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Nimmt man zwei bis fünf Gramm der Samen der Herbstzeitlose zu sich, hat man bald seinen letzten Atemzug getan.

Foto: APA/Werner Henkel

Liebevoll schien ihre Grabpflege. Und im Oktober blühten die Herbstzeitlosen zartviolett im kleinen Beet vor dem polierten Grabstein. Die Herbstzeitlosen Colchicum autumnale gehören zu den entzückendsten Vertretern, die uns der Vorbote des Winters in die Landschaft steckt. Ihr Violett, manchmal auch Rosa, ist hell, die Staubblätter und Griffel stehen in einem Sonnengelb kontrastierend darüber, und das Gesamtkunstwerk ruht auf einem filigranen weißen Stängel von acht bis dreißig Zentimetern Höhe.

Der Stängel ist aber kein Stängel, sondern eine von den Blütenblättern geformte, zusammengewachsene Röhre. Der Fruchtknoten liegt unter der Erde, und die Pollen, die im Rahmen der Bestäubung auf die Griffel gelangen, müssen den langen Weg bis zum Fruchtknoten hinunter durchhalten. Dazu werden die Pollenkörner vom Griffelgewebe ernährt, um für den finalen Akt der unterirdischen Befruchtung noch ausreichend fit zu sein.

Erfolgreiche, unterirdische Befruchtung

Unterirdisch bleiben die ausdauernden Teile der Herbstzeitlose auch in den für sie ungünstigen Jahreszeiten des Frosts, und sie darf sich aus diesem Titel heraus auch als Geophyt bezeichnen. Im folgenden Frühjahr sieht man dann das Resultat erfolgreicher, unterirdischer Befruchtung - eine grundständige Laubblattrosette mit einer Kapselfrucht, leider dem Bärlauch nicht ganz unähnlich. Die Kapsel beherbergt kleine, dunkle Samen, welche in erster Linie von Ameisen verbreitet werden. Fette, feuchte Böden, Lehm und Ton und ein wenig Windschutz in den hohen Wiesen - mehr braucht dieses Liliengewächs nicht, um sich wohlzufühlen. Geht es der Pflanze gut, geht es mitunter dem Menschen schlecht. Denn die Herbstzeitlose trägt nicht von Ungefähr ihren Namen Colchicum.

Sie steht Pate für ein Gift, ein tödliches Gift, nimmt man zwei bis fünf Gramm der Samen zu sich. Nach ein paar Stunden fällt das Schlucken schwer, Mund und Rachen brennen, kratzen, und der Körper versucht unter Krämpfen, das Gift wieder loszuwerden, und zwar oben wie unten; mitunter blutig. Der Kreislauf sackt zusammen, die Körpertemperatur sinkt, und nach nur ein bis zwei Tagen Angst, Schwindel, Delir, und das bei vollem Bewusstsein, stirbt man dann. Atemlähmung wird auf dem Totenschein stehen.

"Bärlauch-Salat"

Der Wirkstoff Colchicin hat es in sich. Durch seine Struktur ist es ihm möglich, im Rahmen der für Wachstum verantwortlichen Zellteilung einzugreifen. Erst verdoppeln, dann fair teilen und sich schlussendlich abnabeln, so funktioniert Zell- und somit Pflanzenwachstum. Das Colchicin aber verhindert, dass das Erbmaterial, welches bereits in doppelter Zahl vorliegt, fein säuberlich getrennt und an die gegenüberliegenden Zellpole gezogen wird. Dadurch entstehen Zellen mit doppeltem Erbgut. Auch gut, meinen die Botaniker, denn so könne man besser damit arbeiten und neue, transgene Pflanzenrassen züchten oder Saatgut aus Mikrosporenkolonien gewinnen.

In der Medizin hat Colchicin auch seinen Platz, es wird noch gelegentlich bei Gichterkrankungen eingesetzt. Wenn aber in ungefähr einem halben Jahr wie jedes Jahr der Frühling beginnt und die Städter nach Bärlauch gieren, werden erneut einige untreue Gatten, manch Familientyrann und andere Ahnungslose einen "Bärlauch-Salat" serviert bekommen, und nur die Herbstzeitlosen auf ihren Gräbern werden den Kennern ein stiller, fragil blühender Hinweis darauf sein, wes Wesen der nun faulige Leichnam da unter der Erde war. (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/21/10/2011)