Die Brüder Andreas und Kostas Murkudis haben sich in den vergangenen fünf Jahren den Ruf erworben, in Berlin die grauen Eminenzen in Stilfragen zu sein. Das klingt erst einmal furchtbar hochnäsig, so als würden zwei Männer den Daumen hoch- oder runterhalten, wenn ihnen jemand neues Design vorführt. Aber sie tun das subtil, leise und ungewollt. Keiner der beiden hat die Rolle angestrebt, sie haben sie dank ihrer Expertise erarbeitet - dank ihres Eigensinns für Qualität und Beharrlichkeit.
Kostas und Andreas, der Mode-Designer und der Geschäftsbetreiber, beeinflussen auf unprätentiöse Weise den Geschmack der deutschen Hauptstadt. Der Ältere, Kostas, ein Mann mit schulterlangem graumeliertem Haar, lebt und wirkt im bürgerlichen Charlottenburg. Der 50-Jährige schätzt am gediegenen Westen, dass es ein "langsam gewachsener Teil von Berlin ist, der eben nicht brutal unterbrochen wurde in seiner Entwicklung". In den 80er-Jahren hat er im Design-Team von Wolfgang Joop in Hamburg gearbeitet, später unter Helmut Lang in Wien - und heute verkauft er seine Berliner Kreationen in den weltweit führenden Boutiquen. Für den Sommer entwarf er federleichte Seidenkleider, sie sind vorn kurz und hinten lang geschnitten, der Meister mag diesen "skulpturalen Charakter".
Von Aquamarin über Jade
Andreas Murkudis, kurze dunkle Haare und runde Brille, unterstützt den um zwei Jahre älteren Bruder, wann er kann. Im Moment zeigt er in einem seiner Konzeptläden 143 farblich verschiedene Modelle eines Kostas-Murkudis-Kleids - von Aquamarin über Jade- bis hin zu Fliedertönen. Wie sie apart nebeneinander hängen, an einer langen Stange an der Wand entlang, das besitzt etwas von der musealen Atmosphäre einer Galerie. Und tatsächlich stammt Andreas Murkudis aus dem Museumsbetrieb. Er arbeitete beinahe 20 Jahre im Kreuzberger Museum der Dinge, das Designobjekte sammelte, bis er 2003 das Handtuch warf und sein erstes Geschäft eröffnete. Er nistete sich in einen Hinterhof in Mitte ein, der ramponiert aussah, man sieht bis heute die Einschusslöcher der Kugeln aus dem Zweiten Weltkrieg, aber man erahnte noch die morbide Romantik der Nachwendezeit.
Die ersten Kunden fanden nur schwer hierher. Wenn man den Hof durchschritt, nur eine kleine Messingplatte diente als Orientierungshilfe, fühlte man sich um das Versprechen betrogen, einem Spürhund des guten Geschmacks zu begegnen. Zum Glück täuschte der Schein, im weiß getünchten Geschäft mit der geschwungenen gewölbeartigen Decke standen rustikale Eichenholz-Möbel von E15, hingen schlichte Hemden von Maison Martin Margiela und natürlich Kleider von Kostas Murkudis. Von Beginn an pilgerten Galeristen, Schauspieler und Modeschaffende hierher - Gleichgesinnte, mit einem gewissen Hang zur Diskretion, der auf ihren Stil abfärbte.
Das war für Berlin ein wichtiger Schritt. Bis zur Jahrtausendwende dominierte ein Secondhand-Chic, gespeist aus Altkleidersammlungen des Ostens und der Punk-Attitüde im Westen. Mode durfte nichts kosten, sie sollte funktional aussehen. Plötzlich predigte Andreas Murkudis Qualität. Er sagte Sachen wie: "Ich finde es schöner, wenn Menschen Kleidung sieben Jahre tragen i i und sie nichts an ihrer Ausstrahlung einbüßen." Er gab der nach Veränderung dürstenden Stadt eine Konstante. Die braunen ASV-Trainingsjacken verschwanden im Schrank, feine Männerhemden von Aspesi oder hochwertige Schuhe von Ludwig Reiter tauchten im Stadtbild auf. Und Kostas Murkudis zog 2005 aus München zurück, weil sein eleganter Stil endlich eine Entsprechung zu finden schien.
Irrungen und Wirrungen
Inzwischen verkauft kein deutscher Einzelhändler mehr Margiela-Produkte als Andreas Murkudis. Aus dem einen sind sechs Läden geworden, allesamt im selben Gebäudekomplex, zwei sogar vorn an der Straße - die von ihm geführten Geschäfte der schwedischen Jeansmarke Acne und des Unterwäsche-Herstellers Schiesser. Als die Schauspielerin Frances McDormand (Burn After Reading) 2004 die Jury der Berliner Filmfestspiele leitete, lernte sie die Murkudis-Läden lieben - und ließ von Freunden später hier für sie einkaufen. So baute sich langsam die Reputation des Geschäfts auf, ganz unbehelligt von Werbung und nur von Mundpropaganda gefüttert. Wie gesagt, weder Kostas noch Andreas Murkudis lieben das grelle Scheinwerferlicht.
Um ihre Haltung zu verstehen, muss man ihre Geschichte kennen - eine Geschichte, die viel von den Irrungen und Wirrungen im Europa der Nachkriegszeit erzählt. Ihre Eltern waren griechische Kommunisten, sie mussten in den 50er-Jahren die Heimat verlassen, kamen in die junge DDR, ausgerechnet nach Dresden, das "Tal der Ahnungslosen", wo keine westlichen Rundfunk- oder Fernsehfrequenzen den sozialistischen Aufbau störten. Kostas war 14 Jahre alt, Andreas 12, als sie 1973 über Nacht nach Westberlin ausreisten. Für die beiden war das eine prägende, aber auch traumatische Erfahrung - von einer eingekapselten und beschaulichen Welt wurden sie in eine offene, aber auch laute Gesellschaft geworfen.
Sprachlosigkeit in Westdeutschland
Es waren Lektionen in Demut. "Ich kam in eine Schulklasse, alle saßen in zerrissenen Jeans und T-Shirts da - und ich war in bügelfreien Kleidungsstücken steif angezogen, trug eine beschissene Frisur und sprach feinstes Hochsächsisch", erinnert sich Kostas Murkudis. Er trainierte sich den Singsang-Dialekt ab, hielt im Unterricht den Mund und lernte still, den eigenen Geschmack zu entwickeln. Gleichzeitig sahen die Brüder die Verführungen des Westens, die ständig verfügbaren Konsumartikel. "Ich habe jeden Tag drei Tafeln Schokolade gekauft", erzählt Andreas Murkudis. In der DDR waren sie teuer, es gab nur wenige Geschmacksrichtungen - und plötzlich stapelten sie sich bei Aldi. Was sie damals gelernt haben: an sich zu glauben, Eigensinn und Beharrlichkeit. Andreas ging in den frühen 80er-Jahren putzen, um sich Armani-Jacketts zu leisten. Kostas kaufte sich von seinem ersten Geld eine weiße Versace-Lederhose. Der junge Bruder studierte Kunstgeschichte, der ältere lernte Modedesign, beide, so schien es, gaben ihrer Sprachlosigkeit einen künstlerischen Ausdruck.
Vielleicht bedurfte es eines Ortes wie Berlin, um ihre Vision durchzusetzen. Noch immer liegen die Mieten auf einem vergleichsweise vernünftigen Niveau, muss Andreas Murkudis keine Zugeständnisse an seinem Konzept machen. Er will zeigen, was er schön findet - so wie die limitierte Auflage von Porzellan-Schädeln, filigran bemalt mit Blüten und Käfern, gefertigt in der Münchner Manufaktur Nymphenburg, Kostenpunkt: mehr als ein Berliner Durchschnittsgehalt. Aber Murkudis, der Jüngere, musste dieses einmalige Handwerk ausstellen, seine Begeisterung teilen, die ihn bei einem Manufaktur-Besuch ergriffen hat. "Wie die Arbeiter stoisch Blüten auf das Porzellan malten, wie sie für eine Porzellan-Chrysantheme hunderte von Einzelteilen ausschnitten und zusammensetzten - das war so anachronistisch, dass es mich faszinierte."
Andreas Murkudis ist gelungen, woran so mancher Geschäftsmann scheiterte: Er hat den skeptischen Berlinern Luxus schmackhaft gemacht. Er hat ihnen gezeigt, dass Geiz nicht geil ist - Qualität hingegen schon. Das Credo teilt Kostas Murkudis. Er schneidert im Westen weiter an seinen luftigen Träumen. Ganz behutsam, ohne Marktgekreisch - eben auf die Murkudis-Art. (Ulf Lippitz/Der Standard/rondo/28/05/2010)