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Zunehmend auch modischen Wirbel gibt es um das Kopftuch.

Foto: Reuters/Beawiharta

Lässig gebundene Kopftücher über kunstvoll zerzaustem Haar - so stellt sich das italienische Label Marni die Sommermode 2010 vor. Doch was auf dem Mailänder Laufsteg bunt bedruckt und seitlich geknotet daherkommt, ist aktuell auch ganz woanders anzutreffen - zum Beispiel auf den Straßen Brüssels. Da fotografierte Scott Schuman nämlich für sein in der Modewelt viel beachtetes Streetfashion-Blog "The Sartorialist" unlängst Frau mit Kopftuch: Hals und Unterarme sind von Rollkragenpullover, Pumphose und langem Mantel verdeckt. Sie lassen darauf schließen, dass es sich um eine gläubige Muslimin handelt, die auf ihren modischen Auftritt nicht verzichten will. Neben seiner religiösen und politischen Bedeutung ist das Kopftuch längst modisches Accessoire, das wie die Designerhandtasche aufs Outfit abgestimmt wird. "Der modische Aspekt des Kopftuches rückt bei immer mehr Türkinnen in den Vordergrund", bestätigt die deutsche Modeexpertin Barbara Vinken. Soziologische Untersuchungen hätten außerdem gezeigt, dass es sich dabei um die Aneignung einer Stigmatisierung handle.

Die Tragevarianten des Tuches sind immerhin vielfältig: Einmal wird es um Kopf und Hals gewickelt, um Haaransatz und Haare komplett zu bedecken, dann ausschließlich um den Kopf geschlungen. Die Vielfalt dieser modischen Kopftuchverschlingungen lässt sich im Internet auf Youtube in zahlreichen Videotutorials beobachten. Da interpretieren junge Mädchen das quadratische Stück Stoff, das "Hijab" genannt wird, nach ihrem eigenen Geschmack: Bunte oder glitzernde Tücher werden am Kopf festgesteckt und manchmal auch mit Schminktipps kombiniert.

Trendige Fashionista

Für den zunehmend modischen Wirbel um das Kopftuch muslimischer Frauen gibt es bereits Bezeichnungen: Analog zum westlichen Modell der trendigen Fashionista taucht die "Hijabista" auf. Das ist die kosmopolitisch orientierte modebewusste Kopftuchträgerin, die sich für den "hijabfreundlichen" Lagenlook der letzten Wintersaison von Missoni interessiert, aber mittlerweile auch auf ein Parallelangebot zurückgreifen kann. Maßgeschneiderte Mode- und Lifestylemagazine für die moderne konsumfreudige Muslimin unterscheiden sich inhaltlich tatsächlich nur unmerklich von der Konkurrenz auf dem westlichen Magazinmarkt.

Das im April diesen Jahres erstmals in Singapur erschienene englischsprachige Magazin Aquila beispielsweise beherrscht von Beauty bis Fashion das kleine Themeneinmaleins der Modemagazine. Kein Wunder, richtet es sich doch an karrierebewusste Musliminnen in Jeans und Gladiatorensandalen mit und ohne Kopftuch. Auch zu westlichen Streetfashion-Blogs wie dem "Sartorialist" gibt es bereits ein Pendant: Das Blog "Hijabshigh" lichtet Kopftuchträgerinnen auf den Straßen von London, Paris, Istanbul und New York ab.

Was im Internet als ein weitverbreitetes Modephänomen erscheinen mag, beschränkt sich in Wien auf wenige Bezirke und Straßenzüge: Im 16. Bezirk rund um den Brunnenmarkt verkauft eine Handvoll türkischer Geschäfte Kopftücher. Die meist 90 mal 90 Zentimeter großen Stoffquadrate werden alle zwei bis drei Monate in Istanbul eingekauft, um der Nachfrage der Kundinnen nach neuer Ware nachzukommen. "Es gibt sicherlich noch immer sehr starke Vorbehalte der deutschen oder österreichischen Bevölkerung gegenüber dem Tragen des Kopftuches, allerdings ist der Modus des modischen Accessoires viel mehr in den Vordergrund gerückt - es fehlt eigentlich nur noch, dass wir das auch hin und wieder tragen", meint Vinken.

Doch die Hochzeit des klassischen Kopftuchs ist in der europäischen Modegeschichte bereits länger verblasst. "Schon im Mittelalter gab es in der europäischen Mode das Kopftuch, allerdings wurde es als Schleier bezeichnet, danach ging es der Mode erst einmal abhanden", meint die Kostümhistorikerin Annemarie Bönsch. In der oberösterreichischen Tracht war das schwarze Seidentaftkopftuch Ende des 19. Jahrhunderts populär. Das unter dem Kinn geknotete bäuerliche Kopftuch galt hingegen nie als modisch, und der einst in den 1950ern mondäne Grace-Kelly-Look erlebt saisonal einen eher lahmen Aufguss.

Orientalismus

Statt des klassischen Kopftuchs der europäischen Modehistorie erliegen westliche Designer dem Reiz des Fremden. Derzeit ist der Orientalismus als westlicher Modetrend wieder ganz stark angesagt. "Aber", so Barbara Vinken, "es geht natürlich nicht so weit, dass jetzt die Burka Trend wird." Eines ist aber eindeutig: "Diese gerade sehr präsente Orientalismuswelle hängt ja auch mit der "Vermodisierung" des Kopftuchs, das zu einem modisch stilisierten Accessoire geworden ist, zusammen." Denn indem der Foulard "orientalisch" geworden sei, habe er sich sozusagen verwestlicht, so Vinken. Daneben erleben Turbane und Haremshosen gerade wieder einen ungeheuren Aufwind: Sex and the City-Star Carrie flimmert im soeben gestarteten zweiten Kinofilm auf dem Flughafen von Abu Dhabi im Halston'schen Vintage-Chic mit Turban über den Bildschirm.

Die trendige schwedische Designerin Carin Wester ließ in Stockholm ihre langhaarigen Models für den kommenden Winter ebenfalls betucht über den Laufsteg flanieren, und selbst das für seine Nüchternheit bekannte Label Helmut Lang setzt für diesen Sommer auf mehr Stoff im Schritt.

Symptomatisch für das Interesse an orientalischen Elementen auch die Herangehensweise der österreichischen Modedesignerin Kathrin Lugbauer vom Wiener Modelabel "Natures of Conflict": "Ich habe mich mit Kostümen des Mittleren Ostens beschäftigt, weil ich arabische Länder extrem spannend finde."

Bevor jedoch Kopftuch mit Turban kostümhistorisch über einen Kamm geschert wird, macht Annemarie Bönsch klar: "Der Turban wird aus einem längeren Stück Stoff und nicht aus einem Kopftuch gebunden, das wäre nämlich viel zu klein." Zum Glück nehmen es Trends damit nicht ganz so genau. (Anne Feldkamp/Der Standard/rondo/25/06/2010)