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Das "Sie" ist also der Grundstein der Überheblichkeit.
+++Pro
Von Karl Fluch
Dass sich Menschen siezen, ist Unfug. Verantwortlich dafür war der erste Halbaffe, dem es gelang, nach Verrichtung seiner Notdurft nicht in den Haufen zu steigen. Um sich über weniger balancefähige Halbaffen zu erhöhen, erfand er – es war sicher ein Mann, wir stellen die größten Idioten – das "Sie". Das "Sie" ist also der Grundstein der Überheblichkeit. Noch vor Einführung der Kasten, Stände oder Klassen trieb dieses Zischen einen Keil zwischen die Menschen. Das "Sie" ist kein Ausdruck der Höflichkeit, sondern das Gegenteil davon. Nur wer Kälte und Distanz signalisieren will, verwendet es. Das Gegenmittel ist das "Du" als niederschwelliger Vermittler. Du signalisiert Kommunikation auf selber Höhe, Vertrauen. Wer mich duzt, ist eher mein Freund als der Siezer, der das Du-Wort später wie ein Almosen anbietet. Am Berg gilt das Du-Wort als obligatorisch. Lässig. Immer noch kein Grund, da hinaufzuwollen, aber es schürt die Hoffnung, dass die, die herunterkommen, weniger deppert sind, als sie es vor dem Aufstieg waren.
Kontra---
Von Michael Simoner
Der Himmelvater ist schuld. Weil wir mit ihm per Du sind, hat es sich eingebürgert, dass, je weiter wir es in die Gegend schaffen, wo Gott wohnt, das "Sie" in immer größere Ferne rückt. Dabei kann einem gerade auf dem Berg das Abstandhalten das Leben retten. Sich von Halbschuhyetis duzen zu lassen, ist gewissermaßen eine Einladung zum gemeinsamen Ausrutschen. Es reicht aber auch schon aus, wenn die falsche Vertrautheit dazu führt, dass ein Gipfeltreffen zu einer Verschwisterung mit Menschen wird, für die man sich weit unten wieder fremdschämen muss. Daran kann auch die punktuelle Ergriffenheit über die erklommene Seehöhe nichts ändern. Das "Du" am Berg ist so gesehen also eigentlich auch ein wenig feig. Oben hui, unten pfui. Dann lieber gleich per Sie bleiben, so wie es im Übrigen ja auch die englischsprachige Bevölkerung hält.
Wie immer gibt es natürlich auch Ausnahmen. Manche Menschen will man nach dem gemeinsamen Erreichen eines Höhepunktes einfach nicht mehr siezen. (Der Standard/rondo/23/09/2011)