Werke aus der Feder von Dieter Rams: Lautsprecher "L 2".

Foto: Hersteller

Weltempfänger "T 1000".

Foto: Hersteller

"SK 4", der sogenannte "Schneewittchensarg" (gemeinsam mit Hans Gugelot).

Foto: Hersteller

Taschenrechner "ET 66 control" (gemeinsam mit Dietrich Lubs).

Foto: Hersteller

Dieter Rams.

Foto: Hersteller

Dieter Rams, der einstige Chefgestalter des Elektrogeräteherstellers Braun, ist kein Freund schriller Töne - nicht im Gespräch und schon gar nicht im Design. "Gutes Design", lautet das vielzitierte Paradoxon des weltberühmten Gestalters, "ist so wenig Design wie möglich." Industriedesign sei zuallererst eine Frage der Technologie, hält "Mr. Braun", wie er gern genannt wird, allen Freunden opulenter Formen stoisch entgegen. Spätestens seit sich Apples Power-Macs, iPods und iPhones deutlich Braun-inspiriert zeigen, ist der mittlerweile 78-jährige Rams wieder in den Fokus gerückt: als großer Entrümpler, Befreier von Pomp und Bombast. Als Großvater des Apple-Designs.

DER STANDARD: Apple-Design von heute gleicht der Braun- Gestaltung von gestern. Fühlen Sie sich beklaut, Herr Rams?

Dieter Rams: Um Himmels willen! Das ist ein großes Kompliment. Wenn ein Unternehmen mit angemessen gestalteten Produkten Erfolg hat, findet es meinen Beifall.

DER STANDARD: Apple ist Kult, jede Produkteinführung ein Ereignis. Haben Sie sich so viel Aufmerksamkeit für avanciertes Design auch in Ihrer Braun-Ära gewünscht?

Rams: Die Aufmerksamkeit hatten wir! Als wir 1956 die Radio-Phono-Kombination SK4 präsentierten - den sogenannten Schneewittchensarg -, war das ein Ereignis. Vergleichbar mit der Einführung des iPods. Die Presseresonanz war enorm, das Publikum erstaunt.

DER STANDARD: Sie haben damals den Musiktruhen mit Goldleisten und Stoffbespannung den Kampf angesagt. Wie riskant war das neue Design?

Rams: Als die Brüder Braun 1955 ihre ersten Geräte im neuen Design auf der Funkausstellung in Düsseldorf zeigten, soll Max Grundig von der Konkurrenz gefragt haben: "Wollt Ihr das Erbe eures Vaters verspielen?" Er prophezeite das rasche Ende der Firma.

DER STANDARD: Wie hat sich der Schneewittchensarg denn verkauft?

Rams: Zunächst nicht übermäßig gut. Aber Produkte wie der Schneewittchensarg verschafften Braun ein neues Image. Bis Mitte der 1950er-Jahre war Braun ein kleiner Elektrogerätehersteller, der im Frankfurter Raum bekannt war, doch in München und in Hamburg schon nicht mehr. Und dann, im Jahr 1961, stand unsere gesamte Produktpalette im New Yorker Museum of Modern Art. Das Unternehmen wurde auf der ganzen Welt bekannt - dank des Designs. In den 1990ern, in meiner letzten Dekade bei Braun, wurden mehr als 75 Prozent der Braun-Produkte exportiert.

DER STANDARD: Folgte der Durchbruch einem Kalkül?

Rams: Nein, Marketingstrategen gab es seinerzeit noch nicht, Gott sei Dank!

DER STANDARD: Kalt, streng und rational sind Attribute, mit denen Ihre Braun-Entwürfe bedacht werden. Die britische Designzeitschrift "Blueprint" hat Sie als "Apostel des Coolen" bezeichnet. Irritieren Sie solche Zuschreibungen?

Rams: Nein, die Medien brauchen offenbar Schlagworte und stellen das Spektakuläre in den Vordergrund.

DER STANDARD: Sie dagegen bevorzugen die leisen Töne.

Rams: Richtig. "Die leise Ordnung der Dinge" hat die Autorin Uta Brandes ein Buch über meine Arbeit genannt. Das trifft es. Ich wollte immer dazu beitragen, das Chaos zu lichten.

DER STANDARD: "Weniger wäre besser" lautet Ihr Credo. Worauf können Sie denn dankend verzichten?

Rams: Auf modernen Kitsch und seichte Unterhaltungsmusik. Auf Windräder und allen geschmacklosen Ramsch ebenfalls. Ich bin ein Kaufmuffel. Immer gewesen.

DER STANDARD: Ein früher Fall von Konsumverweigerung.

Rams: Sicher. Vieles, was in Läden als Design angeboten wird, hat mich nie interessiert. Diese knallbunten Wohnaccessoires können mir gestohlen bleiben. Aber Werkzeuge und Gartengeräte faszinieren mich. Wenn ich früher einen Werkzeugladen entdeckte, dann war ich da kaum rauszukriegen.

DER STANDARD: Verstehen Sie Ihre Produkte als Werkzeuge? Als Artefakte für den Alltag?

Rams: Strenggenommen sind sie natürlich keine Werkzeuge, sondern technische Apparate. Sie sollen unseren Alltag erleichtern - wie Werkzeuge -, und sie sollen zurückhaltend sein - wie stumme Diener. Wir alle brauchen nicht viel, wir brauchen Besseres.

DER STANDARD: Ist das der Grund, warum Sie einen Porsche fahren?

Rams: Der Porsche ist ein langlebiges Produkt: in der Anschaffung zwar teuer, doch wertbeständig. Der Wiederverkaufswert ist hoch, die visuelle Haltbarkeit ebenfalls.

DER STANDARD: Die meisten Unternehmen setzen auf raschen Modellwechsel. Ist es schwierig, mit langlebigen Produkten erfolgreich zu sein?

Rams: Nein, Miele, Porsche und Braun haben bewiesen, dass es geht. Aber in Konzernen wird heute der kreative Prozess von Marketingleuten bestimmt. Und die wollen sofort einen Return on Investment vorzeigen. Folglich wird permanent etwas Neues, das wenige Investitionen braucht, auf den Markt gebracht. Das ist unser Problem.

DER STANDARD: Gibt es ein Produkt, das Sie aufgrund seines Designs nicht in die Hand nehmen?

Rams: Mit der Hand bin ich so empfindlich. Aber es gibt eine ganze Reihe von Sachen, die meinen Sehnerv beleidigen. Ghettoblaster zum Beispiel.

DER STANDARD: Nicht Hip-Hopper, eher Jazz-Fans und vor allem Selbstständige, insbesondere Architekten, umgeben sich gern mit Ihren Produkten.

Rams: Sie sind geschmackssicherer als der Durchschnitt. Aber die Braun-Rasierer und die Zahnbürsten der Oral-B-Linie, für die ich in den 1980er-Jahren verantwortlich war, wurden gekauft, nicht weil sie gut aussahen, sondern weil sie echte Produktvorteile boten. Sie zu ermöglichen, ist auch eine Aufgabe der Designer. Fragen der Technologie und Materialien stehen für mich immer im Zentrum meiner Arbeit.

DER STANDARD: Sie kamen von der Architektur zum Design. War das damals der übliche Weg?

Rams: Nein, das war die Ausnahme. Die meisten Designer waren Ingenieure. Oder sie kamen aus der Grafik. Manche hatten als Künstler begonnen. Andere als Zeichner.

DER STANDARD: Ist das Zeichnen eine Voraussetzung fürs Entwerfen?

Rams: Darüber gingen die Meinungen immer schon auseinander. Nach dem Studium arbeitete ich bei Otto Apel, der damals eines der größten deutschen Architekturbüros betrieb. Alle 20 Minuten ging er durch die Reihen. Dann stand er auch hinter mir und sagte: "Pimpf, Architekten, die gut zeichnen können, sind mir suspekt. Das hat schon mein Lehrer, der berühmte Heinrich Tessenow, zu mir gesagt."

DER STANDARD: Hat Sie das irritiert?

Rams: Nein, ich zeichne gern. Der Gedanke sucht das Papier. Ich fange immer mit einer Skizze an. Das ist vergleichbar mit der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden.

DER STANDARD: Bei Ihren Plattenspielern, Verstärkern und Lautsprechern sind die Vorder- und Rückseiten gleichermaßen sorgsam gestaltet - wie bei modernen Gebäuden gibt es keine einzige Schauseite mehr. Spielt dieser architektonische Gedanke eine Rolle?

Rams: Natürlich. Braun-Geräte und Möbel sollen der Flexibilität der modernen Architektur Rechnung tragen. Sie waren gedacht als Objekte im Raum. Manche können wie Regale an der Wand befestigt werden, andere lassen sich frei gruppieren. Der moderne Raum sollte multifunktional sein. Es war doch absurd, dass Schlafzimmer lediglich nachts benutzt wurden und die gute Stube nur am Sonntag.

DER STANDARD: Gibt es Architekten, die Sie bewundern?

Rams: Ich finde interessant, was das Wiener Duo Coop Himmelb(l)au entwirft. Das sind fast schon gebaute Weltraumfantasien. Wenn wir unseren Planeten weiterhin so kaputtmachen, dann müssen wir bald überlegen: Wie und wo können wir noch bauen?

DER STANDARD: Gibt es eine Rivalität zwischen Designern und Architekten?

Rams: In Zukunft sind wir nicht mehr Architekten oder Designer, sondern Umweltgestalter. Wir werden uns damit auseinandersetzen, ob jene Räume, in denen wir arbeiten, überhaupt noch mit der Erde in unmittelbarer Verbindung stehen müssen. Vielleicht brauchen wir von der Erde losgelöste Baukörper, um unsere Landschaft zu erhalten. Das ist die Aufgabe, an der Designer und Architekten künftig gemeinsam arbeiten.

(Fabian Wurm/Der Standard/rondo/15/04/2011)