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Im "Dinner" wird auf offenem Feuer auf einer Rôtisserie des Uhrenherstellers Ebel gekocht.

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Wer im Restaurant des hypernoblen Mandarin Oriental Hyde Park Hotels in London zu speisen gedenkt, muss vorausschauend planen. Im Dezember etwa ist kein Tisch mehr zu haben, einzig Hotelgäste könnten mit Glück noch unterkommen. Im Jänner sieht es deutlich besser aus, was sich aber so erklärt, dass das Restaurant erst ab dem ersten Tag des Vormonats - für Jänner 2012 also ab 1. Dezember - überhaupt Reservierungen entgegennimmt. Meist sind dann alle Termine binnen dieses einen Tages vergeben. Ein solches Procedere kennt man nur von den allerbesten Restaurants der Welt. Hotelrestaurants geben es für gewöhnlich etwas billiger - in den meisten würden Gourmets wohl nicht einmal speisen wollen, wenn es Geld dafür gäbe.

Dass es sich mit dem "Dinner" im Mandarin Oriental so ganz anders verhält, erklärt sich dadurch, dass es eben auch ein "bestes Restaurant der Welt" ist - zumindest war das die Schlagzeile der Londoner Times am Tag nach der Eröffnung. Betreiber Heston Blumenthal ist nicht zufällig einer der höchstdekorierten Küchenchefs der Welt. Mit seinem "Fat Duck" (drei Michelin-Sterne) in der Nähe von Windsor war er über Jahre auf den zweiten Platz in der einflussreichen Liste der "World's 50 Best Restaurants" abonniert - gleich hinter Seriensieger Ferran Adrià.

"Fat Duck"

Wie dieser spezialisierte Blumenthal sich früh auf Molekularküche. Warme Gelees, Eiscreme aus Sardine und goldene Taschenuhren, die sich in heißem Wasser in eine mit Goldplättchen versetzte, klare Kaninchenbouillon verwandeln, gehören dort zu seinen Klassikern. In der aktuellen Liste der "World's 50 best" aber rangiert das "Fat Duck" nur noch auf Platz fünf, Ferran Adrià hat sein "El Bulli" überhaupt geschlossen. Der Sensationswert von Spaghetti aus Olivenöl oder warmem Käseeis scheint sich als endenwollend zu erweisen. Insofern ist es nicht überraschend, dass Blumenthal im "Dinner" einen neuen, dezidiert an der klassischen Küchentradition orientierten Weg einschlägt. Dennoch sind die Gerichte auch hier als revolutionär einzustufen.

Blumenthals langjähriger zweiter Mann, Ashley Palmer-Watts, ist hier der Küchenchef. Das weitläufige, mit großen Fenstern zum Hyde Park versehene Restaurant wird durch die nach drei Seiten offene Küche beherrscht, in der ein spektakulärer, von der Uhrenmanufaktur Ebel um kolportierte 300.000 Pfund gebauter Rôtisserie-Grill das alles überragende Element ist.

"Meat Fruit"

Die Konzentration auf das Garen bei offenem Feuer hat Methode. Dem neu erwachten kulinarischen Selbstbewusstsein der Briten entsprechend, ließ Blumenthal sich von antiken Rezepten inspirieren, wie sie in britischen Herrenhäusern archiviert werden. "Diese alten Rezepte", so Ashley Palmer-Watts, "erzählen von einem kulinarischen Reichtum der Insel, der erst mit dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten ist." Die Londoner lassen sich Honig dieser Art naturgemäß gern um den Bart schmieren.

Die Gerichte haben es aber in sich. Manches, wie der zum signature dish avancierte "Meat Fruit" nach einem Rezept aus dem Jahr 1500, übt sich auf virtuose Weise in der Kunst des kulinarischen Trompe-l'OEuil - und sieht auch auf den zweiten Blick aus wie eine auf Hochglanz polierte Mandarine. Erst beim Anschneiden entdeckt man unter einer zarten Schicht bittersüßen Mandarinengelees ein luftiges, unheimlich komplex abgeschmecktes Geflügelleber-Parfait. "In der Renaissance waren derart maskierte Gerichte sehr populär", erklärt Palmer-Watts, "wir wollten dem Hotel als Gastgeber auf diese Art die Reverenz erweisen." Wohl wahr: Das hat Charme.

"Black Foot Pork Chop"

Die in Heu geräucherte Makrele (ca. 1730) erweist sich als Komposition aus fast rohen, nach jodfrischem Tang und süßem Rauch duftenden Fischfilets mit einem Salat aus gesalzener Zitrone und einer durchaus muskulösen Anchoviscreme. Anderes, wie das auf 1860 datierte "Black Foot Pork Chop", erscheint hingegen als verblüffend einfaches Gericht: Ein gut drei Finger dick geschnittenes Schweinskotelett mit knackigem Kohlgemüse und zart senfiger Sauce Robert. Aber was für ein Kotelett: Ein so unfassbar saftiges, vom Aroma des Feuers (und des Fetts!) erfülltes und doch perfekt gegartes Stück Schwein hat zumindest der Autor zuvor nicht annähernd erlebt.

Zum Abschluss schließlich serviert Palmer-Watts seinen "Tipsy Cake" (ca. 1810), den respektierte Foodblogger bereits zum "best dessert ever" gekürt haben - was einen als Österreicher nur freuen kann: Handelt es sich doch im Wesentlichen um flaumige Buchteln, wenn auch solche, bei denen die (leicht zimtige) Vanillesauce auf dem Boden des gusseisernen Reindls lauert, in denen sie gebacken werden. (Severin Corti/Der Standard/rondo/25/11/2011)