Die Herkunft Miguel Adrovers ist der Stoff, aus dem Legenden gestrickt werden. Der Sohn armer mallorquinischer Bauern lebte in New York in der Gosse, bevor er zum Designstar aufstieg. Am Tag vor 9/11 zeigte er eine Burka-Kollektion, sein Investor ging pleite, Adrover zog sich zurück. Heute designt er für Hess Natur. Im Bild mit seinen Großeltern auf Mallorca.

Foto: Amparo Garrido

Dann zog er sich in seine Heimat Mallorca zurück. Heute designt der Avantgardist beim kleinen Ökomodehaus Hess Natur.

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DER STANDARD: Haben Sie jemals selbst einen Pullover gestrickt?

Miguel Adrover: Ich kann nähen, aber nicht stricken.

DER STANDARD: Zum Ruf eines Ökos gehört doch, dass er selbstgestrickte Schafwollpullis trägt.

Adrover: Meine Großmutter verarbeitete die Wolle ihrer Schafe noch selbst. Aber nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie so arm war. Ich selbst hatte in meiner Jugend ein Werktagskleid und ein Sonntagsgewand. Kleidung hatte Schutzfunktion, mehr nicht.

DER STANDARD: Ökologische Fragen interessierten Sie nicht?

Adrover: Sie stellten sich nicht. Ich wuchs auf dem Land auf, die Natur war und ist ein Teil von mir. Ich arbeitete auf der Mandelplantage meines Vaters. Wir hatten keinen Fernseher, bis ich 14 war.

DER STANDARD: Als Sie vor 20 Jahren nach New York gingen, stiegen Sie zu einem der gehyptesten Designer der Stadt auf. Jetzt machen Sie auf Biomode. Warum?

Adrover: Weil das Thema in der Modebranche immer noch marginalisiert ist. Der Hype in den Medien hat keine Entsprechung in der Realität. Keines der großen Modeunternehmen verwendet ausschließlich Ökotextilien.

DER STANDARD: Hess Natur schon. Dafür gehört das Modeversandhaus aus dem hessischen Butzbach nicht gerade zur Speerspitze der Mode.

Adrover: Wenn man für ein Unternehmen arbeitet, dann muss man sich selbst zurücknehmen. Ich bin ein sehr politischer Mensch, ich sage, was ich mir denke. Das geht bei Hess Natur nur bedingt. Aber ich akzeptiere das, auch wenn ich meine Anliegen gerne direkter umsetzen würde. Ich wäre gern ein Guerillero.

DER STANDARD: Ein Guerillero?

Adrover: Die Luxusindustrie hat Dreck am Stecken. Sie arbeitet mit Unternehmen, die Menschen ausbeuten und die Erde schädigen. Dagegen muss man vorgehen.

DER STANDARD: Viele großen Modelabels haben mittlerweile doch eigene grüne Linien.

Adrover: Das ist reines Marketing. Wenn es in einem Geschäft 2000 Kleidungsstücke zu kaufen gibt und nur zwei davon sind öko, dann ist das Augenauswischerei.

DER STANDARD: Mithilfe ihrer Marketingmacht schaffen die Konzerne Bewusstsein für die Sache.

Adrover: Das ist auch wichtig. Viele Menschen wissen gar nicht, wie stark die Herstellung von Kleidung die Umwelt schädigt. Ökotextilien sind gut für die Haut. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist: Ein Viertel der weltweit eingesetzten Pestizide wird auf Baumwollfeldern versprüht, der Boden erholt sich davon erst nach Jahren. Dazu kommt, dass viele Arbeiter auf den Feldern unter schrecklichen Bedingungen arbeiten. Aber das interessiert die Luxusfirmen nicht.

DER STANDARD: Was interessiert die Firmen?

Adrover: Dass die Diamanten funkeln. Schauen Sie sich etwa Kleider von Balenciaga an. Wo ist deren Seele? Kleidung, die ich nicht mit gutem Gewissen anziehen kann, ist für mich nicht glamourös.

DER STANDARD: Balenciaga stellt derzeit die Spitze des Designs dar. Nicht für Sie?

Adrover: Es kommt auf die Perspektive an. Schönheit hat für mich mit Verantwortung zu tun. Es ist einfach, extravagante, moderne Mode zu machen. Ein Kleid mit fünf Ärmeln. Aber es geht doch darum, das Richtige zu machen.

DER STANDARD: Was ist für Sie das Richtige?

Adrover: Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Mode. Ich habe einen niedrigeren Gang eingelegt. Der Avantgarde ging es früher darum, Dinge zu verändern. Der Mainstream kümmert sich heute nur noch um die Oberfläche. Da will ich nicht mitmachen.

DER STANDARD: Was macht die Avantgarde heute?

Adrover: Man muss alles vergessen und wieder von neuem anfangen. Vergessen wir, wie ein Anzug aussieht, was Handwerk ausmacht oder Design. Es geht darum, wie man über Kleidung denkt.

DER STANDARD: Aber am Ende des Tages will man gut aussehen, oder?

Adrover: Das ist doch langweilig. Schauen Sie sich auf der Straße um: Die Leute hecheln derzeit nur der Mode hinterher. Das erzeugt bei mir ein großes Gefühl der Leere. Wer hat heute schon noch ein wirkliches Gefühl für Kleidung?

DER STANDARD: Heute beschäftigen sich so viele Leute mit Mode wie noch nie.

Adrover: Das gefällt mir. Aber wo bleibt die Individualität? Es stimmt schon: Das Internet hat neue Diskurse über Mode zugelassen. Die wirkliche Macht haben aber immer noch die Konzerne. Was nicht von der Vogue oder anderen Magazinen klassifiziert wurde, hat keine Chance.

DER STANDARD: Sind die großen Unternehmen die Feinde der kleinen?

Adrover: Für kleine Unternehmen ist es unmöglich zu konkurrieren. Für viele Jahre hat es kein Designer mehr geschafft, ein richtig großes Modeunternehmen aufzubauen - egal wie gut sie oder er ist. Wo sind die heutigen Chanels oder Yves Saint Laurents?

DER STANDARD: Beide Modehäuser entwerfen immer noch interessante Mode.

Adrover: Denen geht es nur darum, größer und größer zu werden. Würde Chanel noch leben, dann würde sie wohl nicht Karl Lagerfeld engagieren. Alle liegen Lagerfeld zu Füßen, doch er schafft es nicht einmal, seine eigene Linie zu verkaufen. Genau so wenig wie John Galliano. Wir brauchen neue Ansätze.

DER STANDARD: Die Ihren?

Adrover: Als ich vor zwei Jahrzehnten nach New York ging, machte ich alles anders. Ich hatte kein Geld, wohnte in einem Loch. Meine ersten Shirts entstanden aus Materialien aus der Mülltonne. Es gibt so vieles, was man machen kann. Derzeit warten doch alle nur darauf, das jemand neue Ideen hat. Neulich sah ich ein Interview mit Cathy Horyn, der Modekritikerin der New York Times. Nur wer die Mode hasse, sagte sie, könne sie retten.

DER STANDARD: Hassen Sie die Mode?

Adrover: Ja. Mich hat Mode nie interessiert, mich interessiert Kleidung.
(Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/09/04/2010)