Alberto Alessi leitet die Designfabrik Alessi. Andreas Tölke traf den Chef zum Essen und sprach mit ihm über Flops, Philippe Starck und ästhetischen Imperialismus.
Standard: Sie haben gerade Linguine mit Cherrytomaten und Tunfisch gekocht. Wäre Koch auch ein Beruf für Sie gewesen?
Alessi: Kochen finde ich nicht so spannend wie Design. Es ist nah dran - man gestaltet eine Form, Ingredienzien werden zusammengeführt, vom Prozess her ist es also durchaus vergleichbar.
Standard: Ein Designkonzept ist komplexer?
Alessi: Ich weiß nicht, ob ein Spitzenkoch dem zustimmen würde, ich empfinde das aber schon so.
Die einfachsten Dinge sind die besten?
Alessi: Ich sehe das immer weniger so. Das war ein Ansatz - besonders nach Memphis, mit Sicherheit im Bauhaus - der sich in den letzten Jahren verändert hat. Es gibt noch immer die "less is more"- Fraktion. Jasper Morrison, Pierro Lissoni zum Beispiel. Die haben durchaus ihre Berechtigung, aber Design ist auch Spiel. Mit Farben, Formen, Materialien - und dem nicht Rechnung zu tragen wäre schade. Es wäre eine künstliche, selbst auferlegte Askese. Und Design sollte bestenfalls Lebenswelten bereichern. Dazu gehört, dass ich meinen persönlichen Geschmack materialisieren kann. Der ist nicht zwangsläufig minimalistisch oder reduziert.
Sie haben grade zwei großartige Designer genannt - wie wichtig ist es, in Ihrem Metier mit den Stars zusammenzuarbeiten?
Alessi: Ich suche nach dem Talent, dem kreativen Geist, nicht nach dem Ruhm. Und um ehrlich zu sein - der Ruhm eines Designers ist in meinem Geschäft nicht so wichtig, wie man glauben möchte. Am Ende ist es alles Fleisch.
Zaha Hadid, die Vasen für Sie entworfen hat, schafft doch unglaublich viel Aufmerksamkeit? Design wird doch immer mehr personalisiert - sogar Sofas haben Namen.
Alessi: Zum Teil ja. Aber der Beitrag eines Stardesigners oder Architekten ist mittel- bis langfristig kein Indikator für einen guten Verkauf. Das ist meine Erfahrung. Philippe Stark, vor Zaha Hadid der medialste aller Designer, hat viel für mich gemacht. An der Stelle muss ich einwerfen: Kein Mensch wusste, wer Ettore Sottsas war - verrückt, nicht? Aber zurück zu Starck. Wenn wir ein Produkt eingeführt haben mit dem Claim "Design by Philippe Starck", haben wir trotzdem nicht wesentlich mehr verkauft. (DER STANDARD, RONDO, 11.06.2010)
Gibt es Grenzen, die Sie Designern setzen? Zum Beispiel wenn es um ein Budget geht?
Alessi: Oft. Fünf bis zehn Prozent aller Entwicklungen stoppen wir genau aus diesem Grund.
Wie kommt es überhaupt zu einem neuen Produkt?
Alessi: Als Erstes präsentiert mir ein Designer eine Idee. Meine Frage lautet dann: Wäre es gut für Alessi? Ich frage einen Techniker und jemanden aus dem Marketing. Wenn wir uns einig sind, folgt ein Dokument, das wir "Desiderata" ("Gewünscht", Anm. d. Red.) nennen. Darin beschreibe ich das Projekt, wie es entwickelt werden könnte - Material, Funktion, Designqualität, bis hin zum Preis. Das bekommen meine Mitarbeiter, die Ingenieure, die Designmanager und die Entwickler. Das ist die erste Phase. Der neue Prototyp dauert in der Entwicklung sechs bis zwölf Monate, je nach Komplexität. Dann wird er mir zusammen mit einer Dokumentation präsentiert. Die Dokumentation wirft alle möglichen Probleme auf: Wo hakt es in der Funktion, stimmt der Preis etc.? Ich versuche zu analysieren, wie gravierend die Fragen bzw. Probleme sind. Wenn ich mich zur Umsetzung entscheide, gibt es ein neues Dokument, und es geht weiter. Bevor ich dieses schreibe, muss ein interner Tester das Produkt auf Herz und Nieren prüfen. Das ist eine mathematische Formel, die uns hilft, die Reaktionen der Konsumenten zu verstehen respektive vorwegzunehmen - sehr präzise.
Das klingt sehr deutsch.
Alessi: Stimmt, das ist auch der interne Scherz, den wir darüber machen. Wenn ich den Bericht habe, kann ich mich immer noch dafür oder dagegen entscheiden. Das ist die letzte Phase - selbst danach kann ein Projekt aus den unterschiedlichsten Gründen noch gestoppt werden. Das passiert sehr selten, vielleicht zwei Prozent der Produkte gehen nicht in Produktion, vielleicht eins pro Jahr.
Und was ist mit der emotionalen Initialzündung?
Alessi: Der erste Eindruck zählt, und ich bin jemand, der sehr persönlich reagiert. Manchmal ist es sogar die Person des Designers, die mich so beeindruckt, dass ich die Zusammenarbeit suche, obwohl sein Objekt mich nicht begeistert.
Circa 350 Designer schicken Ihnen jedes Jahr unaufgefordert ihre Entwürfe zu. Warum brauchen Sie trotzdem ein Netzwerk aus Experten, Journalisten und Hochschullehrern?
Alessi: Input kann es nicht zu viel geben. Unser Inner Circle sind 200 Designer. Mein Problem ist, dass ich auf die Frage, wer heute die wichtigsten Designer für Alessi sind, keine Antwort geben kann. Wenn ich auf die vergangenen zehn Jahre zurückschaue, kann ich ganz einfach zehn Namen herunterbeten. Ich weiß aber, dass diese zehn Leute nicht in der Lage sind, ihren Erfolg auf Knopfdruck zu wiederholen.
Ist das einer der Gründe, warum Sie sich von Philippe Starck getrennt haben?
Alessi: Es gibt eine Formel, die uns etwas Sicherheit für neue Produkte gibt, es gibt keine Formel, die uns Sicherheit über einen Designer gibt.
Philippe Starck ist die Madonna unter den Designern - er hat sich immer wieder neu erfunden - auch in den Produkten, die er mit Alessi gemacht hat - ist das nicht eine Formel?
Alessi: Ich kenne seine Formel nicht, aber er hat wahrscheinlich von meinem Modell gelernt. Das ist aber nicht genug für einen Designer. Der Starck der letzten paar Jahre ist nicht der Starck von vor zehn Jahren. Das ist Fakt.
Was ist der Ansatz für globale Massenproduktion im Designbereich? Ästhetischer Imperialismus?
Alessi: Das ist ein großes Risiko. Wir werden nur überleben, wenn wir die Originalität der lokalen kulturellen Wurzeln weiterentwickeln.
Florian Hufnagl,
Museumsdirektor