Adele, stimmgewaltiges Fräuleinwunder aus England, veröffentlicht ihr zweites Album.

Foto: XL Records

Wenige Künstler können behaupten, dass Sarah Palin ihrer Karriere hilfreich war. Klingt ja auch eher kreditschädigend; aber die britische Sängerin Adele kann das. Im Herbst 2008 sang sie bei Saturday Night Live zwei Stücke. Ein Auftritt der rechtskonservativen Politikerin in derselben Sendung bescherte der Show die höchsten Einschaltquoten seit vielen Jahren; und als Kollateralsegen schnalzte es die Verkäufe der wie ein deutsches Schlagersternchen gerufenen Sängerin in den USA in die Höhe, ihre Songs landeten in den Charts.

Das wäre ihr wahrscheinlich auch anders gelungen. Aber Adele Laurie Blue Adkins - 22, stämmig, stimmgewaltig - ließ zuvor wegen eines verflossenen Herzbuben ihre US-Tour platzen. Heute gibt sie sich diesbezüglich reumütig. Dem Alkohol, der damals Entscheidungsmitträger gewesen sein soll, hat sie mittlerweile abgeschworen. Saturday Night Live war ihre zweite Chance, und man kann sagen, sie hat sie genutzt.

Schon ihr Debüt 19 brachte dem Fräuleinwunder satt Kritikerlob ein, die Single Chasing Pavements war ein Nummer-eins-Hit, und ihre Coverversion von Bob Dylans Make You Feel My Love stimmte die ältliche britische Pop-Journaille milde: gutes Kind. Aber die hat ohnehin kein Problem mit Adele. Die Londonerin singt Blue-Eyed-Soul; und der wusste sich immer schon überall zu bedienen. Das bestätigt 21, das heute, Freitag, erscheinende zweite Album von Adele. Klassisches Songwriting, Soul und Country macht sie sich meist im Midtempo untertan. Da reichen wenige Griffe auf der Gitarre, kleine Rhythmusänderungen, um die Atmosphäre in den gewünschten Blauton zu tauchen. Diese Kunst beherrschen Adele und ihre Band auf Signal mit dem kleinen Finger.

Das Album beginnt mit einem diesbezüglichen Vorzeigemodell: mit Rolling In The Deep. Der trägen Eleganz wird von einer angriffslustigen Band eine Leichtigkeit verliehen, ohne die Emphase des Vortrages zu stören. Der Song zeigt, welches Powerhouse Adele sein kann. Sagen wir so: Mit ihrem Atem könnte sie 317 Jahre alt werden und die Kerzen ihres Geburtstagskuchens immer noch mit einem Huster ersticken. Dass sie selbst Etta James als Vorbild angibt, verwundert da nicht. Zwar fehlen der Britin noch zirka zwei Dutzend Weltnummern, um der göttlichen Etta nahezukommen, aber das weiß sie selbst.

Adele zählt zu den erfolgreichsten neuen britischen (Soul-)Sängerinnen, die einen Spagat zwischen klassischem und zeitgenössischem Sound versuchen. Siehe Amy Winehouse, Alice Russell oder Duffy. Sie sind die aktuellen Hoffnungen der Musikindustrie: Authentisch wirkende Konsenstalente, die ohne übertriebenes Marketinggetöse im sechs-, siebenstelligen Bereich Alben verkaufen. Adele ist mit ihrem Hammerwerfercharme die Jüngste in diesem Kreis. Für sie leistete man sich Rick Rubin als Produzenten. Wobei - der fällt nicht weiter auf. Vielleicht geht auf sein Konto, dass Adele technischem Firlefanz entsagt.

Das ist brav, verhindert aber nicht, dass ein paar Songs in ihrem Massentauglichkeitsanspruch nichtssagend ausfallen. Stücke, denen die emotionale Tiefe fehlt, Lieder, die wie Reste von Kuschelrock-Samplern klingen. Schad drum, denn die Anlagen wären vorhanden. Vielleicht schaut sich Adele etwas Renitenz bei Frau Weinhaus ab, dann könnte sie die Schwerkraft des Mittelmaßes überwinden. (Karl Fluch, DER STANDARD/RONDO - Printausgabe, 21. Jänner 2011)