DER STANDARD: Herrenmode richtet sich in den USA entweder an betont maskuline "Jocks" oder eher schmalbrüstige "Nerds". Derzeit scheinen eher Letztere das Sagen zu haben. Was ist so sexy an den Nerds?
Michael Bastian: Ob "Jock" oder "Nerd" interessiert mich nicht so sehr, ich unterscheide eher zwischen extrovertierten und introvertierten Typen. Wir kennen doch alle diese Figuren, die ins Zimmer kommen und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen - weil sie laut sind, selbstbewusst und glauben, dass die Welt nur auf sie gewartet hat. Klar schauen da erst einmal alle gebannt hin. Aber ob das der Typ ist, dem tatsächlich die Sympathien gehören? Da bin ich nicht so sicher. Vielleicht auch, weil ich selbst eher der Nerd bin, der irgendwo in einer Ecke steht, den man zwar immer wieder mal im Auge hat, der sich aber nicht aufdrängt ...
DER STANDARD: ... bis die Frau, auf die es ankommt, schließlich nach Hause geht?
Bastian: (lacht) Na ja, ganz so still darf man sich auch wieder nicht geben. Aber ein Typ auf den zweiten Blick, ja, das trifft die Art Mann, für die ich designe.
DER STANDARD: Männer in zu kurz geratenen Hosen laufen derzeit quer durch alle New-Nerd-Kollektionen. Wer kann es sich leisten, in so einem Look im Büro aufzutauchen?
Bastian: Was weiß man schon, Leute fühlen sich ja in allerhand ungewöhnlichen Looks wohl. Wir verwenden das mehr als Styling-Technik, um den Typ Mann, den wir darstellen möchten, noch schärfer zu konturieren. Wobei: Wenn man fit ist, kann man diesen Look sehr gut tragen. Die Hosen aufkrempeln, das ist doch in derselben Kategorie wie die Pulloverärmel hochschieben, den Hemdkragen aufstellen ...
DER STANDARD: Moment: Aufgestellte Hemdenkrägen sind für Sie akzeptables Styling?
Bastian: Sie haben wohl die Bilder meiner aktuellen Kollektion gesehen? Das ist jetzt nicht eins zu eins auf den Alltag umzusetzen, obwohl ich nichts zeigen würde, was ich nicht auch an mir selbst gut finde. Aber unsere Kollektion umfasst nun mal sehr klassische, fundamentale Kleidungsstücke. Um da die nötige Aufmerksamkeit zu generieren, muss man bei Fotos eben etwas wagemutiger sein.
DER STANDARD: Ansonsten zeigen Sie viele enge T-Shirts, sehr kurze Shorts und ganz allgemein ziemlich viel nackte Haut - wie sexy darf ein Mann sein?
Bastian: Männer dürfen so sexy sein, wie sie sich fühlen, unbedingt! Wobei Sex natürlich ein gefährliches Wort ist. Oft stellen Männer, die sexy sein wollen, ja das genaue Gegenteil davon dar. Wie bei allem im Leben gilt: Don't try too hard.
DER STANDARD: Zuletzt waren starke Retro-Bezüge an die 1960er und 1970er aktuell. Sie schaffen mit geflickten Stonewashed-Jeans deutliche Anklänge an die 1980er. Was kommt als Nächstes in der Retrokiste - die 1990er?
Bastian: Ach, die Grunge-Nummer hatten wir auch schon. Mode richtet sich ja ganz wesentlich an die Jungen. Und für die ist es schon etwas Spezielles, jenen Stil selbst erleben zu können, den sie von ihren Vorbildern aus der Kinderzeit kennen. Als älteres Semester hingegen fühlt man sich in diesem Fall schnell einmal doppelt so alt.
DER STANDARD: Wird Vintage auch in der Herrenmode ein Thema?
Bastian: War es das nicht immer schon? Das Tolle an Männermode ist das klassische Element. Gewisse Teile, die einfach tolle Qualität haben, kann man wieder und wieder tragen, denken Sie nur an handgemachte Schuhe, Maßanzüge, all so etwas. Klar muss man die Teile kombinieren, aber da steckt ja auch ein nachhaltiger Gedanke drin. In den Staaten war Shopping vor der Krise so etwas wie ein Nationalsport: Hauptsache, man kam mit großen Sackerln nach Hause, selbst wenn der Inhalt nie mehr getragen wurde. Der Müll, der damit anfiel, die Arbeitsbedingungen, unter denen diese Billigteile entstanden sind - das war kaum ein Thema.
DER STANDARD: Und heute?
Bastian: Sieht es doch deutlich anders aus. Die Menschen kaufen viel weniger, aber dafür bewusster.
DER STANDARD: Viele Designer arbeiten inzwischen mit Recycling-Materialien. Ist das auch für Sie ein Thema?
Bastian: Ich liebe Recycling! Hier in Stockholm gibt es einen tollen Second-Hand-Laden für exquisite Herrenmode. Die einzigen neuen Teile, die der im Programm hat, sind von Gant. Ich denke, dass das ein Konzept mit enormem Potenzial ist, das ich mir sehr gut in anderen Städten vorstellen kann: Erstklassige Vintage-Stücke, kombiniert mit Teilen aus der aktuellen Kollektion. (corti/Der Standard/rondo/13/05/2011)