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"Oh, wär' ich ein gekrönter Schneemann doch und stünde vor der Sonne Bolingbrokes, um mich in Wassertropfen wegzuschmelzen."

Foto: Koichi Hasegawa / amanaimages / Corbis

Richard II hatte einen eiskalten Wunsch: "Oh, wär' ich ein gekrönter Schneemann doch", seufzt der Mann mit der englischen Krone auf dem Kopf, "und stünde vor der Sonne Bolingbrokes, um mich in Wassertropfen wegzuschmelzen." Ein Drama für Richard in einem Drama von Shakespeare. Der König kuscht vor seinem Thronfolger Bolingbrokes, später besser bekannt als Henry IV, und möchte zerfließen. Die Tragödie gilt Historikern als Beweis, schon im Jahre 1590 muss es Schneemänner gegeben haben. Ob die damals allerdings aus drei weißen Kugeln bestanden, mit Hut und schwarzen Kohlen vor der Brust, sei eher unwahrscheinlich, sind sich die meisten Forscher einig.

Der kalte Geselle galt lange Zeit vor der Einführung des Welttags des Schneemanns, der übrigens am 18. Jänner begangen wird, als grimmiger Kerl. Dunkel war es, der Mond schien helle, und in den Stuben starrten Vater, Mutter und Kinder meist angstvoll in die kalte Nacht. Der Schneemann war damals wohl mehr Symbol für winterlichen Schrecken und weniger ein Spielkamerad.

Fast zweihundert Jahre nach dem Königsdrama liefert der polnische Kupferstecher Daniel Chodowiecki endlich das lang erwartete Bild. Vier leicht pummelige Bengel bewerfen einen riesigen Schneemann. Der Kerl, an eine Mauer gelehnt, sieht wie das weiße Ebenbild eines arroganten Menschen aus. Breitbeinig, mit verschränkten Armen, langer Nase und breitkrempigem Hut, alles aus Schnee. Ein Stock steckt in seiner Hüfte. Wohl, um "die vergänglichen Kunstwerke zu stabilisieren", vermutet Schneemann-Oberauskenner Cornelius Grätz (www.schneemannsammlung.de). Immer noch ist der weiße Mann das bedrohliche eiskalte Biest. Wenig später, die Romantik löste das Rokoko ab, wurde der winterkalte Wicht langsam zum Liebling der Kinder. Auf Bücherseiten posierten Kinder immer öfter in possierlicher Garderobe, gern auch mit Matrosenkragen neben dem Winterwesen. Nur selten taucht der Bursche mit dem dicken Wanst jetzt als angsteinflößende Gestalt auf. "Seht, da steht er, unser Schneemann", dichtete 1843 August Heinrich von Fallersleben, "Schaut ihm in die schwarzen Augen! Wird euch da nicht bange?"

Schluss mit böse

Die schwarzen Augen aus Kohlestückchen sind bis heute ein Rätsel für die Geschichtsforscher. Warum gerade Brikettreste im Gesicht und eine Karotte als Nase? Offenbar hatten selbst die Ärmsten der Armen im Winter ein paar Kohlenbrocken und eine Karotte übrig, um dem frostigen Freund ein Antlitz zu geben. Jetzt lernen sogar die Kleinsten in der Schule, dass der einstmals böse Bube ein Kumpane zum Spielen ist. "Hat die warme Mittagssonne den Schnee etwas weich und feucht gemacht", so die pädagogische Vorgabe, "wird ein Schneemann gebaut, mit unförmig dicken Beinen und Armen, mit kurzem Halse und rundem Kopf."

Eine Schultafel zeigt um 1900 eine Szene aus dem winterlichen Dorfleben. Während der Bauer den Pferden die Hufe beschlägt, seine Frau und die Tochter Vögel füttern, bauen die Buben einen gigantischen Schneemann, der sich auf einen Tannenstock stützt. In den nächsten Jahrzehnten erschien der Winter für viele nicht mehr nur erbarmungslos und entbehrungsreich. Vor allem die Kleinen entdeckten Spiel und Spaß beim Schlittschuhlaufen, Rodeln und bei der Schneeballschlacht.

Es war endgültig so weit, der Miesepeter entwickelte sich am Ende des 19. Jahrhunderts "rasch zum Kinderfreund und sympathischen Wintersymbol", sagt Cornelius Grätz. Und bleibt doch ein Mannsbild. Logisch, findet Grätz. Die Gesellschaft war "zu prüde, um weibliche Rundungen zu zeigen".

Schneemann aus Seeigeln

Cornelius Grätz ist so etwas wie der Oberschneemannbeauftragte. Zu Hause in Reutlingen lagern in Kisten, Kästen und Kartons mehr als 3000 verschiedene Schneemänner - die weltweit größte Sammlung des weißen Mannes. Als Teenager bekam der Baden-Württemberger 1986 einen Marzipanschneemann geschenkt, den er "partout nicht essen wollte". Der Beginn seiner Galerie. Es gibt sie wenige Millimeter klein und mehr als drei Meter groß. Aus Holz, Gummi oder Plüsch. Auf Krawattenklammern, Unterwäsche oder Kondomen. Ein russischer aus Holz lässt sich, ähnlich wie eine Matrjoschka, in Kopf und Unterleib teilen und wird so Versteck für eine Wodkaflasche. Einer von den Cayman-Inseln besteht aus Seeigeln. Und im "snowman-construction-kit", so etwas wie ein Schneemannbaukasten, liegen Plastikkohlen und Plastikkarotte.

Der Schneemann ist längst ein weltweit bekanntes Topmodel. Ganz ohne Zickereien und Diätwahnsinn. "Seine runden Formen", ist sich Cornelius Grätz sicher, "machen ihn sympathisch." Im Vergleich zu anderen Winterfiguren habe er außerdem "keinen religiösen Hintergrund". Deshalb macht sich der Drei-Kugel-Typ sogar auf Kondomen dick, während Nikolaus und Engelein dort eher seltener zu finden sind. Werbeagenturen haben ihren Spaß.

So lacht der freundliche Frostling von Bademänteln, Bierdeckeln oder Bettwäsche, auf Topflappen, Toilettenpapier oder Taschentüchern. Ist Kerzenhalter und selbst Kerze. Und eine Tuchfabrik bietet nun den Winterhelden gar als putziges Grinsemännchen auf einem Strandlaken an. (Der Standard/rondo/09/12/2011)