Sitzmöbel "Eckball" von V. Albus und Tong Xu

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Läufer "Karl-Heinz" von V. Albus und Jenny Peiz, Schlapfen "Schlappe" von V. Albus und Sandra Schollmeyer

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Schuhbürste "Kick and Brush" von Volker Albus und mit Kai Richter

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Knabbergebäckschalenset "Günter und Gerhard" von V. Albus und Stefan Legner

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Fußballgirlande "Viererkette" von Stefan Legner

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Endlich ist es so weit: In Südafrika steigt das größte Designfestival aller Zeiten. Event- und Modedesigner, Visagisten, Architekten, Studio- und Intérieurdesigner, Kommunikations-, Grafik- und Servicedesigner, kurzum Designer aller Sparten pilgern seit einer Woche nach Kapstadt, Johannesburg, Durban und in sechs weitere Städte und machen das designtechnisch bislang eher randständige Land im Süden Afrikas zum Mekka der Designwelt. Gut, offiziell nennt sich die Veranstaltung Fußballweltmeisterschaft, aber im Grunde genommen sind die 64 Spiele, die geschätzten 180 Tore und die circa zehn Blutgrätschen nur Mittel zum Zweck, gestalterisch wieder einmal so richtig vom Leder zu ziehen.

Vor allem die Produktdesigner fühlen sich berufen, das Thema Fußball nach allen Regeln der Kunst durchzuspielen. Und da spielt, und das ist eigentlich die einzige Gemeinsamkeit zwischen Sportlern und Gestaltern, der Ball die zentrale Rolle. Denn mit diesem Ball werden eben nicht nur Flanken geschlagen, Pässe gespielt und Tore geschossen, nein, dieser Ball ist auch Ausgangsmotiv für eine Produkt-palette unvorstellbaren Ausmaßes. Warum das so ist, darüber ließe sich trefflich spekulieren, aber wahrscheinlich liegt es an der formalen und grafischen Signifikanz dieses Sportgeräts: Ein rundes Teil aus Plastik, Leder, Frottee oder sonst was, ein präzise berechnetes Konstrukt, bestehend aus zehn, zumeist schwarzen Fünf- und 22 weißen Sechsecken und einem Durchmesser von 22 Zentimetern. Fertig. Alles Mögliche kann man damit spielen. Und alles Mögliche wird daraus gemacht: Aschenbecher, Radios, Telefone, CD-Alben, Mini-Kühlschränke, Gartengriller, Ferngläser, Mehrfachstecker, Salz- und Pfefferstreuer, Bleistiftspitzer und so weiter und so fort, ja selbst Urnen in schwarzweiß bedruckter Ballform kommen zum Einsatz.

Einen Red Dot, sozusagen ein Tor des Monats, kann man mit all dem allerdings nicht gewinnen. Sprich: Das meiste, ja, fast alles, was in diese runde und markant schwarz-weiße Form gepresst wird, ist weder schön noch funktional, geschweige den originell. Es ist schlicht und einfach beliebig und platt. Denn was, bitte schön, hat ein Aschenbecher, ein Telefon, eine Urne oder ein Kühlschrank mit einem runden, schwarz-weiß gemusterten Fußball zu tun? Nichts! Aber auch gar nichts.

Welch ein Fundus

Dabei bietet gerade die Welt des Fußballs ein ungemein reiches Panorama von Begriffen und Redewendungen, die, entsprechend sportiv aufgeladen, vollkommen neu gedacht und in die konkrete Form eines sinnfälligen, alltags- (und fan-)tauglichen Produkts überspielt werden könnten: zum Beispiel die (Kabel)-"Verlängerung", der (Tür)-"Stopper", die (Fliegen-)"Klatsche", die "Packung" oder die "Flasche leer", die außerhalb der fußballtaktischen Definitionshoheit eines Giovanni Trapattoni oder eines Ernst Happel in einem völlig neuen ikonografischen Verständnis erscheinen könnten. Gleiches gilt für die "Bogenlampe", das "Rasenschach" oder den etwas altbackenen "Läufer": Auch sie ließen sich unter Berücksichtigung ihrer fußballspezifischen Bedeutung komplett anders denken als in der uns von einschlägigen Einrichtungspostillen vorgestellten Typologie.

Und erst die uns nur aus der Welt des Fußballs bekannten Phänomene wie die "Viererkette", der "Bankdrücker", der "Aufsetzer", die "Abseitsfalle", die "linke Klebe" oder die jeden Fan in Verzückung versetzende "Bananenflanke"! Welch ein Fundus gestaltungsgebender Steilvorlagen! Fügt man dieser schon außergewöhnlichen Produktprosa noch die charakteristischen Spezifika der diesen Ballsport begleitenden Protagonisten und Lokalitäten hinzu, so lässt sich ungefähr die Vielschichtigkeit eines Fußball gesättigten Designpanoramas erahnen. Man denke nur an die unverbindliche Omnipräsenz des aktuellen deutschen "Kaisers", an die gerne in der italienischen Presse beschworenen "Pancer tedesco", an die Thomas Bernhard'sches Niveau erreichende Schmäh eines Max Merkel oder an die antipodische Spannung der dialogischen Auftritte des Gespanns Gerhard Delling und Günter Netzer. Denn ist es nicht einzigartig, wie hier das Motiv der sogenannten "Spiel-Analyse" dargestellt wird? Wie Günter Netzer seine Beobachtungen mit einem misanthropischen Missmut unterlegt, wie er seine Kritiken mehr kaut, als spricht, wie er sie, sozusagen paranussmäßig, mit dem gesamten Unterkiefer malmt, während sein Gegenüber, Gerhard Delling, seine Fragen, seine Repliken nur erdnussig anknabbert! Ein Genuss! Ein Ereignis! Welch eine Herausforderung an das Design! Und was erst würde einem zu Edi Finger - "I wer' narrisch ..." - einfallen? Allein die durch seinen legendären Kommentar freigesetzte Assoziationskette vibrierender Emotion, Originalität und deftiger Materialität könnte, in ein entsprechendes Produktvokabular übertragen, zu einer ganzen Kollektion bodenständig-ledriger Polstergarnituren führen, zu nicht mehr und nicht weniger als einem "Córdoba" der Einrichtungskultur! (Volker Albus/Der Standard/rondo/18/06/2010)