Natürlich hat Martin Stein stets eine klare Rindsuppe auf der Karte stehen. Dieser Tage gibt es Milzschnitten als Einlage. Alles andere wäre wohl mehr als wagemutig - schließlich liegt sein Restaurant (das ehemalige "Sammer") mitten in jenem Bezirk, in dem die verlässlich konservativsten Regimenter der Stadt residieren. Das schlägt sich traditionell auch im wenig abwechslungsreichen gastronomischen Angebot nieder, das außer erzbürgerlicher Küche kaum Alternativen bietet. Dementsprechend bietet Stein etwa auch Rindsrouladen mit hausgemachten Nudeln an, sogar Grammelknödel mit Rieslingkraut stehen auf der Karte: Herr Hofrat werden zufrieden sein.
Dennoch wäre es verkehrt, das Lokal als weiteren Vertreter einer bestenfalls kosmetisch verjüngten Edelbeislküche zu verstehen, deren höchstes Lob sich von jeher darin ausdrückt, dass es "fast so gut wie bei der Oma" schmeckt. Dafür hat sich Stein schon in jungen Jahren zu gern in Frankreich umgesehen, ist das Elsass (noch mit Lehrmeister Thomas Seiler) rauf und runter getingelt und sogar mehrere Monate bei Bocuse untergekommen. Bei Christian Domschitz hat er auch länger gekocht, zuletzt schob er die Performance des Aubergine in der Gonzagagasse an.
Austro- und Frankreich-Klassiker
Das runderneuerte Restaurant erinnert mit seinen geschwungenen Torbögen und weißen Sessel-Hussen ein wenig an besser situierte Lokale in der französischen Provinz. Auf der Speisekarte lachen einen neben Austro-Klassikern auch solche aus Frankreich an: eine kühle, samtige, gestockte Karfiolcreme etwa, der eine Safransauce einen köstlichen Kick verleiht. Oder eine Variation vom Kalbskopf, bei dem lediglich ein nussgroßes Stück vom Hirn paniert zu Tisch darf. Die Zunge gesurt, mürb, hauchdünn, lauwarm und auch sonst sehr elegant auf Kräutercreme und Senfvinaigrette gebettet, darauf das Knusperhirn und eine pikant geschmorte Backe: leicht, frisch, lebhaft gewürzt - typisch französisch eben.
Dasselbe gilt für eine duftige Galantine vom Kaninchen auf Kräutersalat. Es gibt Côte de boeuf für zwei, prachtvoll gebraten und bei Tisch vom ebenso geschmeidigen wie schmähbegabten Maître Francesco Tedesco tranchiert. Die im Fettmantel "sous vide" in Kräutersud pochierte Lammniere ist ein Höhepunkt der Karte, die Kombination aus bis zum Schmelz zarter Innerei mit knusprigem, nach allen Regeln der Kunst frittiertem Erdäpfelstroh durchaus beglückend - speziell in Begleitung einer der beachtlichen Flaschen von der Weinkarte. Dass die Desserts bei dieser freudigen Überraschung nicht ganz mitkönnen, ist schade, aber nicht schlimm: Isst man sich eben an den anderen Leckereien froh! (Severin Corti/Der Standard/rondo/09/04/2010)