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Das hohe schmiedeeiserne Portal führt in eine andere Welt. Straßenlärm und Metropolenhektik rücken in weite Ferne. Es scheint, als spule die Zeit zurück ins Jahrhundert der Gaslampen und Kaleschen. Die Füße berühren feinste Steinböden, angelegt in strengem schwarz-weißem Karomuster oder als farbenfrohes, üppiges Mosaik. Die Augen erfreuen sich an polierten Hölzern, schimmerndem Metall, milchigen Lampenkugeln, an herrlichen Friesen, Säulen, Bögen, Statuetten. Alles unter einem Himmel aus Glas, kühn gewölbt und zu Kuppeln geschwungen. Kunstvollste Kulisse für Kontemplation und Konsum.

Schon Emile Zola begeisterte sich in seinem Romanwerk immer wieder über die Pariser Passagen, Walter Benjamin nutzte sie als zentrale Metapher seines Hauptwerkes, Heinrich Heine lernte seine Frau in einer von ihnen kennen. Die spätere Dichtergattin arbeitete damals als Schuh-verkäuferin in den Passages des Panoramas, der ältesten historischen Shopping-mall der Seine-Metropole. Rund hundert dieser geschützten Flaniermeilen fanden sich einst auf dem Stadtplan von Paris, etwa zwei Dutzend blieben erhalten: exotisch, gediegen, luxuriös, auf Hochglanz poliert oder schon ein wenig angestaubt. Ein wunderbares Netzwerk für den Passanten - nicht nur bei Regenwetter und eisigem Wind. In den Galerien zu entdecken

Und was gibt es nicht alles zu entdecken in diesen Galerien: altes Blechspielzeug und junge Mode, eine beachtliche Sammlung von Filmplakaten, den letzten Schirmmacher von Paris, Antiquitäten, Varietés, Bars, Restaurants, Cafés, ein Hotel, einen arabisches Hamam, ein Wachsfigurenkabinett, den traditionellen Graveur Stern und vornehme alte Teesalons.

Ähnlich prachtvoll ausgestattet wie die Passagen und Galerien sind die historischen Kaufhäuser von Paris: Les Galeries Lafayette, Le Printemps, La Samaritaine. Vom "Au Bon Marché", dem ersten in der Riege dieser "neuen" Konsumtempel, ließ Zola sich für seinen Roman "Au Bonheur des Dames" inspirieren. Das BHV (gesprochen: Be-Asch-Wee), offiziell Basar de l'Hotel de Ville, gilt bis heute als Palast der Dekoration. Wer sich Seide individuell bedrucken lassen möchte oder jemanden braucht, um altes Leder zu restaurieren, ist hier am richtigen Platze. Le Marché

Weiter nördlich, zu Füßen von Sacré-Cur, tauchen wir ein ins Universum der Stoffe: Le Marché Saint Pierre wallt in allen Farben - zur Freude vor allem der afrikanischen Bevölkerung der Seine-Metropole. Bleiben wir noch ein wenig im Norden: An der Porte de Clignancourt weht uns auf den Puces de Saint-Quen Basaratmosphäre in moderner Urform entgegen. Mehr als tausend Händler bieten auf diesem gigantischen Flohmarktareal ihre Waren feil - vom Tand bis zu hochwertigem Trödel.

Das intime Pendant liegt ganz im Süden, an der Porte de Vanves. Die eleganten Varianten für den Verkauf von Antikem finden sich beim Eiffelturm (Le Village Suisse) sowie unweit des Boulevard Montmartre (Auktionshaus Druot). Und für Bibliophile natürlich an den Quais der Seine, bei den Bouquinisten. Zwischen reichlich Kitsch lassen sich hier doch immer wieder einige Schätze entdecken.

Szenenwechsel, vom geistigen Futter zur handfesten Nahrung

In die Marktstraßen von Paris. Fast jedes Viertel hat eine. Die Rue Mouffetard zählt zu den ältesten, Buci und Lepic sind quirlig und beliebt bei Touristen, Daguerre gehört vorwiegend dem Volk. Am Boulevard Raspail lockt Bioware sogar Berühmtheiten wie Gérard Depardieux und Sophie Marceau, in der Rue Poncelet geben sich Restaurantköche und Gourmets ein Stelldichein - vor allem wegen Käsepapst Alléosse.

Wem das alles noch nicht fein genug ist, der pilgert in die Rue des Sèvres, zur Grande Epicerie de Paris. Oder gleich auf die Place de la Madeleine. Hier gibt es Delikatessen aller Art. Für exotische Gerichte bodenständiger Art schlendert man zu "Izrael" im vorwiegend jüdisch geprägten Marais. Oder zischt im "Météor", Paris jüngster Metrolinie, hinüber nach Rive-Gauche, ins 13. Arrondissement. In dem Viertel, das wir als schaurige Kulisse von Léo Malets schönsten Krimimorden kennen, hat die größte chinesische Gemeinde Europas Unterschlupf gefunden - samt der Lieferanten für den täglichen Bedarf. Von Chinatown geht's nun wieder zurück auf die vornehme Rive-Gauche. Zum Edel-shopping ins Quartier St. Honoré. Zum Beispiel die Rue Cambon

Fast alle großen Designer und Haute-Couture-Häuser säumen die Rue du Faubourg St. Honoré. Ihr eleganter Glanz bestrahlt auch die Nachbargassen. Zum Beispiel die Rue Cambon. Coco Chanel wirkte hier. Und bis heute steht über einem der Schaufenster der Namenszug "Cadolle". Dahinter verbirgt sich die erste und letzte Miedermacherin von Paris. Seit fünf Generationen fertigen die Damen Cadolle feinste Maßdessous. Schon Mata Hari wusste ihre Dienste zu schätzen, Gleiches gilt für Barbara Hutton und Marlene Dietrich. Heute zählen neben arabischen Prinzessinnen und großen Couturiers figurbewusste Frauen aus ganz Europa zu den Kunden.

Lüsterlicht, Spiegel, wertvolle Kommoden, Tischchen und Sessel schaffen für die Anprobe eine fast private Atmosphäre. Madame empfängt die Kundinnen möglichst persönlich. Fragt plaudernd nach Vorlieben und Wünschen, erläutert Modelle und Stoffe. Erst dann wird vermessen.

Ein bis zwei Anproben braucht es für eine "zweite Haut" aus dem Hause Cadolle, gut einen Monat muss frau sich gedulden, bis sie sich ihre "guêpière" aus Seide und Spitze zuhaken, ihr Samtmieder mit feinen Bändern schnüren oder schlicht dem üppigen Busen endlich die passende, nirgendwo mehr kneifende Stütze geben kann.

Apropos kneifen

Überflüssige Kalorien spart die Pariserin auch beim Shopping-parcours. Statt mit Champagner wird der Beutezug mit Tee (bei Mariage & Frères) oder mit Mineralwasser begossen - in der Kellerbar von "Colette" stehen schließlich Dutzende Sorten zu Wahl. Und für neue Zellfrische gönnt sich Madame zwei Stündchen im Spa - am besten gleich um die Ecke, im traditionsreichen Nobelhotel "Le Meurice".

Auf der Basis von Weintrauben werden dem ermatteten Körper hier neue Lebensgeister eingehaucht. Danach lässt sich locker durchstarten zur zweiten Einkaufsrunde in Europas schönstem Shopping-paradies. Oder aufbrechen zu einer Stadt-safari. Kreuz und quer locken dabei absolute Pariskenner per Handy durch den Großstadtdschungel. Zur Wahl stehen verschiedene Mottos - von Konsum bis Kunst. (Der Standard/rondo/12/03/2004)