"Trésor Midnight Rose"

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Jedes Jahr kommen hunderte neue Parfums auf den Markt: Nur einige wenige schaffen es, sich zu behaupten. Im Konkurrenzkampf haben vor allem die Modehäuser einige Trümpfe im Ärmel. Das konnte Anne Feldkamp bei der Vorstellung des neuen Männerduftes von Jean Paul Gaultier in Paris beobachten. Illustration: Padma Bhatt

Ein sonniger Nachmittag mitten in Paris am Rande des Marais-Viertels. Im ehemaligen Operettenhaus Théâtre de la Gaîté Lyrique präsentiert Jean Paul Gaultier bei schummrigem Rotlicht sein neues Männerparfum. Man gibt sich alle Mühe, die Portion Verruchtheit aufzufahren, die von einem Gaultier erwartet wird. Soeben erst ging eine Ecke weiter die hauseigene Couture-Show über die Bühne, nun lassen Models hier die Peitsche schwingen. Der neue Duft Kocorico soll, wenn er im Februar nächsten Jahres auf den Markt kommt, in die Fußstapfen des zum Klassiker avancierten Männerduftes "Le Male" treten.

Die dicksten Fische

Wie wichtig das Parfumsegment für das ewige Design-Enfant-terrible ist, beweisen die Meldungen der letzten Monate: Hermès hatte seinen Anteil von 45 Prozent am Modehaus Jean Paul Gaultier ausgerechnet an den Parfum-Spezialisten Puig aus Barcelona verkauft - für 16 Millionen Euro. Eine stattliche Summe, die zeigt, wie attraktiv die duftende Seite des Modehauses für den spanischen Kosmetikkonzern sein dürfte. Bis 2016 allerdings verbleiben die Rechte an den lukrativen Gaultier-Parfums bei Beauté Prestige International (BPI), dem Tochternehmen des weltweit viertgrößten Kosmetikherstellers Shiseido.

Wenn es um die Lancierung von massenkompatiblen Designerdüften geht, werden die dicksten Fische aus der Modebranche geangelt. Immer in der Hoffnung, mit deren Hilfe den nächsten Topseller zu landen: Wenn der Duft floppt, geht viel Geld den Bach runter, wenn ein Parfum aber erfolgreich ist, finanziert es mitunter den gesamten Modebereich eines Designers. Ein Schlüssel sind dafür die Kampagnen für Print und Fernsehen: Jean-Baptiste Mondino knipste diesmal Jon Kortajarena. Das spanische Männermodel darf mit aufgeknöpftem Hemd und Federn an der Brust quasi den selbstbewussten Hahn geben. Unabdingbar ist der Wiedererkennungswert solcher Bilder, denn der Erfolgsdruck des Unternehmens ist hoch. Es gilt, an die bewährte Trademark zwischen Blechdose und Männertorso anknüpfen - und sich gleichzeitig gegenüber einer mehrfachen Hundertschaft alljährlich erscheinender Konkurrenzprodukte zu behaupten.

"Die Budgets für Massendüfte steigen zwar weiterhin an, die Wahrscheinlichkeit, dass ganz neue Düfte international wirtschaftlichen Erfolg haben, ist aber vergleichsweise gering. Von 20 Düften eines Unternehmens finanziert einer als international erfolgreiches Produkt die anderen 19, die meist nach wenigen Jahren wieder verschwinden, mit", erklärt der Parfummarktexperte Bodo Kubartz. Die Branche ist nach den Krisenjahren 2008 und 2009 dennoch im Aufwind, der Luxusgüterkonzern LVMH verbuchte 2010 als ein Rekordjahr, der Jahresumsatz überstieg mit einem Plus von 14 Prozent im Bereich Parfum und Kosmetik erstmals die 20-Milliarden- Euro-Grenze, ein Ende des Aufschwungs scheint nach eigenen Angaben nicht in Sicht: 2011 bewegten sich die Halbjahresumsätze erstmals über die Zehn-Milliarden-Euro-Schwelle.

Umsatzeinbußen

Ganz so einfach scheint es für Modelabels im Luxussegment nicht zu sein: Für einen Jean Paul Gaultier ist die gehobene Schneiderkunst der Haute Couture vor allem als Imageträger relevant. Krisenbedingt hatte das Unternehmen 2009 wie viele Luxusunternehmen Umsatzeinbußen von 19 Prozent zu verzeichnen, für den Sommer 2011 war sogar eine günstigere Zweitlinie angekündigt worden. Umso wichtiger, dass der neue Duft ein Erfolg wird.

In Gaultiers Modehaus in der Pariser Rue Saint-Martin ist von den Nachwehen der Krise Anfang Juli während der Haute-Couture-Show aber wenig zu spüren: Über den Laufsteg wandeln Lederkostüme mit verspielten Schößchen, zu eleganten Abendroben mutierte Trenchcoats, immer wieder Ballerinenröcke und opulent bepelzte Herrenparkas. Zum Showfinale darf als sexy Sahnehäubchen die französische Popsängerin Mylène Farmer daherstöckeln, gefolgt von Gaultier höchstselbst.

In enger Verbindung zum Modezirkus geht im Herbst das lukrative Parfum-Roulette verlässlich in die nächste Runde - und mit ihr die Schlacht um die Aufmerksamkeit der Käuferschaft, die bekanntermaßen erst einmal über visuelle Lockstoffe geködert wird: Plakatserien, Werbebanner, Videotrailer oder Social-MediaKampagnen - die Parfumunternehmen lassen sich mittlerweile einiges einfallen. Doch so modern die mediale Übermittlung via Facebook und Co auf den ersten Blick anmutet: Die Bewerbung unzähliger Designerdüfte ist in den meisten Fällen ebenso konventionell wie krisensicher und sieht auch so aus. Diese Saison im Segment Damenduft ein echter Renner: Männlicher (Star)fotograf setzt charismatische Jungschauspielerin in Szene.

Neuigkeiten bei Coty

Marc Jacobs und der Beautyriese Coty Prestige zum Beispiel setzen die Zusammenarbeit mit Juergen Teller fort. Der ist mit dem Modehaus quasi symbiotisch verbunden und trimmt den 17-jährigen, erwachsen gewordenen US-Kinderstar Dakota Fanning in der Kampagne für "Oh, Lola!" auf süßliche Lolita - in bekannt provokanter Manier. Damit wiederholt man für die aktuelle Parfumkampagne der Einfachheit halber die bewährte Geschichte vom niedlichen Mädchenmodel und dem blumigen Riesenflakon: Vor genau zwei Jahren wurde für die Vermarktung des Duftes "Lola" das Teeny-Model Karlie Kloss ganz ähnlich inszeniert.

Dabei könnte das auch nach hinten losgehen. Dann zum Beispiel, wenn die beiden Düfte und deren Vermarktungsstrategie zu große Ähnlichkeit aufweisen. So erklärt Bodo Kubartz, dass die Lancierung eines neuen Parfums für Unternehmen immer einen schmalen Grat "zwischen Wiederholung und zu geringer Distanz einerseits und einem zu starken Entfernen von bekannten Stilelementen einer Marke andererseits" darstelle.

Glücklicherweise hat der Duftgigant Coty Prestige parallel zu "Oh, Lola!" noch ein weiteres Ass im Ärmel, das Eleganz verströmen soll: "Jil Sander Eve" setzt in den Fotografien der aktuellen Parfumkampagne von Azim Haidaryan erstmals auf die aparte Erscheinung der Berliner Schauspielerin Karoline Herfurth, die als das rothaarige Mirabellenmädchen in der Verfilmung von Das Parfum bekannt wurde.

Erfolg eines Parfums

L'Oréal - ein weiterer Parfum-Riese - hat dagegen mit der britischen Schauspielerin Emma Watson für "Trésor Midnight Rose" und Starfotograf Mario Testino ein Duo zusammengespannt, das verlässlich für Schlagzeilen sorgt. Die ehemalige Hermine aus Harry Potter beschäftigt seit einiger Zeit mit ihrer signifikanten Kurzhaarfrisur die Mode- wie die Klatschpresse, im aktuellen Lancôme-Spot turtelt Watson mit dem französischen Schauspieler Cyril Descours herum. Bereits einige Monate vor Erscheinen des Parfums wird per Videoteaser auf die Lancierung wie auf einen klassischen Kinostart hingefiebert. Mittels Facebook-Page lässt sich der vermeintliche Blick hinter die Kulissen besonders glaubhaft inszenieren.

Die kurzfristige Aufmerksamkeit ist den Parfums insbesondere bei einer jungen und unentschlossenen Käuferschaft gewiss. Welcher Duft allerdings diese Saison das Zeug haben wird, sich zum Topseller zu entwickeln, haben Jon, Dakota, Karoline oder Hermine nicht komplett in der Hand. Und auch ein Gaultier kann sich für seinen Männerduft noch so einfallsreich zum Kikeriki aufplustern, der Erfolg eines Parfums wird vor allem nach einem bemessen: den nackten Zahlen. (Jean Paul Gaultier/Der Standard/rondo/02/09/2011)