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Falter oder Knüller?

Foto: Lili K. / Corbis

Die Deutschen sind Falter. Mit germanischer Präzision legen die Menschen zwischen Flensburg und Passau ihr Toilettenpapier ordentlich zusammen, bevor sie ihr Hinterteil reinigen. Lediglich sechs Prozent knüllen das Papier und formen es zu einem Ball. Auch zwischen Vorarlberg und dem Burgenland falten Frauen und Männer am liebsten. Immerhin jeder fünfte Österreicher ist ein Knüller. Dann gebe es noch "Wickler und Ein-Blatt-Abreißer", aber das seien "nur wenige", weiß Siegfried Hustedt von Procter & Gamble.

Bei den Faltern ist ein festes Blatt besonders wichtig. Die Abschnitte lägen flach übereinander. "Da wirken Schwerkräfte", sagt Experimentalphysiker Hustedt, "und die Durchreißgefahr ist hoch". In den USA dagegen wird meist geknüllt. Deswegen ist das Papier dort sehr flach und hat kaum Struktur. Als Falter sei man da aufgeschmissen, sagt Hustedt.

Wer gedacht hat, die Produktion einer simplen Rolle wäre nur eine Aufgabe für Schneide- und Wickelautomaten, verkennt die diffizilen Herausforderungen der Klopapierforschung: Reißfestigkeit, Geschmeidigkeit, Feuchtigkeit - Dinge, die unseren Vorfahren im wahrsten Sinne des Wortes am Arsch vorbeigingen.

Steine und Tonscherben

Die kulturbeflissenen Griechen nahmen Steine und Tonscherben, die Römer einen Schwamm, der in Salzwasser gereinigt wurde. Und während Europäer im finsteren Mittelalter noch mit Heu, Stroh, Gras oder alten Lumpen putzten, nahmen die Chinesen bereits Papier. Das kaiserliche Versorgungsamt orderte 720.000 Blatt pro Jahr, wobei die Lappen etwa einen halben Quadratmeter groß waren, während Jahrhunderte später die ersten Siedler in Amerika noch zu Maiskolben griffen. Später nahmen sie, wie mancher auch heute noch, alte Zeitungen und Zeitschriften. Die Bauernzeitung "Old Farmers Almanac" aus Dublin, New Hampshire USA war sogar mit Löchern versehen, um sie auf dem Abort aufzuhängen. Erst 1857 produzierte Joseph Cayetty in seiner Fabrik ein spezielles, als Toilettenartikel ausgewiesenes Papier. Sein Name stand auf jedem Blatt, wohingegen der Brite W. C. Alcock in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts seine Erfindung schamvoll Papierlockenwickler nannte.

Kurz vor der Weltwirtschaftskrise schlug auch in deutschsprachigen Ländern die Zeit der Klopapierinnovatoren. 1928 wurde die "Klenk & Co" ins Ludwigsburger Handelsregister eingetragen. Der 22-jährige Hans Klenk gab seinem Hygieneartikel ganz im Stile eines modernen Brandings den Namen "Hakle", erdacht aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Zunamen. Es war die erste Rolle Klopapier mit garantierter Blattzahl. Präzise 1000, alle perforiert. Zudem kreierte der Unternehmer einen Slogan, der auch Agenturen heute noch durchaus einen Löwen in Cannes einbringen könnte. "Verlangen Sie eine Rolle Hakle", dichtete Klenk damals, "dann brauchen Sie nicht Toilettenpapier zu sagen."

Farbexplosion am Häuslpapier

Es entwickelte sich ein Firmen-Wettlauf um die Gunst der menschlichen Hinterteile, in dem die Amerikaner einige Jahre Vorsprung hatten. Denn William Lysle entwickelte bereits 1889 ein Verfahren zum "Runzeln, Aufrauen und Griffigmachen von Papier durch Verdichten". Dem kreppähnlichen Stoff folgte schon ein Jahr später das Tissue in mehreren Lagen. Aus Holzschliff-, Stroh- und Jutefasern entstand dünneres und vor allem weicheres Papier.

In deutschen Waschräumen herrschte bis zu Beginn der 1970er-Jahre tristes abgerolltes Grau vor. Doch dann überschlugen sich die Farbexplosionen auf dem Klopapiermarkt. 1972 zuerst in Rosa, später in Schilfgrün, Braun oder Curry, passend zu den Badezimmerkachelmoden. Und aus der rauen Einer-Lage wurde zwei-, später drei- und 1984 vierlagiges Papier. Wahlweise mit Perlprägung, geriffelt, gepunktet, mit zarten Wiesenblumen oder flauschigen Lämmchen.

Die österreichische Firma "Cosy" aus Pernitz brachte 1955 einlagiges Krepp auf den Markt und zog bis 1987 mit drei Lagen in Beige, Blau und Rosa nach. 36 Millionen Rollen verkaufen die Niederösterreicher jährlich, sagen sie. Das sind 750. 000 Kilometer Papier, das Band würde fast 19-mal rund um die Erde reichen.

Selbstgehäkelter Überzug

Toilettenpapier verließ allmählich die Schamecke. Der Höhepunkt des Klopapieroutings war zweifelsohne die stolze Präsentation einer Rolle unter dem selbstgehäkelten Überzug auf der Hutablage des Autos, gleich neben dem Wackeldackel. Wer etwas auf sich hielt, präsentierte seinem Besuch im peinlich gesäuberten Abort das neueste Design.

Auf Österreichs Örtchen gab es sogar Rollen mit Sprüchen von Stürmer Toni Polster für Humor und Hygiene. Seine besten Sprüche hatte eine Supermarktkette für den Hintern reserviert. "Ein Denkmal will ich nicht sein, darauf scheißen ja nur die Tauben", war einer der Weisheiten. Manch Weichpapier-Werber in Österreich scheint auch Bertolt Brecht gelesen zu haben. "Steff sitzt gern auf dem Abort, denn er nimmt ein Buch nach dort", reimte der Dramatiker 1934. Weiter ging es so: "Ist das Buch dann dick, kommt er erst am nächsten Tag zurück."

Die Konkurrenten im Rollenspiel beobachten sich genau. Immer auf der Suche nach neuen Papierformeln. Das fängt schon beim banalen Abriss an. Denn ist die Lochung zu schwach, führt ein schwungvoller Zug zu einer meterlangen Schlange auf den Kacheln. Ist sie zu stark, nervt das mühsame Abtrennen.

Sensorisches Test-Panel

Das Grunddilemma der Forscher allerdings bleibt bislang stets dasselbe. Mit der Weichheit der Toilettenpapiere seien die Konsumenten noch nicht ganz zufrieden, sagt Siegfried Hustedt. Das sind seine Erfahrungen aus dem "sensorischen Test-Panel", bei dem viele Menschen auf dem Topf sitzen. Eine Art Versuchsstation am lebendigen Leib. Dabei tragen die Test-Personen dann meist "einen drucksensitiven Handschuh".

Das nächste Problem: Weder menschliche Hand noch der Hintern können die Dicke des Klopapiers messen. Deshalb sieht es in Labors der Toilettenpapierforscher wie bei Daniel Düsentrieb aus: metallene Apparate mit Armen, Zylindern und Wasserschläuchen. Aber dick genug heißt noch lange nicht, dass das Blatt nicht durchreißt. Darum werde auch "die Durchstoßfestigkeit" getestet. Ein Roboterarm drückt dabei eine Metallkugel, der imitierte Fingerdruck, gegen das Blatt.

Aufgesprühte Fasern

Die Krux bleibt: Die Zellstoffblätter sollen reißfest, aber gleichzeitig weich sein, zudem genug aufsaugen und am besten auch noch ein Wellnesstuch sein. Den Ausweg scheinen Ingenieure mit einem speziellen, geschichteten Blattaufbau gefunden zu haben. Dabei sprühen sie verschiedene Zellulosefasern übereinander auf ein Spezialgitter, "unten lange, kräftige Nadelbaumfasern, oben kurze, weiche Fasern vom Eukalyptusbaum", so Fachmann Hustedt. Diese dreidimensionale Papierstruktur bleibe, so Experten, auch unter Druck länger in Form. Werden zwei Lagen des Spezialpapiers zusammengeklappt, sei das Ergebnis außen weich und innen fest.

Seit 1977 aber ist einer großen Verbrauchergemeinde dieser Lagenfetischismus egal. Sie nimmt feuchtes Papier. Keine Kratzspuren, keine Rollen, süßlich duftend, nach Kräuteressenzen aller Art und von "perfekter Pflege", suggerieren Werbespots. Die internationale Toilettenpapier-Forschergemeinde arbeitet aber auch längst daran, dass Klopapier überhaupt überflüssig wird. Schon 1999 stellten japanische Erfinder eine papierlose Toilette vor, die den Po schonend wäscht und anschließend mit einem Fön lufttrocknet. (Oliver Zelt/Der Standard/rondo/19/11/2010)