikopter die Kopfhörer überstreift, das angenehme Rauschen der meerseitigen Brise gegen Technikgekrächze eintauscht. Denn für den nachmittäglichen Bootstransfer von Praslin zur kleinen Cousine Island ist das Meer soeben zu rau. Und so sehen die Seychellen Sekunden später wie ein Werbeplakat aus, über das sich ein wenig Staub gesenkt hat. Das regnerische Wetter hat die Farben heruntergedimmt, die Palmen stumpf gemacht, umdünstert am Ende der drei kurzen Helikopterminuten, die es von Praslin zu Cousine Island braucht, auch das Empfangsteam. Guest Relation Manager Janine: dunkler, harter Blick. General Manager Jock: irgendwie vereinsamt wirkend. Auf einer einsamen Insel zu arbeiten, ist oft weniger lustig, als man denkt. Um die ganze Population der Privatinsel, die sich ein reicher Südafrikaner hier als Ökospielzeug hält, handelt es sich aber nicht. Da wären ferner: vier, fünf Allround-Freitags, plus zwei Insel-Zoologen, die Australseeschwalben und Reptilien zählen, während sich nebenan Aldabra-Riesenschildkröten gemächlich durchs Buschwerk schieben. Ökotourismus wird auf Cousine à la carte serviert - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn statt Speisemenü wird den wenigen Gästen eine Liste mit den Charaktereigenschaften der Schildkröten in die Hand gedrückt. Samt Foto und Narbenbild, zum besseren Erkennen. Mc Gregor, männlich, 230 Kilo schwer, liebt es an den Hinterbeinen und am Hals gekratzt zu werden, steht da zu lesen - ein individueller Zugang, der auch die vier Luxus-Chalets charakterisiert. Nicht dass der Besitzer nicht ein paar zusätzliche Cottages über den atemberaubenden Beach hätte verteilen können. Aber ein Ort wie Cousine Island sieht sich nicht als kommerzielles Projekt.

"Rückverwandlung in den Urzustand" lautet die Zielvorgabe und tilgt dabei - bittere Ironie zu den ökonomischen Grabenkämpfen, die gerade das restliche Land verändern - die Spuren unrentablen Wirtschaftens. Verschiffung der Katzen und Hühner aufs benachbarte Praslin, Ausrottung von Kaffee, Chili, Zimt - mitunter verbindet sich damit auch ein Balanceakt zwischen Ökologie und Klischee. Wie viele Palmen müssen bleiben, um das Bild vom paradiesischen Tropenstrand zu wahren? Wie viele darf man für die Präplantagenoptik ausreißen? Für die dunklen Sturmtaucher-Vögel, die jetzt wie ganz normale Speckgürtelspießer in fein säuberlich nummerierten Höhlen hocken, stellt sich diese Frage nicht. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/26/02/2010)