"In Sachen Bier war Italien jahrzehntelang von Deutschland kolonialisiert, aber das ändert sich", sagt der italienische Starbrauer Teo Musso (Birra Baladin). Tatsächlich schießen in Italien kleine, handwerklich arbeitende Qualitätsbrauereien aus dem Boden. In jeder Caffè-Bar kann man heute zwischen mehreren Sorten unfiltrierter und unpasteurisierter Spitzenbiere wählen. In manch gehobenen Ristorante wird zur Speisenfolge gar Bier- statt Weinbegleitung geboten. Damit folgt man im traditionellen Weinland Italien einem Trend, der zuvor schon in Ländern wie den USA, in Großbritannien und auch in Dänemark zu beobachten war - in Deutschland und Österreich bisher aber fast unbemerkt geblieben ist.
Ist die deutsche Bierkultur tatsächlich hinten nach? Georg Schneider, sechster seines Namens, Inhaber der bayrischen Traditionsbrauerei Schneider Weisse (die in Italien wie anderswo ungebrochenen Kultstatus genießt) und Präsident der als "Freie Brauer" organisierten Privatbrauereien Deutschlands, Österreichs und Belgiens, gibt seinem italienischen Kollegen im Interview teilweise recht - relativiert aber auch.
DER STANDARD: Wie kommt es, dass in Ländern wie den USA und Italien immer mehr Kleinbrauereien entstehen und geschmacklich sehr unterschiedliche Biertypen Erfolg haben, während im Bierland Deutschland eher eine Vereinheitlichung der Bierkultur festzustellen ist?
Georg Schneider: Ganz so schlimm ist es nicht. Die Zahl der deutschen Brauereien ist seit Jahren konstant und liegt bei über 1300 Brauereien, was immer noch sehr beachtlich ist. Allerdings wird immer weniger Bier getrunken, die Bevölkerung nimmt ab, der Markt wird kleiner. Das hat bei den großen Brauereien zu einer Konzentration geführt, gleichzeitig sind aber auch viele Gasthausbrauereien entstanden. Unter Druck geraten sind vor allem die mittelgroßen Brauereien.
DER STANDARD: Sollten diese nicht erst recht mit Mut und Innovation an die Sache gehen und neue Produkte entwickeln?
Schneider: In den Ländern, die Sie erwähnten, haben die Leute mehr Freude am differenzierten Geschmack. Und sie haben auch mehr Verständnis für Experimente und für Brauer, die sich etwas trauen. Da haben wir hierzulande sicher etwas verschlafen.
DER STANDARD: Liegt die Schuld beim Konsumenten?
Schneider: Natürlich nicht. Es wäre zu einfach, dem Konsumenten die Schuld in die Schuhe zu schieben.Es waren schon die Brauer, die eine Entwicklung verschlafen und sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht haben, weil sie sich dachten: Wir haben ja eh das Reinheitsgebot, und das ist das Beste, was es gibt - also wozu sich bemühen?
DER STANDARD: Hat das Reinheitsgebot mit schuld, dass unser Bier so einheitlich schmeckt?
Schneider: Keinesfalls. Das Reinheitsgebot hindert mich nicht, geschmackliche Vielfalt zu erzeugen. Die Grundstoffe, die mir laut Reinheitsgebot zur Verfügung stehen, reichen vollkommen aus. Zuerst einmal der Hopfen: Es gibt die unterschiedlichsten Hopfensorten, mit denen man unglaublich fruchtige und blumige Aromen ins Bier bringen kann. Dann das Gersten- oder Weizenmalz, das ich durch verschiedenste Verfahren rösten oder beeinflussen kann. Und dann natürlich das große Wunder der Hefe. Hefe ist ein ganz fantastischer Organismus, speziell die obergärige Hefe. Wenn die vergärt, erzeugt sie eine endlose Vielfalt von Aromen, von Banane über Apfel bis hin zur Gewürznelke. Alleine durch die Kombinationsmöglichkeiten aus diesen Inhaltsstoffen habe ich als Brauer innerhalb des Reinheitsgebots eine schier endlose Variantenfülle.
DER STANDARD: In Amerika wurden in den letzten Jahren ganz tolle Hopfensorten entwickelt, die in unseren Bieren kaum vorkommen. Wieso nicht?
Schneider: In den Großbrauereien werden sie die nicht finden. Wir arbeiten sehr wohl damit. Schneider braut etwa eine Hopfenweiße mit über 50 Bittereinheiten mit der wunderbaren Hopfensorte Saphir, die fast an ein englisches IPA erinnert (India Pale Ale, ein besonders bitterer Biertyp; Anm.). Außerdem experimentieren wir mit einer sehr interessanten Hopfensorte aus den USA, die sich Cascade nennt und starke Zitrusaromen aufweist.
DER STANDARD: All dieser Hopfen muss aus Amerika importiert werden?
Schneider: Saphir wird in geringen Mengen schon in Bayern angebaut. Cascade und andere müssen importiert werden. Wir ermutigen unsere Bauern aber dazu, auch hierzulande vermehrt neue Hopfensorten anzubauen. Das ist allerdings ein langfristiges Unterfangen, denn der Hopfen ist eine mehrjährige Pflanze, wenn er also heute angepflanzt wird, kann er frühestens in drei Jahren geerntet werden.
DER STANDARD: Das wäre ein Gewinn nicht nur für die geschmackliche, sondern auch für die biologische Vielfalt.
Schneider: Absolut. Mit dem normalen Bitterhopfen werden die Bauern auf Dauer sowieso nicht glücklich, denn der steht sehr stark unter dem Druck der Weltmarktpreise. Es ist wie in vielen Bereichen: Die Spezialisierung ist die Nische, in der es sich dann ganz komfortabel leben lässt.
DER STANDARD: In Amerika, Italien und anderen Ländern blicken die Brauer heute viel mehr nach Belgien als nach Deutschland. Es geht das geflügelte Wort um, dass Deutschland das Land des Bieres und Belgien jenes der Biere sei. Wie konnten die Belgier diesen Ruf erlangen?
Schneider: Die Belgier haben stets den Mut aufgebracht, geschmacks- und alkoholintensive Biere zu brauen. Und sie konsumieren anders. Die schütten nicht einfach zwei, drei Maßkrüge runter, sondern geben sich oft mit einem 0,33-l- Glas zufrieden. Da steht eben mehr der Geschmack als der Rausch im Vordergrund. Dazu kommt, dass in Belgien durch die Trappistenmönche diese wunderschöne Kultur der Klosterbrauereien bewahrt werden konnten. Auch deshalb blickt man heute oft nach Belgien.
DER STANDARD: Das mit dem Trinkverhalten trifft wohl auch auf die Italiener zu, die ihr Bier ja auch in viel geringeren Mengen konsumieren.
Schneider: Hier gibt es zwei sehr unterschiedliche Konsumstile, die soziologisch genau erforscht sind. Während wir Deutschen eher dem nordländischen Trinktypus angehören, pflegen die Italiener einen südländischen Trinktypus, was bedeutet, dass Trinken bei ihnen fast immer mit Essen in Verbindung steht. Das Stoßen der Bierkrüge im Bierzelt hat hingegen kaum etwas mit Essen zu tun. Daher sind die Italiener auch aufgeschlossener. Wenn man nämlich Bier mit Essen kombiniert, braucht man auch eine Vielfalt in der Auswahl.
DER STANDARD: Ihre eigene Brauerei gehört zu den traditionsreichsten des Landes. Gleichzeitig arbeiten Sie für deutsche Verhältnisse ziemlich innovativ. Würden Sie sich selbst als mutigen Brauer bezeichnen?
Schneider: Wir haben das Glück, ziemlich viel ins Ausland zu exportieren. Da wir auch in andere Länder verkaufen, können wir es uns leisten, auch solche Biere zu brauen, die dem deutschen Gaumen eher außergewöhnlich erscheinen und es hierzulande wahrscheinlich ziemlich schwer hätten.
DER STANDARD: Zum Beispiel?
Schneider: Zum Beispiel die erwähnte Hopfenweiße oder auch den sehr malzbetonten Aventinus Doppelbock. Den Aventinus lassen sie in Amerika oft ein bis zwei Jahre reifen, bevor sie ihn als Vintage-Bier verkaufen. Das wird dort den Händlern regelrecht aus der Hand gerissen.
DER STANDARD: Und in Deutschland gibt es dafür überhaupt kein Interesse?
Schneider: Hier ist es schwerer. Aber wir veranstalten durchaus Verkostungen, bei denen wir dem Konsumenten zeigen, wie toll ein gealtertes Bier schmecken kann und was es für erstaunliche Aromen entwickelt.
DER STANDARD: Sie haben neun Weizenbiere und kein einziges untergäriges Bier im Programm. Haben Sie vor, irgendwann auch ein untergäriges zu brauen?
Schneider: Nein. Wie ich schon sagte: Wir arbeiten in einer Nische, da kennen wir uns aus, und ich denke, das machen wir auch sehr gut. So soll es bleiben.
DER STANDARD: Sie sind Vorsitzender der vor zwei Jahren gegründeten Vereinigung die Freien Brauer. Worum geht es da?
Schneider: Nur der Name ist relativ neu. Als Einkaufsgemeinschaft gibt es uns schon sehr lange. Vor zwei Jahren haben wir uns dann überlegt, was eigentlich unser gemeinsamer Nenner ist, und wir sind draufgekommen, dass alle unsere Brauereien von ihren Inhabern geführt und konzernunabhängig sind. Und dass wir also tun und lassen können, was wir wollen. Darum sind wir die Freien Brauer. Als Inhaber können wir über alles sprechen, uns austauschen und gegenseitig befruchten. Wir bemühen uns, die Bierkultur weiterzuführen und zu pflegen, damit diese Kultur in Deutschland erhalten bleibt und der immer noch vorhandene Reichtum bewahrt wird.
DER STANDARD: Es sind auch ein paar Österreicher darunter. Was halten Sie von österreichischem Bier?
Schneider: In den letzten Jahren ist in Österreich viel passiert, und es ist ziemlich bergauf gegangen. Das ist auch einigen Brauern zu verdanken, die sich um die Kultivierung des österreichischen Hopfens kümmern, wie zum Beispiel die Familie Schwarz von der Zwettler Brauerei und das kleine Brauhaus Gusswerk in Salzburg.
DER STANDARD: Österreich hat ja eher wenig Weißbier-Tradition. Ist das Land überhaupt ein interessanter Absatzmarkt für Sie?
Schneider: Vor allem ist es ein sehr differenzierter Absatzmarkt. In Tirol ist die Realität eine ganz andere als in einem Weinland wie beispielsweise dem Burgenland. Ich hab zwar auch bemerkt, dass viele Winzer gerne Bier trinken, vor allem nach Weinverkostungen, um den Magen zu entsäuern. Aber die wollen dann eher ein neutrales Bier, ein Lager oder ein Pils, und kein Weizenbier.
(Georg Desrues/Der Standard/rondo/02/09/2011)