Wien - 18 bis 20 Prozent der Mädchen und zwei bis vier Prozent der Buben bis 14 Jahre werden Opfer sexuellen Missbrauchs.

Viele der Täter seien nicht "krank" im juristischen Sinn. "Sie sind vielmehr im Stande, ihr Unrecht zu erkennen", sagte der Wiener Kinderpsychiater Max Friedrich. Das gelte auch für den im belgischen "Jahrhundert-Prozess" wegen Entführung, Schändung und Ermordung mehrerer Mädchen angeklagten Marc Dutroux. Der Experte spricht im Fall des 47-Jährigen von einer Kombination aus Sado-Masochismus und Pädophilie, die sich "knapp an der Grenze zur Krankheit" befinde.

In Sexualentwicklung stecken geblieben

Psychiater Max Friedrich unterteilt Kinderschänder in mehrere Typen, vielfach seien die Täter "in ihrer Sexualentwicklung stecken geblieben": Zum einen gebe es jenen Typus, der sich über den "kleinen Bub, der um die Wette weit pinkelt", nicht hinausentwickelt hat. "Solche Männer sind stark exhibitionistisch veranlagt", so Friedrich. In der Phase des "Vater-Mutter-Kind"- oder "Doktor-Spielens" verbliebene Männer nähern sich ihren Opfern im Vorschulalter häufig über Hygienehandlungen wie Hilfe beim Toilettenbesuch oder beim Waschen.

Der "Zuwedrucker" im Aufzug

Dann gibt es den so genannten Ödipalen Täter: "Im fünften, sechsten Lebensjahr waren wir alle dem gegengeschlechtlichen Elternteil innig zugetan. Diese Täter kehren die Situation als Erwachsene dann um", erläuterte Friedrich. Sexuell in der Pubertät stecken gebliebene "Petting-Täter" beschriebt der Psychiater auch als "Zuwedrucker im Aufzug oder der Straßenbahn". Solche Männer erfahren "nie die reife Sexualität" oder einen vollzogenen Geschlechtsverkehr. Als "Mr. Higgins", den selbstgerechten Professor aus dem Musical "My Fair Lady", beschreibt Friedrich Männer, "die glauben, sie sind der einzige, der weiß, wie Sexualität geht. Solche Männer sagen noch vor Gericht, das Opfer könne doch froh sein, dass 'gerade ich es ihm gezeigt habe'."

Täter:Familienangehörige

"Der überwiegende Teil nähert sich auf leisen Pfoten, ohne Gewalt und oft spielerisch", warnte Max Friedrich. "Das Umfeld der Täter ist dem Kind meist bekannt." Die Schänder sind Familienangehörige oder Bekannte. "So wie es bei den Opfern kein 'Syndrom des Missbrauchs' gibt, gibt es bei den Tätern auch kein 'Kainsmal' - sie kommen aus allen Schichten."

Veränderungen im Verhalten des Opfers

Entdecken könne man möglichen Missbrauch durch Veränderungen im Verhalten des Opfers: "Wenn ein leises Kind auf einmal laut wird, ein schüchternes sich plötzlich der Obszönsprache bedient, Kinder wieder beginnen einzunässen oder nicht durchzuschlafen", so der Experte. Solche Anzeichen können auf Probleme in der Schule, aber eben auch auf Misshandlung und Missbrauch hinweisen.

Im Familienkreis - aus dem allzu oft der Täter stammt - trauten sich Kinder häufig nichts zu sagen. "Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen sind die wichtigsten Ansprechpartnerinnen", betont daher Friedrich, sie gehören nicht zur Familie und sind dennoch "vertraut und Bezugspersonen". (APA)