Durchaus abwechslungsreich:

Foto: Mirco Lomoth

Grasland, Sandwüste, Steinwüste.

Foto: Mirco Lomoth

Manchmal ist es gar nicht so schlimm. Wenn man die Augen zukneift und für eine Weile die Luft anhält, kann man bald weiter fahren. Andere Male muss man stehen bleiben, bis der Staub sich gelegt hat. Wieder nicht vom Gas gegangen, fluchen wir dann in uns hinein und vermuten spöttische Blicke hinter den Windschutzscheiben. Arme Irre, die hier mit dem Rad fahren, müssen sie denken.

Doch uns macht das alles nichts aus, nicht die Hitze, nicht die Staubwolken. Wenn es der feine graue Staub ist, bleibt nur ein stumpfer Geschmack auf der Zunge zurück, so als ginge man an einem Sommertag im falschen Moment an der Schuttrutsche eines Abrisshauses vorbei. Es kommt ganz auf den Untergrund an, Wüste ist schließlich nicht gleich Wüste. Die Nama Karroo im Süden schmeckt anders, als die Namib bei Twyfelfontein. Nicht unbedingt besser, aber anders.

Genau genommen ist Namibia ein Land für Autofahrer. Ohne Auto kommt man nirgendwo hin. Die meisten Namibier kommen also nirgendwo hin, sie bleiben, wo sie sind. Anders die Touristen. Sie wollen das ganze Land sehen oder zumindest das, was als Sehenswürdigkeit gilt. Den Fish River Canyon und den Köcherbaumwald im Süden, die Sanddünen von Sossusvlei und die ehemals deutsche Kolonialstadt Swakopmund im Westen, den Etosha-Nationalpark im Norden, den Waterberg auf dem Rückweg nach Wind-hoek. Mit Reisebussen oder gemieteten Geländewagen brettern sie tausende Kilometer über Asphalt und Piste.

70 Kilometer im Sattel

Wir sind vorsätzlich mit dem Fahrrad unterwegs - eine kleine Gruppe, die abends mit gepolsterten Radlerhosen und Plastiktrinkflaschen durch die Hotellobby schlurft. Draußen steht dann der Hänger mit den Mountainbikes. Doch auch wenn es so aussehen mag, es geht uns nicht um Leistungssport. An manchen Tagen verbringen wir 70 Kilometer im Sattel, an anderen gerade einmal 30. Dann werden die Fahrräder aufgeladen, und wir sitzen stundenlang im Bus, anders käme man hier oft gar nicht zum Ziel. Doch es ist jedes Mal wie eine Befreiung, wenn wir wieder in die Sättel steigen und die Ketten in die Zahnkränze greifen. Die Landschaft, durch die Autoscheibe fern und zweidimensional, wird plötzlich real. Man atmet sie ein, spürt den Wind im Gesicht, den Widerstand in den Muskeln. Entfernung kann so viel mehr sein als Zeit, die man abwartet, bis man endlich ankommt.

Im Süden radeln wir durch eine epische Landschaft. Der Fish River Canyon liegt wie ein rotes Schlangenrelief vor uns, Strauße rennen im Zickzack davon. Wir rollen hinab in eine Schlucht, die sich der Fluss in Millionen von Jahren gegraben hat. Hier unten nahe der heißen Quellen von Ai-Ais kämpften die deutschen Kolonialtruppen gegen die einheimischen Nama. Und abends fällt der Blick in die Tiefe, oben von der Kante, bis die Sonne verschwindet, der Himmel sich kitschig verfärbt und bald jede Farbe aus der Natur verschwunden ist. Die Nacht verbringen wir in Reet-gedeckten Häuschen zwischen Wänden aus rohem Felsen, am Buffet gibt es Antilopen-Saltimbocca. Wer radelt, darf auch essen. Früher kamen die Lebensmittel für die Touristen in dieser abgelegenen Gegend im Süden Namibias aus dem nahen Südafrika, heute versorgt sich die Canyon Lodge weitgehend selbst, in Gewächshäusern bauen Mitarbeiter aus der Gegend Obst und Gemüse an, sie züchten Tiere, machen Käse, räuchern Wurst.

Sand und Staub

Überall begegnen uns in Namibia Relikte der deutschen Vergangenheit. Auf dem Weg vom Fish River Canyon nach Norden kommen wir durch Bethanien. Der Bremer Missionar Johann Heinrich Schmelen gründete hier vor beinahe 200 Jahren eine der ersten Missionsstationen in Namibia. Es steht noch das alte Steinhaus. Bei Sossusvlei lassen wir die Fahrräder im Sand liegen und steigen zu Fuß auf die hohen Dünen, von deren Kamm aus man weit in die rote Wüste schaut und auf die toten Bäume des Dead Vlei. Und weiter nördlich, irgendwo nahe dem Wüstenort Solitaire, bremsen wir an einem Schild mit der Aufschrift "Arbeit Adelt", es steht an der Einfahrt zu einem Farmgelände. Aus Ortsnamen wie diesem klingt die Geschichte des Landes: Bethanien, Lüderitz, Waterberg, Katutura - Missionare, deutscher Kolonialismus, Herero-Aufstand, südafrikanische Apartheid. Es ist eine Geschichte von Besetzung, Rebellion und Unterdrückung, die erst vor knapp 20 Jahren in die Unabhängigkeit mündete.

Da ist wieder so ein Moment, am Trans-Kalahari-Highway. Dort, wo die Straße zur Spitzkoppe abzweigt, wo alte Frauen auf Autoreifen bunte Steine anbieten. Wo man am Horizont den spitzen Berg im Dunst sieht. Der dicke Mann will nichts kaufen, er ärgert sich über uns. Mit dem Fahrrad zur Spitzkoppe? Wer kommt denn auf so etwas? Da ist doch nichts als Sand und Staub. Hippies! Er winkt ab, lässt sich ins klimatisierte Auto fallen und fährt kopfschüttelnd zurück nach Windhoek - wir zur Spitzkoppe. Straßenverkäufer haben sich Verschläge aus dem Abfall der Touristen gebaut, hunderte zusammengebundene Cola-Dosen spenden Schatten. Die Spitzkoppe ist ein Revier für Kletterer, das ist bekannt, aber auch für Mountainbiker, wie wir feststellen. Wir radeln zwischen rundlich erodierten Felsen, die wie riesige Spielzeug-Klötze in der Landschaft stehen. Felszeichnungen zeigen rennende Jäger, Giraffen, Strauße, Zebras, Löwen - die Fauna von vor tausenden von Jahren. Roland Emmerichs Abenteuerfilm 10000 BC wurde hier gedreht, acht Monate hat die Filmcrew an der Spitzkoppe campiert. Viele Tiere haben sie für die Dreharbeiten herbringen müssen, es gab sie nicht mehr. Sie sind noch immer hier, in einem umzäunten Wildreservat, das von der ansässigen Damara-Gemeinde unterhalten wird.

Gelbes Grasland

Irgendwo im Westen fahren wir kilometerweit durch gelbes Grasland. Springböcke stehen in der Landschaft, eine große Herde Oryx-Antilopen flieht ins hohe Gras, bis nur noch die gewundenen Hörner herausschauen. Am Wegesrand liegen kürbisartige Namib-Tsammas, sie hängen an vertrockneten Nabelschnüren, haben alles Wasser der Umgebung bereits aufgesogen. Später kämpfen wir uns im Kuiseb-Canyon eine brutale Steigung hoch, so langsam, dass wir sogar die Bergzebras bemerken, die dort unscheinbar am Hang stehen. Pures Glück. Es ist längst nicht so, wie man denkt. Man radelt in Namibia keineswegs durch einen Zoo. Die wilden Tiere aus den Bild- bänden, sie bleiben auf Distanz - meistens zumindest. In der Nähe des ausgetrockneten Huab-Flussbettes bei Twyfelfontein kreuzen unsere Reifenprofile im roten Sand die Spuren von Wüstenelefanten, dick wie Baumstämme. Wenig später sehen wir sie im Schatten von Akazien stehen, mit lautem Knacken brechen sie meterlange Äste aus den Baumkronen. Wir fahren so nah heran wie möglich. Sie schauen, wackeln drohend mit den Ohren, kommen auf uns zu. Zeit für einen geordneten Rückzug.

Am Ende steht fest: Namibia ist auch ein Land für Radfahrer, für leidensfähige zumindest. Faszinierend, die Weite der Landschaft, manchmal hat man sie stundenlang für sich allein. Doch es gibt auch Momente der Verzweiflung, wie an einem der letzten Tage. Links und rechts nichts als trockene Felswüste. Das Sichtfeld verengt sich immer mehr, man starrt nur noch auf das Hinterrad des Vorgängers, Kieselsteine klicken gegen Felgen. Bei 32 Grad im Schatten kämpft man sich durch den losen Sand ausgetrockneter Flussläufe, dann wieder über harten Wellblechboden. Die Knie wackelig, das Gesäß wund, die Kehle trocken. Man wird verbissen.

Dann brettert einer dieser riesigen Überlandbusse vorbei, die Touristen in wenigen Tagen vom Kap bis zu den Viktoriafällen karren. Man kneift die Augen zu, hält die Luft an - und empfindet Mitleid. Die Freiheit, da sind wir uns sicher, sie schmeckt nach Staub. (Mirco Lomoth/Der Standard/rondo/21/05/2010)