Als mir die Frage gestellt wurde, welche die sechs hübschesten Uhren seien, war ich zunächst baff. Was ist hübsch? Ein schwieriges Wort, hingeneigt zur Weiblichkeit, aber "hübsch" kann auch eine männliche Komponente haben. Da die geschlechtsspezifischen Design-Aspekte in der Welt der Uhrmacherei auf die Spitze getrieben werden, war schnell klar, dass die hübschesten aus der weiblichen Hemisphäre kommen. Mit einer Ausnahme: die Mosaik-Schildkröte von Cartier, die man als unisex qualifizieren könnte. Außerdem sehen die meisten Uhren an weiblichen Handgelenken ohnehin besser aus, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Was ist also hübsch an einer Uhr?

Eine zarte Linienführung und ein inniges Streben danach, sowohl eine Uhr als auch ein Schmuckstück zu sein – zuweilen auf eine zurückhaltende Mauerblümchen-Art, manchmal auf die Diva-Brillanten-Feuerwerk-Art.

Nur perfekt sollte sie nicht sein, um der Fantasie ein wenig Spielraum zu geben. Ein paar offene Fragen, ein kleines Mysterium, das sich erst mit der Zeit erschließt. Dann noch hier eine schöne Blume, ein herziges Viecherl oder blitzende Steine, wohlgesetzt von den besten Kunsthandwerkern der Welt – und voilà! Da ist sie, die Hübsche!

Chopard Eule

Foto: Peter Rigaud
Foto: Hersteller

Große Augen erzeugen große Gefühle, egal, ob auf der Kinoleinwand oder im japanischen Kawaii. Die großen Augen der Eule stehen außerdem für Wissen und Weisheit - schwindende Werte im Google-Zeitalter. Der Brillanten-gefiederte Freund sitzt auf einem Ast aus seidig-glänzendem Satin und gehört zur Kollektion, mit der Chopard, den roten Teppichen der Filmstarwelt stets engstens verbunden, seinen hundertfünfzigsten Geburtstag feiert. Die zwei Zeitzonen im Eulengesicht machen die Uhr zur perfekten Oscar-Begleiterin, mit der Zeit der amerikanischen Westküste in einem Auge, der Mitteleuropas im anderen.

Rolex Lady Datejust

Foto: Peter Rigaud
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Diese hübsche Sportuhr geht auf eine der feschesten Uhrenträgerinnen der Geschichte zurück, auf Mercedes Gleitze, die den Ärmelkanal am 7. Oktober 1927 schwimmend durchquerte. Als sie dies wenige Wochen später vor größerem Publikum zu wiederholen suchte, war Hans Wildorf, Marketing-Genie und Rolex-Gründer, zur Stelle und verehrte ihr eine Rolex Oyster, die erste wasserdichte Uhr der Welt. Aus irgendeinem Grund trug sie die Uhr als Anhänger an einer Halskette. Die 26-Millimeter-Schönheit aus Weißgold und Stahl gehört ans Hand- gelenk, damit Zifferblatt und Brillanten ordentlich funkeln.

Omega Ladymatic


Foto: Peter Rigaud
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Wäre Chione, die griechische Göttin des Schnees, eine Uhr, wäre sie zweifelsohne eine Omega Ladymatic. Zumindest würde sie eine tragen. Das Perlmuttzifferblatt lässt jeden Schneesturm warm aussehen und wird von der roségoldenen Wärme des Gehäuses in Schach gehalten, wie der Sonnenstrahl der Schneeflocke Übermut bezähmt. Die Ladymatic erlebt ihre Wieder- auferstehung. 1955 wurde sie geschaffen und glänzt wie eh und je mit stoßfestem Automatik- Kaliber von außerordent- licher Ganggenauigkeit. Chione hätte sich wohl auch am Brillant-Pavé der Krone ergötzt.

Rotonde de Cartier turtle

Foto: Peter Rigaud
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In einer Zeit, da die Entschleunigungs-Branche boomt, ist die Mosaik-Schildkröte nahezu ein rebellisches Statement; eine horologische Cousine von Slowfood und Achtsamkeit. Die tierische Königin der Gemächlichkeit wirkt in dieser Puzzle-Version noch langsamer. Der selbsttätige Zifferblatt-Macher Olivier Vaucher klaubte aus seinem reichen Fundus von Steinen, Perlmutt und Emaillen die mit den richtigen Farbnuancen und schnitt sie zu Quadraten, Dreiecken und Parallelogrammen, von denen die größten 0,7 Millimeter messen. Während das chinesische Jahr des Hasen sich seinem Ende neigt, wird die Schildkröte wohl das Rennen machen.

Chanel Premier

Foto: Peter Rigaud
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Seit Coco Chanel in den 1920ern die androgynen Silhouetten auf den Laufsteg brachte, hat sich die Marke in den dunklen und teuren Ecken der weiblichen Psyche eingenistet, in denen die Must-haves wohnen. Man denke an die 2.55-Taschen, das Kostüm, das Kleine Schwarze und die heftig kopierte J12-Uhr. Die hübscheste horologische Erfindung mit dem CC-Logo ist ohne Frage die Premier. Die elegante schwarze Lack- und Stahlversion windet sich mit durch eine Kette geschlungenem Lederband ums Handgelenk. Nicht nur hübsch, sondern auch ein wenig böse – was für eine Mischung!

Breguet Reine de Naples Cammea

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Das Schweizer Uhrmacher-Genie Abraham Louis Breguet (1747-1823) schuf in seiner fruchtbaren Schaffenszeit für den französischen Hochadel nicht nur die kompliziertesten Werke, sondern bediente auch den Sinn fürs Schöne von Damen wie Marie Antoinette und Kaiserin Joséphine. Die Reine de Naples steht zur Gänze in dieser Tradition. Die ovale Uhr ist eine Reverenz an eine Armbanduhr, die Breguet für die Schwester Napoleons, Caroline, Königin von Neapel, machte. Das Blumen- Zifferblatt ist aus einer einzigen Muschel geschnitten. Mit ein wenig Fantasie hört man nicht nur das Herz der Uhr schlagen, sondern auch das Rauschen des Meeres.

Die Auswahl der Zeitmesser traf Anders Modig. Fotos: Peter Rigaud

(Der Standard/rondo/18/11/2011)