Drei Fichtenholz-Bretter, eine Rundholzstange, und fertig ist die Möbel-Ikone. Der Ulmer Hocker ist einfach, schlicht und minimalistisch. Und dabei das vielseitigste Möbel, das man sich nur vorstellen kann. Denn der nur 2,1 Kilogramm schwere quaderförmige Hocker aus Holz ist nicht nur ein mobiler Sitz, sondern auch Beistelltisch, Regalelement, Transportbehälter, Serviertablett oder Tischaufsatz.
Vor allem aber ist dieses Alltagsmöbel ein Statement. 1954 entwarf Max Bill (1908-1994) den Hocker für die neu gegründete Hochschule für Gestaltung Ulm. Der in Winterthur geborene Architekt, Maler, Grafiker und Designer war Mitbegründer der legendären Einrichtung, die sich als legitime Nachfolgerin des Bauhauses verstand. Der Ulmer Hocker entstand quasi aus der Not heraus, trotz fehlender finanzieller Mittel ein günstiges Sitzmobiliar für die Studenten zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Dozenten Hans Gugelot und dem Schreinermeister Paul Hildinger wurde eine kantige Minimallösung entwickelt, die bald schon exemplarisch für die Idee des in Ulm propagierten Produktdesigns stand. Durch seine reduzierte, funktionale und vor allem kostengünstige Form wurde er zum Symbol für ein ganz neues Gestaltungsverständnis. Dass das Sitzen auf dem Hocker nicht unbedingt bequem war, tat nichts zur Sache. Als das neue Hochschulgebäude 1955 eröffnet wurde, besaß jedermann, sei es Student oder Dozent, einen Ulmer Hocker - das Drei-Brett-Universalmöbel wurde zum zentralen Möbelstück der Designschmiede.
Klassiker in aufgefrischter Form
Der Ulmer Hocker ist eines der bekanntesten Möbelstücke Max Bills. Nun wird die geniale Erfindung, dessen Produktion der bisherige Lizenznehmer Vitra 2009 eingestellt hatte, neu aufgelegt. Der Designklassiker ist Teil der Max-Bill-Möbelkollektion, die das Möbelhaus Wohnbedarf vor kurzem lancierte. Ein großer Erfolg für das 1931 gegründete Zürcher Möbel- und Einrichtungsgeschäft, denn einige der Stücke sind noch nie oder lange nicht mehr produziert worden. Jakob Bill, Sohn und wichtigster Erbverwalter Max Bills, öffnete nun für Wohnbedarf die Archive, schloss einen Vertrag über die exklusiven Produktions- und Vertriebsrechte der Möbel ab und entwickelte zusammen mit Wohnbedarf die Reedition. Ein folgerichtiger Schritt für Jakob Bill, der sich wie sein Vater der Konkreten Kunst verschrieben hat. "Ich habe mich aus Traditionsgründen dazu entschlossen. Mein Vater ist eng mit der Geschichte von Wohnbedarf verbunden." Schließlich stammt von Max Bill nicht nur das einprägsame Firmenlogo, er zeichnete auch jahrelang für die Grafik des Unternehmens verantwortlich.
Bill war einer jener Gestalter, mit denen sich die Gründer von Wohnbedarf - der Architekturhistoriker Siegfried Giedion, der Architekt Werner Max Moser und der Kaufmann Rudolf Graber - umgaben, um den Dingen des Alltags eine neue, zeitgemäße Form zu geben. Schnörkellos, funktional und in Serie gefertigt - so sollten die Möbel sein, die die Wohnungen der Schweizer erobern sollten.
Die Idee dahinter hatte durchaus erzieherischen Anspruch, denn es galt, Lebensform und Wohnkultur zu einer Einheit zu verbinden. Dafür baten die drei Visionäre Vertreter der Avantgarde wie Marcel Breuer, Alvar Aalto und Le Corbusier, Möbel für das Wohnbedarf-Programm zu entwerfen. Schnell etablierte sich Wohnbedarf als "Verleger für gute zeitgemäße Möbel", wie Max Bill es einmal beschrieb.
Die Kunst der Reduktion
An diese Tradition habe man wieder anknüpfen wollen, erklärte Wohnbedarf-Chef Felix Messmer. ",Back to the roots' lautet unser Motto. Wir möchten wieder eine eigene feine Kollektion produzieren." Den Anfang machte das Haus, das sich in den vergangenen Jahren auf das Handelsgeschäft mit Designklassikern und ausgewählten Neuheiten konzentriert hatte, mit einer limitierten Edition von Möbeln des Wohnbedarf-Mitbegründers Werner Max Moser. Pünktlich zum 80. Geburtstag von Wohnbedarf folgte die Neuauflage ausgewählter Bill-Möbel. Unter den sieben Produkten darf natürlich der Dreibeinstuhl nicht fehlen. 1949 für Wohnbedarf entworfen, sind die Originale heute eine gesuchte Rarität. Für den kühnen Entwurf erhielt Bill die Auszeichnung "Die Gute Form" des Schweizerischen Werkverbunds.
Auch der Kreuzzargenstuhl aus dem Jahr 1951 ist längst ein Designklassiker. Der Quadratrundtisch, ebenfalls 1949 für Wohnbedarf entworfen, war lange Zeit nicht erhältlich. Nun wartet dieses Zeugnis für zeitloses Design darauf, neu entdeckt zu werden. Der Sperrholztisch mit der Linoleumplatte ist einer der wichtigsten Entwürfe Bills - und eines der Schmuckstücke der Reedition. Dank einer Drehung um 45 Grad lässt sich aus der runden Auflage schnell ein quadratischer Tisch zaubern. "Die mathematische Logik, die das Werk meines Vaters kennzeichnet, kommt hier bestens zum Ausdruck", sagt Jakob Bill. "Gutes Design ist wenig Design": Bill galten die Ökonomie der Mittel und des Preises sowie Funktionalität und Langlebigkeit als oberste Gebote. Seine Entwürfe zielten auf Haltbarkeit und widersetzten sich dem schnellen Konsum. Dabei, so das Universaltalent, sei Schönheit nicht nur das Resultat einer gelungenen Konstruktion. Sie trage vielmehr auch einen Wert in sich. Dies entdeckte heute auch die junge Generation für sich, so Felix Messmer: "Das Interesse an diesen Klassikern hat viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Die Zeiten der Wegwerfgesellschaft sind vorbei." Evergreens wie der Ulmer Hocker sind da der geeignete Gegenentwurf. Mit einem Vertriebspartner in Österreich sei man bei Wohnbedarf in Verhandlung. Einstweilen muss man noch mit dem Kombi nach Zürich, will man sich einen Bill kaufen. Den Ulmer Hocker bekommt man mit dem richtigen Hundeblick vielleicht auch in den Flieger. (Andrea Eschbach/Der Standard/rondo/02/12/2011)