Marc Hayek, Technik-Fan und Liebhaber kubanischer Rauchwaren, tauscht gelegentlich den Chefsessel mit dem Pilotensitz im Cockpit eines Rennwagens.

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DER STANDARD: Sie haben gerade die Amateurwertung der GT-Masters auf dem Hockenheimring gewonnen. Die Schweizer Zeitungen nennen Sie den schnellsten Chef der Welt. Sind Sie jetzt ein Schweizer Nationalheld?

Marc Hayek: Das wäre übertrieben.

DER STANDARD: Wie ist das Zeitgefühl, wenn Sie auf der Strecke sind?

Hayek: Ganz anders. Zehntelsekunden fühlen sich an wie Minuten. Als wäre die Zeit ausgedehnt. Alles ist verlangsamt. Ich versuche schon mein ganzes Leben, 48 Stunden in einen Tag zu packen. Hier geschieht das auf eigenartige Weise.

DER STANDARD: Wie nehmen Sie die Zeit, wenn Sie Rennen fahren?

Hayek: Ich habe die Zeiten und die Zeitkontrolle, etwa ob ich seit der letzten Zwischenzeit aufgeholt oder verloren habe, elektronisch visuell.

DER STANDARD: Sie sind der Boss von Breguet, Blancpain und Jaquet Droz und lenken damit die Geschicke dreier großer alter Damen der Westschweizer Uhrmacherkunst und gleichzeitig der Filetstücke der Swatchgroup. Wenn Sie sie als Autos beschreiben würden, welche wären's?

Hayek: Blancpain ist Lamborghini. Der ist jung und provokant, eher als etwa Ferrari. Breguet wäre etwa erwachsener. Etwa Bentley, wenn der nicht schon mit einer anderen Uhrenmarke assoziiert wäre (mit Breitling Anm.). Aber schon extrem, weil Breguet den Aspekt Innovation weitertreibt als alle anderen. Jaquet Droz ist nicht nur performanceorientiert, sondern für mich die philosophischste Marke. Ein bisschen sehr anders. Für Jaquet Droz fiele mir gar keine Automarke ein. Man müsste eine erfinden.

DER STANDARD: Hochpreisigkeit und limitierte Verfügbarkeit haben die drei mit den angesprochenen Automarken gemeinsam. Die Unterscheidung liegt im sogenannten Storytelling. Welche Geschichten werden für welche Marke erzählt?

Hayek: Bei Blancpain ist es die Uhrmacherkunst. Bei Breguet die reiche Geschichte, die Legende eines genialen Uhrmachers. Diesen Geist wollen wir weitertragen. Abraham-Louis Breguet aus Neuchâtel war nicht nur ein außergewöhnlicher Konstrukteur, sondern auch ein sehr cleverer Mann. In heutiger Diktion würde man ihn als Marketing-Genie bezeichnen. Seine Position als Speerspitze einer Industrie verstehen wir als Auftrag.

DER STANDARD: Der Wettbewerb um die Storys als Wertschöpfung für die Produkte der Haute Horlogerie wird immer heißer. Große Gruppen kaufen traditionelle Manufakturen und damit ihre Geschichte. Die Swatchgroup hat das ja letztlich auch gemacht.

Hayek: Natürlich kann man mit Geld alles kaufen. Aber was man dann weiter damit macht, ist eine andere Frage. Den Geist leben zu lassen, die Kompetenz wirklich zu haben und sich damit zu behaupten, ist letztlich das Entscheidende. Hat man die nicht, wird es bei einer gekauften Story bleiben. Das kann kurzfristig funktionieren, aber die Spreu wird sich bald vom Weizen trennen. Da ist Breguet das beste Beispiel. Die Marke war nicht immer in perfekten Händen.

DER STANDARD: Was hat Ihr Großvater Nicolas Hayek vorgefunden, als er Breguet gekauft hat?

Hayek: Ach. Er hat die Manufaktur Lemania von der Finanzgruppe Investcorp gekauft und wollte sich die technische Kompetenz sichern. Breguet war mit im Paket und wurde dann erst nach und nach entdeckt. Die Lemania-Technik bis hin zu den Werkzeugen haben wir noch, aber Breguet hat sich in den Vordergrund gerückt.

DER STANDARD: In der gesamten Branche existiert ein Netzwerk, in dem Komponenten und Dienstleistungen ge- und verkauft werden. Auch in Ihrer eigenen Gruppe. Ist Breguet quasi ein Entwicklungslabor, von dem auch andere profitieren?

Hayek: Ein bisschen. Breguet hat eine ganz klare Vorreiterrolle in gewissen Bereichen. Die Ergebnisse bleiben aber zu 95 Prozent bei Breguet. Das sind schon sehr stark gehütete Geheimnisse auch innerhalb der Swatchgroup. Wenn da was rauskommt, wird schon jemand auf die Finger gehauen.

DER STANDARD: Wer forscht aller mit?

Hayek: Wir haben Chemiker und Physiker im Haus. Silizium als Material für Spiralen ist nach wie vor ein großes Projekt. Auch an diversen Membranen wird gearbeitet. Und es gibt Kooperationen mit diversen externen Labors und Hochschulen wie etwa der ETH Zürich. Für spezifische Themen suchen wir Partner. Für die Tonforschung haben wir ein eigenes Labor installiert.

DER STANDARD: Wenn man als Gruppe Marktführerschaft hat, kursiert schnell das Wort Monopol.

Hayek: Gemeinsam mit meiner Mutter (Nayla Hayek, Präsidentin des Verwaltungsrats) und meinem Onkel (Nick, Präsident des Executive Boards) wird der Kurs meines Großvaters weitergefahren. Uns ist es wich- tig, dass wir gemeinsam aus dieser Supermarktmen- talität rauskommen. Wir suchen daher den Kontakt zur gesamten Branche, in der es Partner und Konkurrenten in einer Person gibt. Wenn das Know-how, der Investitionswille und die Risikofreude nur bei einem geschultert wird, kommt es schnell zu einem Monopol. An solchen Situationen haben wir kein Interesse, weil dadurch das Produkt Schweizer Uhr und das Label Swiss Made geschwächt wird. Und das nützt niemandem.

DER STANDARD: Das Auf und Ab der Währungen der jüngsten Zeit, insbesondere die Stärke des Schweizer Frankens, veranlasste die Swatchgroup, die Politik zum Handeln aufzufordern. Bereiten Sie sich auf eine Krise des Uhrenmarkts vor?

Hayek: Die Politik muss etwas gegen die Spekulationen unternehmen. Jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft erzeugt so viel Unsicherheit und Pessimismus. Das verschlimmert die Krise und verlängert sie. Und die gesamte Uhrenindustrie muss dafür sorgen, dass eine Krise, wie sie sie in den 1970ern erlebt hat, nicht kommt. Die Arroganz, die damals dazu geführt hat, hat heute keinen Platz mehr. Wenn wir das nicht erkennen, geht alles den Bach runter, und die Industrie ist tot. Da müssen wir Wege finden, so etwas erst gar nicht entstehen zu lassen.

DER STANDARD: Was sind die Mittel und Wege? Hat es einen Einstellungswechsel gegeben?

Hayek: Teilweise. Einerseits wurde die Produktion flexibler. Wir können schneller auf neue Situationen reagieren. Und wir machen auch präzisere Marktanalysen. Und so sehen wir als weltweit agierender Konzern, dass die Situationen an manchen Orten ganz anders sind, als bisher geglaubt wurde.

DER STANDARD: Zahlen haben Sie immer schon gemocht. Als Kleinkind haben Sie mit Ihrem Opa mit Zahlen gespielt und nicht mit Uhren. Wie das?

Hayek: Weil der Opa damals noch nicht im Uhrengeschäft war. Außer Zahlen hab ich mit Fahrrädern gespielt. Sie leidenschaftlich zerlegt und wieder zusammengebaut. Die Liebe zur technischen Präzision ist mir geblieben. Bei den Autos und bei den Uhren. Und es ist wirklich Liebe. Ich bin meinen Uhren auch treu und lass mich nicht leicht zu irgendeiner neuen verführen.

(Bettina Stimeder/Der Standard/rondo/18/11/2011)